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Deutsche Bahn verkauft Tochter
Arriva-Deal soll Milliarden in die Kasse spülen - britische Gewerkschafter fordern Wiederverstaatlichung
In der vergangenen Woche hat der Aufsichtsrat der Deutschen Bahn (DB) den Vorstand aufgefordert, bis September verschiedene Verkaufsoptionen für das Tochterunternehmen Arriva zu prüfen und eine Beschlussvorlage auszuarbeiten. Infrage kommt dabei ein teilweiser oder vollständiger Verkauf an einen oder mehrere Bieter, ebenso wie ein Börsengang. Insider hoffen auf einen Verkaufserlös von bis zu vier Milliarden Euro. Damit sollen die Eigenkapitaldecke des DB-Konzerns gestärkt und dringend benötigte Gelder für die Sanierung der Infrastruktur und neue Fahrzeuge beschafft werden.
Die an den Tag gelegte Eile dürfte vor allem von finanziellen Sachzwängen diktiert sein. 1994 war die aus den Staatsbahnen Bundesbahn (West) und Reichsbahn (Ost) hervorgegangene Deutsche Bahn AG schuldenfrei gestartet. Inzwischen hat der DB-Konzern einen Schuldenberg von über 19,5 Milliarden Euro angehäuft. Dazu trug die weltweite Expansionsstrategie der Konzernspitze wesentlich bei. Seit der Jahrtausendwende setzte der damalige Bahnchef Hartmut Mehdorn darauf, durch ehrgeizige Aufkäufe das Staatsunternehmen zum weltumspannenden Global Player der Logistik- und Verkehrsbranche umzukrempeln. Damit einher gingen eine Vernachlässigung der traditionellen Hausaufgaben der DB in ihrem Stammland und insbesondere ein Rückzug des Schienengüterverkehrs aus der Fläche. Ähnlich setzten auch andere Staatsbahnen in Europa auf internationale Expansion.
Die DB-Tochter Arriva mit Sitz im nordenglischen Sunderland hat rund 62.000 Beschäftigte und führt jährlich 2,4 Milliarden Passagierfahrten durch.
Aktuell besteht sie aus drei Sparten: Arriva UK Bus ist in weiten Teilen Großbritanniens aktiv und gehört zu den größten Betreibern von Buslinien im Fern- und Nahverkehr im Land. Arriva UK Trains ist vor allem in Wales, Nordengland und im Großraum London im Regional- und Nahverkehr auf der Schiene aktiv. Die größte Sparte ist Arriva Mainland Europe. Sie umfasst alle anderen DB-Aktivitäten im Bereich Personenverkehr auf Schiene und Straße in Europa. Betrieben werden Strecken in 13 Ländern von Schweden bis Portugal sowie von den Niederlanden bis Serbien. nd
2010 erwarb die Deutsche Bahn unter Mehdorns Nachfolger Rüdiger Grube die britische Arriva-Gruppe für einen Kaufpreis von 2,7 Milliarden Euro. Grube erhoffte sich davon eine »Stärkung der Marktposition in Europa«. Arriva war mit der Privatisierung des britischen Bahn- und Busverkehrs seit den 1990er Jahren richtig groß geworden und betreibt nach jahrelangen Aufkäufen heute mit rund 45 000 Beschäftigten in 14 Ländern Europas Bahn- und Busgesellschaften. Aus kartellrechtlichen Gründen musste die DB die deutschen Arriva-Töchter bei der Übernahme an ein Konsortium aus der italienischen Staatsbahn Ferrovie dello Stato und dem französisch-luxemburgischen Infrastrukturfonds Cube Infrastructure verkaufen; sie firmieren seither unter der Bezeichnung Netinera.
Ein Nutznießer der Arriva-Übernahme war der Investmentbanker Alexander Doll, der damals zum engsten Beraterkreis der DB gehörte und die Transaktion mit arrangierte. Er wechselte Ende 2017 von der Barclays Bank in den DB-Vorstand und ist dort seither für Finanzen, Güterverkehr und Logistik zuständig. Damit ist Doll auch beim anstehenden Arriva-Verkauf wieder maßgeblicher Akteur.
Während Bundesrechnungshof, Politiker unterschiedlicher Couleur und auch die deutsche Lokführergewerkschaft GDL einen Arriva-Verkauf an wen auch immer unterstützen, schlägt die britische Bahn- und Verkehrsgewerkschaft RMT Alarm. Sie hat mit Arriva-Bahntöchtern wie Northern, Cross Country, Chiltern, London Overground oder Grand Central große Konflikte ausgefochten, kritisiert die Unternehmenspolitik der DB scharf und lehnt gleichzeitig einen Verkauf an einen privaten Konzern oder Finanzinvestor ab. »Es darf nicht sein, dass Tausende Arbeitsplätze bei britischen Bahnen in der Schwebe hängen, weil alle Welt auf einen Vorstandsbeschluss aus der Berliner DB-Zentrale wartet«, bringt es RMT-Generalsekretär Mick Cash auf den Punkt. Der Gewerkschafter fordert die Überführung sämtlicher britischer Unternehmensteile von Arriva in öffentliches Eigentum und sieht darin die einzig sinnvolle Alternative zu einer »schmutzigen Spekulation, bei der unsere Zukunft hinter verschlossenen Türen im Interesse des Finanzkapitals und nicht der britischen Bahnpassagiere zerstückelt wird«.
Cash und seine Mitstreiter vertreten damit die Interessen einer Mehrheit der Bevölkerung, die nach leidvollen Erfahrungen im Mutterland der Bahnprivatisierung eine Wiederverstaatlichung des fragmentierten Eisenbahnwesens auf der Insel unterstützt. Spannend könnte es werden, falls nach möglichen Neuwahlen Labour-Chef Jeremy Corbyn in London an die Regierung käme und unter starkem Druck stünde, die in seinem Programm geforderte Wiederverstaatlichung der Bahnen tatsächlich anzupacken.
Die Position der RMT stößt auch bei deutschen Aktivisten auf Zustimmung. »Im Einklang mit britischen Gewerkschaften muss ein Verkauf an private Investoren verhindert werden«, erklärt Bernhard Knierim vom privatisierungskritischen Bündnis »Bahn für Alle« gegenüber »nd«. Die Zukunft von Arriva und eine bessere europaweite Zusammenarbeit gegen die Bahnprivatisierung waren Thema beim jüngsten Treffen des Bündnisses am vergangenen Wochenende in Göttingen. »Das Engagement für eine gemeinnützige Bahn in öffentlicher Hand ist international«, so Knierim.
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