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Öxit, Frexit, Swexit – lieber doch nicht

Wegen des Brexit streichen frühere EU-Austrittsbefürworter entsprechende Forderungen aus Programmen. Sie wollen nun die EU verändern.

  • Nelli Tügel
  • Lesedauer: 7 Min.

»Ich bin sehr froh über diese Entscheidung: Wir werden uns nicht dafür einsetzen, dass Schweden die EU verlässt.« Das ließ Jonas Sjöstedt, Chef der schwedischen Vänsterpartiet, der Linkspartei, im Februar 2019 wissen. Was gnadenlos aus der Zeit gefallen klingt, war eine spektakuläre Nachricht. Denn seit jeher hatte die Vänsterpartiet für einen Austritt aus der EU, einen Swexit, im traditionell europaskeptischen Norden geworben. Noch im vergangenen Jahr bestritt sie damit den Parlamentswahlkampf. Nun setzt sich die Partei, die sonst eher einer Mischung aus Grünen und Linken gleicht, »nur noch« für eine »sozialistische EU« ein.

Den Swexit aus dem Programm gestrichen haben - von der entgegengesetzten Position aus - auch die rechten Schwedendemokraten. Parteichef Jimmy Åkesson legte am 31. Januar 2019 in einem langen Beitrag für das konservative Boulevardblatt »Aftonbladet« mit dem Titel »Darum ändern wir unsere EU-Politik« dar, dass die Partei von nun an nicht mehr auf Austritt, sondern vielmehr auf eine grundlegende Veränderung der EU setze. Damit bewegt sich die Rechtspartei auf die Position der Regierungen in Warschau oder Budapest zu, denen es bei all ihrer Polemik in Richtung Brüssel nie um einen Austritt aus der EU ging, sondern darum, die Kräfteverhältnisse innerhalb der EU zu verschieben.

Einen ähnlichen Schwenk wie die Schwedendemokraten vollzog die rechte französische Rassemblement National von Marine Le Pen - ebenfalls im Januar 2019: Auch sie entfernte den Frexit in Vorbereitung auf die am 23. Mai beginnenden Europawahlen aus ihrem Programm. Und schon im vergangenen Jahr hatte die österreichische Rechts- und Regierungspartei FPÖ Abstand von der Idee eines Austrittsreferendums genommen, nachdem noch 2016 ein Öxit so sehr Thema gewesen war, dass er zum Unwort des Jahres gewählt wurde. Heute sagt die FPÖ, dass wegen der fruchtbaren Kooperation mit den Visegrad-Staaten sowie der wachsenden Zahl rechts geführter Regierungen in der EU für sie ein Referendum nicht mehr dringlich sei. Beim Treffen europäischer Rechter am Montag im italienischen Mailand war die Rede von einer »anderen« EU, nicht von deren Ende. Im Europawahlprogramm der AfD ist der Dexit gleichfalls nur noch die »ultima ratio«. Die EU solle nur dann verlassen werden, wenn sie nicht »in angemessener Zeit« verändert werden könne. Das war eine deutliche Abschwächung des Programmentwurfes, in dem noch ein Dexit bis zum Jahr 2024 stand.

Exit-Hochstimmung 2016

Im Juni 2016 hatte die Welt der Exiter noch ganz anders ausgesehen: Nach dem Referendum vom 23. Juni, bei dem eine knappe Mehrheit im Vereinigten Königreich für den Austritt des Landes aus dem europäischen Staatenbund votierte, herrschte Hochstimmung - vor allem unter den mittel- und nordeuropäischen Rechtsparteien.

Dass Swexit, Frexit, Öxit und so weiter nun nicht mehr hoch im Kurs stehen, ist auch Folge des Tauziehens um den Brexit, dessen Zeuge die europäische Öffentlichkeit seit nunmehr zwei Jahren ist. Dass der Brexit-Prozess als abschreckendes Beispiel fungiert und damit die Popularität von Exit-Forderungen rapide abnimmt, darf dabei wohl durchaus als Teil des Kalküls der EU-Unterhändler gelten. Schon früh war aus Brüssel, Paris und Berlin zu vernehmen: Der Brexit darf keinesfalls Schule machen. Das ist aus der Innenlogik der Union heraus sehr nachvollziehbar. Hätte sich ein Dominoeffekt eingestellt, wäre dies unter Umständen das Todesurteil für die EU gewesen. Ihre nur selten beachtete Verhandlungstaktik zielte daher von Beginn an darauf ab, am Vereinigten Königreich ein Exempel zu statuieren. Nach dem Motto: Ihr könnt schon gehen, aber schön wird das nicht.

Die Strategie der EU

So war beispielsweise eine Verhandlungsmaxime der EU-Unterhändler, dass die zukünftigen Beziehungen, etwa ein Freihandelsabkommen zwischen EU und dem Vereinigten Königreich, erst dann auf den Tisch kommen sollen, wenn der Austrittsvertrag in trockenen Tüchern ist. Die britische Seite hingegen wollte beides parallel verhandeln, biss diesbezüglich aber auf Granit. Wenn nun die EU streng fordert, man müsse jenseits des Ärmelkanals wirklich mal entscheiden, was man eigentlich wolle, wird dabei elegant unter den Tisch fallen gelassen, dass das jetzige »Chaos« vor allem an der sogenannten Backstop-Klausel zur inneririschen Grenze hängt. Dabei gäbe es diese vielleicht gar nicht, wenn parallel zum Austrittsvertrag die zukünftigen Beziehungen schon verhandelt worden wären.

