Bauen, bauen, bauen: Vier Mythen zur Enteignungsdebatte

Falsche Vergleiche, das vermeintlich arme Berlin und abgestandene Sozialismus-Klischees: in der Enteignungsdebatte wimmelt es von schrägen Argumenten

  • Moritz Wichmann
  • Lesedauer: 8 Min.
Eine kleine Gruppe linker Aktivisten von der Kampagne »Deutsche Wohnen und Co enteignen« hat es geschafft und das erreicht, was die Immobilienwirtschaft vermeiden wollte. Bundesweit wird derzeit über die Enteignung von Immobilienkonzernen debattiert. Laut einer Studie der Rosa-Luxemburg-Stiftung wären vermutlich elf Unternehmen, die über 3000 Wohnungen besitzen, von der Enteignung betroffen. Doch ganz genau weiß man das nicht, wegen fehlender Daten aus dem verschwiegenen Immobiliensektor. In der Debatte werden, wie bei jeder schmutzigen Politkampagne, neben einer guten Portion Sozialismus-Klischees auch allerhand rhetorische Manöver gefahren, die bestenfalls blödsinnig sind, vermutlich aber bewusst in die Irre führen sollen. Zeit mit ein paar Mythen aufzuräumen.

Mythos Nr. 1: Da hilft nur »Bauen, bauen, bauen«

Es ist das derzeit wahrscheinlich am meisten verwendete, scheinbar einfache, aber auch kräftig in die Irre führende Argument. Warum? Weil hier Äpfel mit Birnen verglichen werden. Natürlich wird mit der Vergesellschaftung von wahrscheinlich elf betroffenen Immobilienkonzernen in Berlin erst einmal keine einzige neue Wohnung gebaut. Aber darum geht es auch nicht. Mit der Vergesellschaftung würden circa 243.000 Wohnungen unter öffentliche Kontrolle gebracht werden. Deren Mieter könnten vor weiteren Mietsteigerungen und Verdrängung geschützt werden. Insgesamt fehlen derzeit laut einer Studie des Stadtsoziologen Andrej Holm 300.000 Wohnungen, die für »leistbaren Mieten« von bis zu 30 Prozent des Durchschnittseinkommens der Berliner vermietet werden. Der »größte« Teil davon müsse »aus dem Bestand kommen«, so Holm gegenüber »nd«.

Natürlich würde die Vergesellschaftung nicht das Problem lösen, dass in Berlin zu wenig Wohnungen neu gebaut werden, um den sich zwar langsam abschwächenden aber doch steten Zufluss von Neu-Berlinern aufzunehmen. 2017 waren es 38.000, im ersten Halbjahr 2018 – die Zahlen für das gesamte Jahr sind noch nicht erhältlich – rund 12.000. Tatsächlich muss mehr gebaut werden, aber nicht so, wie es die Immobilienwirtschaft derzeit tut. Deswegen ist es reichlich schräg, wenn ihre Vertreter nun plötzlich der Politik Untätigkeit vorwerfen. Dass in Berlin nicht mehr neue Wohnungen fertiggestellt werden liegt nur zu einem (sehr) kleinen Teil an der in den Talkshows von den Lobbyisten der Immobilienwirtschaft immer wieder beklagten vermeintlich unüberwindlichen staatlichen Bürokratie.

Die Neubaulücke – also neue Wohnungen, die bis 2030 gebaut werden müssten – beziffert die Sentatsverwaltung auf 194.000 Wohnungen. Tatsächlich wird der rot-rot-grüne Berliner Senat knapp das selbst gesetzte Ziel von 30.000 neuen städtischen Wohnungen, die bis zum Jahr 2021 von den kommunalen Wohnungsbaugesellschaften gebaut werden sollen, leicht verfehlen. Doch noch vor einigen Jahren wurden nur 1000 bis 3000 Wohnungen pro Jahr neu gebaut. Ein Grund dafür: Die Baubranche hatte als Reaktion auf den Bauboom der 90er Jahre hohe Kapazitäten aufgebaut, die dann zu Überkapazitäten wurden, als die Auftragslage einbrach. Aufgrund dieser Erfahrung ist die Branche zögerlich damit, noch mehr Arbeiter einzustellen. Sie leidet nun aber zusätzlich auch unter Lehrlingsmangel. Das heißt: Selbst wenn es noch viel mehr Baugenehmigungen gäbe, derzeit könnte nicht viel mehr gebaut werden, als sowieso getan wird.

