• Kultur
  • Fantasy Filmfest Nights

Löcher in Menschen schießen

Zehn Filme in sieben Städten: die Fantasy Filmfest Nights.

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 3 Min.

Ich glaube nicht an ›Das ist deines‹ und ›das ist meines‹«, sagt Carlos. Carlos, ein androgyner Jüngling, 17 Jahre alt, hat einen hübschen Schmollmund, einen blonden Lockenkopf und viel Zeit. Und das bürgerliche Konzept Eigentum ist ihm schnuppe. Überhaupt, Regeln, Pläne, Vorschriften: Das sind, geht es nach ihm, überschätzte Dinge.

Wir befinden uns im Argentinien des Jahres 1971. Wenn Carlos Lust hat, geht er in ein Haus, das ihm gefällt, und stiehlt etwas. Nicht aber, weil er etwas besitzen möchte, das andere haben und er nicht. Das wäre ja schrecklich banal. Sondern weil Stehlen Spaß macht. Weil es gelebte Freiheit ist. »Ein Dieb zu sein, ist mein Schicksal«, so Carlos. Wir sehen ihn in einem mondänen großbürgerlichen Wohnzimmer, das nicht das seiner Eltern ist, gelangweilt umherschlendern und schauen zu, wie er sich ein Glas Whisky eingießt. Wir sehen ihn eine Schallplatte auflegen und tanzen. Später wird er mit derselben Nonchalance und demselben Gleichmut Löcher in Menschen schießen. Nicht, weil er diesen böse gesinnt wäre. Sondern weil Schießen leicht von der Hand geht.

Vorbild für den jungen, verführerischen und den kleinbürgerlichen Lebensentwurf seiner Eltern verwerfenden Carlos, die Hauptfigur in Luis Ortegas Film »The Angel«, war der in den 70ern wegen zahlreicher Diebstähle und Einbrüche und elf Morden zu lebenslanger Haft verurteilte Kriminelle Carlos Robledo Puch.

Ortegas Film atmet den Geist der 70er Jahre, selbst die Ästhetik und Typographie des Vorspanns ist erkennbar dieser Zeit entlehnt, auch die Farben sind farbiger, und die wiederholt in einigen Szenen mehr als nur angedeutete Homoerotik fällt in der Zeit, in der das Geschehen spielt, noch in den Bereich des Verbotenen und gesellschaftlich Geächteten. Als in einer Szene Carlos und sein Kompagnon Ramon ein Juweliergeschäft ausräumen und Ramon aus Angst, bei dem Verbrechen erwischt zu werden, in Hektik verfällt, ermahnt Carlos ihn: »Entspann dich, warum genießt du es nicht?« Für den adoleszenten Carlos ist das Ausplündern des Ladengeschäfts vor allem ein Vergnügen. Seine Verbrechen begeht er mit derselben somnambulen Verträumtheit, mit der er am Abendbrottisch seiner Eltern seinen Kartoffelbrei isst: sorglos und mit Leichtigkeit. Mitproduziert hat den Film übrigens der einschlägig bekannte Pedro Almodóvar.

Gezeigt wird »The Angel« im Rahmen der heute und morgen in sieben deutschen Städten stattfindenden Fantasy Filmfest Nights, die insgesamt zehn neue Produktionen aus den Genres Thriller/Horror/Action/Science- Fiction präsentieren. Darunter ist beispielsweise auch »Dragged Across Concrete«, der neue Polizei-Thriller des Schriftstellers und Regisseurs S. Craig Zahler, dessen Filme stets die nur mühsam gebändigte Gewalt, die unter der dünnen Firnis der Zivilisation lauert, zum Thema haben. Außerdem: der knallbunte und visuell extrem imponierende ungarische Animationsfilm »Ruben Brandt, Collector«, in dem die Kunst und Popkultur des 20. Jahrhunderts eine zentrale Rolle spielen, oder »You Might Be The Killer«, die neueste Variation der selbstreferentiellen, ironischen Teenie-Slasher-Komödie.

Fantasy Filmfest Nights, 13./14. April, in Berlin, Frankfurt, Hamburg, Köln, München, Nürnberg, Stuttgart. Programm unter: fantasyfilmfest.com.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.