Die Politikwissenschaftlerin Sabine Riedel von der Stiftung Wissenschaft und Politik sagte dem »nd«, es sei eigentlich »völlig irrational« und unverständlich, dass Michel Barnier - der Verhandlungsführer der EU - auf den Vorschlag aus London, Austritt und Zukunft parallel zu verhandeln, niemals einzugehen bereit war. Sie erinnert daran, dass der Schlüssel für ein mehrheitsfähiges Brexit-Abkommen eben nicht allein in der Hand des Vereinigten Königreichs liegt. Vielmehr trage die EU »im gleichen Maße Verantwortung für die aktuelle Lage und die Gefahr eines ungeregelten Brexits«, heißt es in einem aktuellen Papier Riedels zur nordirischen Frage. Gegenüber »nd« ruft sie zudem in Erinnerung, dass Barnier nicht nur das parallele Verhandeln von Austritt und Zukunft verhinderte, sondern zudem im Juli 2018 auch den sogenannten Chequers-Plan der britischen Regierungschefin rundweg ablehnte - obgleich dieser einen konkreten Vorschlag zur Lösung der inneririschen Grenzfrage beinhaltete. Es gab also durchaus Möglichkeiten, als EU den Brexit »schonend« abzuwickeln.

Diese Möglichkeiten wurden aber nicht genutzt. Stattdessen gibt es nun das »Brexit-Chaos«. Langfristig ist es sicher nicht im Interesse der EU, wenn das Vereinigte Königreich in der Dauerkrise steckt. Doch kurzfristig profitiert der Staatenbund auch davon, dass der Brexit schon fast als unrealisierbar erscheint. Im Sommer 2016 noch drohende Nachahmungseffekte konnten so eingefangen werden: Austreten will nun niemand mehr ernsthaft, zumindest nicht aus der EU. In Schottland gibt es hingegen Bestrebungen, sich vom Vereinigten Königreich zu lösen, um Teil der EU bleiben zu können. Und in Irland wird offen und quer durch die politischen Lager über die Vereinigung mit Nordirland gesprochen, als sei dies keine Frage des ob, sondern nur noch des wann, meint Riedel. Sie sagt: »Barnier hat nicht die Interessen aller 27 EU-Staaten vertreten als Verhandlungsführer, sondern die jener Kräfte in der EU, die mit der Integration schneller vorankommen wollen.« Dennoch hat er es geschafft, dass zumindest nach außen die EU-27 in Sachen Brexit fest zusammenhielten - so fest wie gegenwärtig in kaum einer anderen Frage.

Allerdings: Auf die Verfasstheit der EU wirft diese Strategie des Zusammenhalts durch Bestrafung eines Dritten - des Vereinigten Königreichs - kein gutes Licht. Ein Bündnis, das sich quasi mit schwarzer Pädagogik mühsam am Leben hält, ist von der berühmten Wertegemeinschaft zum Nutzen aller weit entfernt.

Linke bleiben seltsam blass

Auch hat der Spurwechsel, statt EU-Austritt nun deren Veränderung zu fordern, die Rechten nicht geschwächt. Im Gegenteil: Dass sie ihn so geschmeidig vollziehen konnten, liegt auch an ihrem wachsenden Einfluss in der EU. Diese wird zwar noch immer von Deutschland und Frankreich dominiert, doch zeigte sich schon 2017 im Streit um die Verteilung von Flüchtlingen mit der Visegrad-Gruppe, dass die Macht Brüssels, EU-Beschlüsse auch durchzusetzen, begrenzt ist. Seither ist das Brüssel-feindliche, auf die rechte Reform und die Subsidiarität - sie nennen es Souveränität - setzende Lager gewachsen, mit Schwarz-Blau in Österreich, vor allem aber durch die Wahl von Lega und Fünf-Sterne-Bewegung in Italien.

Die Linken, in deren Händen in den 1990er und Nullerjahren EU-Kritik exklusiv lag, bleiben dabei seltsam blass. Mit oft stummem Entsetzen blicken sie auf das, was um den Brexit herum geschieht oder ändern, wie die Vänsterpartiet, als Reaktion auf dieses Schauspiel ihr Programm. Anderswo gibt es Spaltungen: So wie im Vorfeld der EU-Wahlen zwischen der Europäischen Linken, zu der etwa die Linkspartei und Syriza gehören, und Maintenant le Peuple, dem von Podemos, La France Insoumise, den Skandinaviern und dem portugiesischen Bloco de Esquerda gebildeten Wahlbündnis. In der im April 2018 von diesem verfassten Erklärung von Lissabon war zumindest noch vom Austritt aus den EU-Verträgen die Rede.

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