Die Zahl der Baugenehmigungen ist zuletzt leicht gesunken. 2018 wurden in Berlin rund 24.000 Baugenehmigungen erteilt. Das sind rund zwei Prozent weniger Bauerlaubnisse als noch im Jahr zuvor. Doch die Erteilung von Baugenehmigungen nützt nichts, wenn nicht gebaut wird. Derzeit gibt es einen Überhang von 60.000 nicht realisierten Baugenehmigungen – die werden offenbar auch von den Bauherren gezielt verschleppt, die auf Profite durch die weiter steigenden Bodenpreise hoffen. Der Markt versagt offenbar bei der Bereitstellung von günstigem Wohnraum.

Mythos Nr. 2: Das kann sich das arme Berlin nicht leisten

Berlin hat vor allem wegen eines Bankenskandals in den 90er Jahren, in den auch CDU-Politiker verwickelt waren, 58 Milliarden Euro Schulden. Und da soll sich die Stadt, die vermeintlich »arm und sexy« ist, auch noch zusätzliche Schulden von 36 Milliarden Euro aus der Enteignungsentschädigung aufbürden? Von diesen Kosten jedenfalls geht der Berliner Senat offiziell aus. Das klingt nach ziemlich viel, oder? Richtig. Dem entgegenzuhalten ist jedoch, dass Landesschulden über eine lange Zeit abgezahlt werden können. Der Bund etwa hat rund 1900 Milliarden Euro Staatsschulden und leistet sich trotzdem gerade das Baukindergeld für 9,8 Milliarden Euro. Bis Ende 2029 sollen besonders Besserverdiener in ländlichen Staaten wie Bayern von einer jährlichen Finanzspritze von 12.000 Euro zur Finanzierung des Eigenheims profitieren. Zudem zahlt der Bund weiterhin milliardenschwere Subventionierung für die Kohlekraft. Was man sich leisten kann und will, ist also eine politische Frage. Berlin ist derweil nicht mehr arm. In keiner anderen deutschen Stadt sind die Mieten in den letzten vier Jahren so rasant gestiegen, wie in der Hauptstadt. Das ist vielmehr ein Anti-Berlin Klischee, das von Deutschlands Konservativen gerne gepflegt wird, aber immer weniger stimmt.

Die Wirtschaft der Stadt ist in den letzten Jahren schneller gewachsen als die Wirtschaft im Bundesdurchschnitt. Das hat steigende Steuereinnahmen und 2018 einen Rekord-Haushaltsüberschuss von 2,1 Milliarden Euro generiert. In den nächsten Jahren wird sich das vermutlich auch nicht ändern, weil die Stadt weiter Geld und Touristen, Unternehmensrepräsentanzen und Start-up-Unternehmen anzieht. Bei der Annahme der Ratingagentur Moodys und liberaler Politiker, dass bei einer Enteignung von elf großen Immobilienunternehmen internationales Kapital und Unternehmen nicht mehr in Berlin und in Arbeitsplätze vor Ort investieren, handelt es sich um eine leere Drohung. In einer deutschen Kleinstadt, die stark von einem oder zwei größeren Unternehmen abhängig ist, könnte dies tatsächlich eintreten, nicht jedoch in der angesagten Hauptstadt. In Berlin werden große Unternehmen wie Daimler oder Siemens nicht auf neue Repräsentanzen oder ganze Forschungszentren verzichten können und wollen.

