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Antisemitische Gewalt wird bagatellisiert

Steigende Zahl antisemitischer Vorfälle in Berlin

  • Claudia Krieg
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Hemmschwellen sinken. Die Angriffe werden gewalttätiger und direkter. »Wir stellen im Vergleich zu den vergangenen Jahren eine zunehmende Bereitschaft fest, antisemitische Aussagen mit konkreten Gewaltandrohungen zu verbinden oder ihnen gar Gewalt folgen zu lassen.« Benjamin Steinitz, Projektleiter der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) in Berlin, stellt am Mittwoch im Anne-Frank-Zentrum die Jahresbilanz 2018 vor: mit einem Anstieg um 14 Prozent insgesamt 1083 antisemitische Vorfälle, davon 46 Angriffe, 43 gezielte Sachbeschädigungen, 46 Bedrohungen, 831 Fälle verletzenden Verhaltens (darunter 48 Versammlungen) sowie 117 antisemitische Massenzuschriften.

Den erhöhten Zahlen, so Steinitz, läge eine »Verrohung« zugrunde, die »nicht im luftleeren Raum« anzusiedeln ist. Gerade niedrigschwellige Formen von Antisemitismus an Orten, an denen sich Personen regelmäßig aufhalten, wie Wohnumfeld und öffentliche Verkehrsmittel, tragen zu stärkerer Bedrohung bei. Hier könnten sich die Angegriffenen den Attacken schwerer entziehen.

Antisemitismus in Berlin

Die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) erfasste für 2018 insgesamt 1083 antisemitische Vorfälle in Berlin. Vor allem Einzelpersonen (368) waren deutlich häufiger betroffen als in den Vorjahren, viele davon an Alltagsorten. Die Zahl der Fälle mit besonderem Gefährdungspotenzial hat sich mehr als verdoppelt (von 18 auf 46), nahezu verdoppelt hat sich auch die Zahl der Bedrohungen (von 26 auf 46). (siehe: www.report-antisemitism.de)

RIAS wurde 2015 vom Verein für Demokratische Kultur (VDK) gegründet und wird unter anderem vom Berliner Landesprogramm gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus gefördert.

Berlin hat seit März 2019 ein Landeskonzept zur Weiterentwicklung der Antisemitismus-Prävention in den Bereichen »Bildung und Jugend«, »Justiz und Innere Sicherheit«, »Jüdisches Leben in der Berliner Stadtkultur«, »Wissenschaft und Forschung« und »Antidiskriminierung, Opferschutz und Prävention«.

»Wir erleben eine Verschiebung vom Sagen zum Tun.« Bianca Klose, Geschäftsführerin des Vereins für demokratische Kultur (VDK) und Leiterin der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin, gibt bei der Vorstellung des Berichts zu bedenken, dass auch viele Menschen angegriffen und bedroht werden, weil sie sich gegen Antisemitismus und zu einer offenen und demokratischen Gesellschaft bekennen. Um zu verstehen, warum sich gewaltbereite Akteure dazu ermächtigt fühlen, müsse man nicht nur nach »ganz rechts« schauen». Auch in der sogenannten Mitte der Gesellschaft werden antidemokratische Grenzüberschreitungen mehr und mehr möglich.

Das rechte Narrativ von Antisemitismus als einem «importierten Problem», dass auf den angeblich vor allem bei muslimischen Eingewanderten vorkommenden Antisemitismus abzielt, lasse sich quantitativ überhaupt nicht bestätigen, sagt Benjamin Steinitz. Hier werde Antisemitismus für die eigene flüchtlingsfeindliche Argumentation genutzt.

Die Debatte um Antisemitismus in der Schule, so die die jüdische Bloggerin Juna Grossmann, fokussiere zu häufig auf Schüler*innen. Gerade bei Lehrkräften sei zu beobachten, dass es hier nicht genug Sensibilität für Antisemitismus und ebenfalls nicht genug Empathie mit Betroffenen gebe. «Negieren und bagatellisieren» sei ein gängiger Umgang. Bianca Klose fordert daher mehr Qualifizierungen im Sinne des Dreiklangs «Wahrnehmen, deuten, Handeln», wie die MBR sie anbietet. Schon Lehramtsanwärter*innen in der ersten Ausbildungsphase und Quereinsteiger*innen müssten diese verpflichtend absolvieren.

«Wir haben ein Antisemitismusproblem. Es ist gewachsen und in unserer Gesellschaft verfestigt», kommentiert Berlins Justizsenator Dirk Behrendt (GRÜNE) den neuesten RIAS-Bericht. Sigmount Königsberg, Antisemitismusbeauftragter der Jüdischen Gemeinde Berlins erhofft sich von Politik und Justiz mehr Konsequenz bei der Umsetzung des Landeskonzepts. «Es muss häufiger Anklage erhoben werden.» Er gehe nach einer Studie der EU-Kommission davon aus, dass 80 Prozent der von Antisemitismus Betroffenen die Vorfälle nicht melden, geschweige denn zur Anzeige bringen würden.

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