Libyen droht ein landesweiter Krieg

Mit der Einheitsregierung verbündete Milizen kündigen Gegenoffensive an

  • Mirco Keilberth, Tripolis
  • Lesedauer: 4 Min.

Nach mehrtägigen Kämpfen haben die mit der international anerkannten Einheitsregierung verbündeten Milizen in Libyen eine Gegenoffensive angekündigt. Die Operation »Vulkan des Zorns« habe das Ziel, alle libyschen Städte von »illegalen Kräften zu säubern«, so der Sprecher Mohammed Kanunu.

Lesen Sie auch: Ölförderung in Zeiten des Bürgerkriegs. Libyens Wirtschaft und Staatsfinanzen sind komplett auf die Ölindustrie ausgerichtet - hier hat General Haftar seinen Einfluss ausgeweitet

Damit droht Libyen ein landesweiter Krieg zwischen der meist aus Ostlibyen stammenden »Libyschen Nationalen Armee« (LNA) und Milizen, die mit der westlibyschen Einheitsregierung locker verbündet sind. Zuvor war die in der vergangenen Woche begonnene Offensive des Kommandeurs der LNA, Khalifa Haftar, ins Stocken geraten. Die Allianz der Hauptstadtmilizen konnte nach eigenen Angaben den internationalen Flughafen von Tripolis von der LNA zurückerobern.

In der Nacht zu Sonntag kamen bei den Kämpfen angeblich auch Grad-Kurzstreckenraketen zum Einsatz, Kampflugzeuge aus der Hafenstadt Misrata bombardierten die 80 Kilometer südlich von Tripolis gelegene Stadt Gharian, in der sich Haftars Truppen festgesetzt haben. »Wir bereiten uns auf einen Gegenangriff vor«, sagt einer der Kommandeure aus Misrata, das 2011 mehrere Monate von Gaddafi-Truppen belagert worden war und wo gegen die LNA mobilisiert wird.

Die G7-Staaten-Gruppe hatte bereits am Samstag den Vormarsch von Haftars Truppen kritisiert und - wie auch der von Deutschland einberufene UN-Sicherheitsrat in New York - die Einstellung der Kämpfe gefordert, für die in beiden Erklärungen insbesondere Haftars LNA verantwortlich gemacht wird.

Haftar hatte am Donnerstag vergangener Woche die »Stunde Null« verkündet. »Die Vertreibung der Milizen und Terroristen von den Schalthebeln der Macht« werde nun beginnen, so der 72-Jährige selbst ernannte Feldmarschall. Tripolis wird seit Jahren von einem Dutzend Milizen mit unterschiedlicher politischer Ausrichtung kontrolliert. Gemeinsam haben sie jedoch, dass ihre Kämpfer auf den Lohnlisten von Ministerien oder Staatsfirmen stehen - oder diese sogar kontrollieren.

Dem schon unter Gaddafi zum General beförderten Haftar dient vor allem die Anwesenheit von radikalen Islamisten in der Zwei-Millionen-Metropole Tripolis als Rechtfertigung für seinen Überraschungsangriff. Neben der Wahlkommission wurden im letzten Jahr die staatliche Ölagentur NOC sowie das Außenministerium Ziele von Selbstmordattentätern. Noch ist jedoch unklar, wer hinter den Anschlägen steckt.

In Tripolis und den von Anti-Gaddafi-Kämpfern dominierten Städten Misrata und Zauwia wiederum wird gegen Haftars ostlibysche Armee mobilisiert. Die ehemaligen Revolutionäre fürchten, dass mit dem Vorrücken der LNA die Anhänger des vor acht Jahren vertriebenen Gaddafi-Regimes zurückkehren. Die meisten Regime-Funktionäre waren nach dem Sturz Gaddafis nach Ägypten geflohen, da sie durch ein 2013 beschlossenes Isolationsgesetz ihre Jobs verloren.

Im Falle einer weiteren Eskalation könnte Tripolis das Schicksal von Bengasi, der Hauptstadt der Provinz Cyreneika, drohen. Die ostlibysche Stadt war drei Jahre lang Schauplatz blutiger Straßenkampfe zwischen Haftars Einheiten, lokalen radikalen Gruppen und Anhängern des sogenannten »Islamischen Staates« gewesen. Mit ägyptischer, russischer sowie französischer Militärhilfe wurden die Extremisten schließlich nach Tripolis vertrieben, der Preis für den Sieg waren allerdings die großflächige Zerstörung der Innenstadt von Bengasi und Hunderte zivile Opfer. Viele Kritiker von Haftars Militärdiktatur landeten im Gefängnis.

Die Bürger in Tripolis versuchen derweil, die Kämpfe am südlichen Stadtrand noch zu ignorieren. Cafés und Einkaufszentren waren auch am Wochenenden gut besucht, der Stadtflughafen Maitiga wird weiter angeflogen.

Laut einer Umfrage der Nichtregierungsorganisation »Lapor« aus Gharian von Anfang des Jahres wünschen sich viele Libyer nach der Milizenwillkür der vergangenen Jahre die Rückkehr starker Institutionen. Die in Ost und West gespaltene libysche Armee wurde von 70 Prozent der Befragten als wichtigste zukünftige Institution genannt. Mit dem Angriff Haftars auf Tripolis wird eine Vereinigung allerdings immer unwahrscheinlicher.

Mit versteinertem Gesicht kommentierte der am Donnerstag erstmals nach Tripolis gereiste UN-Generalsekretär António Guterres vor libyschen Journalisten die Kämpfe. Der portugiesische Diplomat wollte auf der Pressekonferenz eigentlich Zeitpunkt und Ziel der in zwei Wochen geplanten »Nationalen Konferenz« für das Land verkünden, auf der ein Fahrplan für Parlamentswahlen und das Ende der Ost-West-Spaltung Libyens diskutiert werden sollte. Doch Haftar kam den Vereinten Nationen mit der Verkündigung seiner »Stunde Null« zuvor - und so beließ es Guterres dabei, von den Kriegsparteien Mäßigung zu fordern. Bei seinem darauffolgenden Besuch in Haftars Hauptquartier bei Bengasi warb Guterres erfolglos für die Einstellung der Kämpfe.

An einem Kompromiss dürften die internationalen Verbündeten Haftars und der Milizen kein Interesse haben. Afrikas ölreichstes Land exportiert soviel vom Schwarzen Gold wie nie zuvor seit der Revolution von 2011. Haftars Armee kontrolliert mittlerweile die meisten Ölquellen. Russland, die Emirate, Ägypten und Saudi Arabien setzen auf lukrative Verträge in Haftars Einflussgebiet. Milizen aus Misrata und Zauwia erhalten nach einem im Dezember veröffentlichten UN Expertenbericht dagegen Waffen aus der Türkei und aus Katar.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.