Doch viel wichtiger ist: Die Entschädigungssumme von 36 Milliarden, welche der Berliner Senat in Aussicht stellt, ist überhöht. Mehrere juristische Gutachten bestätigen: Es kann unter Marktwert entschädigt werden. Die Initiative »Deutsche Wohnen und Co enteignen« geht von 18 Milliarden aus, wenn mit der Methode des Senats gerechnet wird, hatte aber selbst zuvor noch geringere Enteignungskosten von 7 bis 13 Milliarden Euro genannt. Auch für andere Projekte nimmt das Land, beziehungsweise die Stadt, ständig Kredite auf. Weil bei Immobilienkrediten nur eine Anzahlung von in der Regel von etwa 20 Prozent Eigenkapital nötig sind, müssen nicht gleich 18 Milliarden aufgebracht werden. Die Ratenzahlungen für die Entschädigungen könnten über 30 Jahre lang allein durch die Mieteinnahmen gedeckt werden, ohne die Instandhaltung zu vernachlässigen und den Landeshaushalt zu belasten, rechnen die Aktivisten von »Deutsche Wohnen und Co enteignen« vor.

Mythos Nr. 3: Der Staat ist der schlechtere Vermieter

Die Mär der effektiveren Privatwirtschaft wird immer wieder verbreitet, auch in der aktuellen Enteignungsdebatte. Die »Deutsche Wohnen« lässt aber offenbar immer wieder Wohnungen verkommen, um dann Mieter bei Modernisierungen »herauszumodernisieren«. Auch »Vonovia« zockt offenbar immer wieder mit überhöhten Nebenkostenabrechnungen ab. Demgegenüber erhöhen die städtischen Wohnungsbaugesellschaften die Miete seit zwei Jahren nur noch um maximal zwei Prozent pro Jahr. Ansonsten konzentrieren sie sich auf ihre Kernaufgabe: Wohnungen bereitstellen. Außerdem liegt bei ihren Neubauten der Anteil bezahlbarer Wohnungen im Vergleich zu denen privater Bauherren höher. Letztere bauen lieber höherpreisige Wohnungen und Luxuslofts, weil sich damit mehr Profit machen lässt. Doch Berlin braucht vor allem günstige neue Wohnungen.

Das Argument hat seinen Ursprung und einen wahren Kern im sozialdemokratischen Immobilienfilz der 80er Jahre, in denen Funktionäre den kommunalen Wohnungsbestand nicht immer effektiv führten. Doch die Macher von »Deutsche Wohnen und Co enteignen« haben in ihrer Initiative etwas eingebaut, das es damals und im real existierenden Sozialismus nicht gab. Eine Art Versicherung gegen Funktionärskorruption: die Mitbestimmung der Mieter bei der Verwaltung der künftig öffentlich verwalteten Wohnungen. Im BWL-Sprech gesprochen: So werden Anreize zur effizienten Verwaltung und eine unabhängige Aufsicht geschaffen.

Mythos Nr. 4: Das ist doch Sozialismus!

In Deutschland wird immer wieder enteignet, widerspenstige Bauern etwa, wenn eine Autobahn gebaut oder erweitert werden soll. Das ist nicht vergleichbar, weil es da nur kleine Akteure betrifft? Vielleicht. Enteignungen gab und gibt es in Deutschland aber auch in größerem Stil, von ganzen Dörfern im Rheinland etwa beim Braunkohleabbau durch RWE oder durch die Deutsche Bahn beim Streckenbau. Dabei gibt es keinen Aufschrei von CDU- und FDP-Politikern. Auch fadenscheinige Sozialismus-Vorwürfe gibt es in diesen Fällen nicht.

Wenn »Deutsche Wohnen«, »Vonovia« und Co per Volksbegehren enteignet würden, wären insgesamt rund 27 Prozent des Wohnungsmarktes in Berlin in städtischer Hand. Doch in Wien sind 60 Prozent aller Wohnungen städtisch – die Metropole ist trotzdem nicht als Hort des Sozialismus verschrien. Sie ist nicht bekannt für verfallende Häuserblocks oder etwa für Menschen, die mit Essensmarken auf Lebensmittel waren, oder welche Sozialismus-Klischees ihnen gerade einfallen, sondern eher für seine gemütliche Kaffeehauskultur.

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