- Politik
- Polizeigesetz in Sachsen
Direkt vom Landtag zum Gericht
Grüne und LINKE planen Verfassungsklage gegen sächsisches Polizeigesetz
Valentin Lippmann glaubt an das Gute im Menschen, konkret: in den Abgeordneten der sächsischen Regierungskoalition aus CDU und SPD. Vielleicht, so hofft der Grünen-Abgeordnete, überkomme diese in der Plenarsitzung in der nächsten Woche noch »der Geist der Freiheit« - was sie bewegen könnte, noch einmal Hand an das neue sächsische Polizeigesetz zu legen. Sollte das nicht der Fall sein, ist die nächste Station für das Gesetz absehbar: das sächsische Verfassungsgericht in Leipzig. Dort wollen LINKE und Grüne eine Klage anstrengen. Gemeinsam kommen sie auf die erforderliche Zahl von einem Viertel der 126 Abgeordneten.
Es steht freilich zu erwarten, dass die Koalition dem »Geist der Freiheit« nicht nachgibt. Zu lange haben beide Parteien um das Gesetz gerungen, das vor allem die CDU als Prestigeprojekt betrachtet und unbedingt vor der Wahl am 1. September beschlossen sehen möchte. Der Zeitplan ist bereits arg angespannt, nachdem man sich unlängst noch einmal zu Nachbesserungen durchgerungen hat: Die SPD gab nach einer Intervention von Polizeigewerkschaftern beim Thema Bodycams nach, die CDU willigte ein, eine Beschwerdestelle vom für die Polizei zuständigen Innenministerium in die Staatskanzlei zu verlagern. So richtig zufrieden ist keine der beiden Seiten mit dem Gesetz. Die SPD konnte die Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte nicht durchsetzen, die CDU die sogenannte Quellen-TKÜ. Das, was man sich gegenseitig abgerungen hat, soll nun aber am kommenden Mittwoch in trockene Tücher gebracht werden.
Die Opposition warnt freilich eindringlich davor. Das Gesetz, sagt der LINKE-Innenexperte Enrico Stange, sei nicht nur angesichts stetig sinkender Kriminalitätszahlen überflüssig; es schaffe sogar »mehr Unsicherheit und Überwachung«. Umfangreiche Befugnisse zu tiefen Eingriffen in Grund- und Freiheitsrechte würden »weit in das Vorfeld konkreter Gefahren verlagert«. Stange spricht von einer »Misstrauensbekundung des Staates« gegen die Bürger, sein Kollege Lippmann von einem »Frontalangriff auf die Bürgerrechte«. Das Gesetz schaffe »Befugnisse für eine massenhafte Überwachung von Menschen, die sich nichts zuschulden haben kommen lassen«. Beide Fraktionen halten es in wesentlichen Punkten für verfassungswidrig, zum Beispiel bei Videoüberwachung und automatisierter Gesichtserkennung.
In diesem Punkt werden die Bedenken der Opposition auch vom obersten Datenschützer Sachsens, Andreas Schurig, geteilt. In einem Schreiben an die Vorsitzenden von Innen- und Rechtsausschuss kritisierte er die geplante Kennzeichenerfassung. Sachsen plant diese in einem 30 Kilometer breiten Streifen entlang der Grenze zu Polen und Tschechien. Schurig verweist auf ein kürzlich ergangenes Urteil des Bundesverfassungsgerichts unter anderem zum neuen Polizeigesetz in Bayern und merkt an, die sächsischen Regelungen entsprächen nicht den Vorgaben des Gerichts. Die Videoaufnahmen von Pkw, Kennzeichen, Insassen und Unbeteiligten erfolgen in einer Qualität, die »eine nahezu zweifelsfreie Identifizierung und einen Abgleich mit vorhandenem Bildmaterial zulässt«. Schurig attestierte diesen Plänen ein »hohes verfassungsrechtliches Risiko«.
Kritik gibt es nicht nur im Parlament. Auch ein seit gut einem Jahr aktives Bündnis, dem mehr als 40 Organisationen angehören, macht erneut mobil. Nachdem bereits im Januar eine Demonstration mit 7000 Teilnehmern stattfand, soll am Montag der Protest in Dresden noch einmal auf die Straße getragen werden. Er richte sich, wie es im Aufruf heißt, gegen ein »rigides Gesetz«, das der Polizei »mehr Handhabe gegen ihre politischen Gegner*innen gibt«. Es solle dem »irrationalen Ruf nach vermeintlich mehr Sicherheit« nachgeben, den nicht zuletzt die AfD und Pegida artikulierten, und wird vom Bündnis als »billiger Stimmenfangversuch der CDU« bezeichnet. Das allerdings hat in Sachsen Tradition, wie kürzlich die »Leipziger Volkszeitung« in Erinnerung rief. Auch 1994 wurde kurz vor einer Landtagswahl ein deutlich verschärftes Polizeigesetz beschlossen, damals noch von einer CDU-Alleinregierung. Die Grünen und die damals oppositionelle SPD zogen gemeinsam vor das Verfassungsgericht - und bekamen 1996 Recht. Nun bekommt die Geschichte also Gelegenheit, sich auch in Sachsen zu wiederholen.
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