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Goldrausch im Klassenzimmer

Renditehungriges Kapital drängt in die Bildung - nicht nur im globalen Süden.

  • Axel Berger
  • Lesedauer: 6 Min.

Eine der wenigen Konstanten in der personell flatterhaften Regierung von US-Präsident Donald Trump ist Bildungsministerin Betsy DeVos. Die Milliardärin ist freilich eine bizarre Besetzung. Nachdem sie laut der »Süddeutschen Zeitung« über Jahre Millionen an Senatsmitglieder gespendet hatte, um im Februar 2017 knapp im Amt bestätigt zu werden, arbeitet sie nun daran, ihr Amt überflüssig zu machen - offensichtlich zum Gefallen ihres Chefs.

Bereits vor ihrer Nominierung nannte die evangelikale Fundamentalistin, die ihre eigenen Kinder über Jahre zu Hause unterrichtet hat, ein staatliches Bildungssystem »völlig inakzeptabel«. Seitdem führt sie gemeinsam mit konservativen Think Tanks, Lobbyorganisationen und Bildungspolitikern beider Parteien ihren Kreuzzug für die Privatisierung des Bildungswesens.

Aktuell sind »Charter Schools« das zentrale Segment der sogenannten »School-Choice«-Bewegung, der sich die langjährige Vorsitzende der Republikanischen Partei in Michigan verschrieben hat. Die zehn Prozent der Schüler, die traditionelle konfessionelle und elitäre Privatschulen besuchen, lassen sich trotz aller Förderung durch Gemeinden und Bundesstaaten wegen der horrenden Gebühren kaum steigern. Demgegenüber ermöglicht es dieser neue Schultyp, der auf Verträgen zwischen privaten Betreibern und den sie komplett finanzierenden staatlichen Einrichtungen beruht, das staatliche Schulsystem flächendeckend zu attackieren - und öffentliche Gelder in private Taschen zu lenken.

Verlässliche Zahlen hierzu gibt es wenig. Doch das Wirtschaftsmagazin »Forbes« schwärmte im August 2018 von diesem Geschäftszweig, der vor allem in den Wohnstätten der gehobenen Mittelschicht boomt. Denn in den USA richtet sich der an die Schule ausgezahlte Etat nach den finanziellen Möglichkeiten der Gemeinde. So sind die Zuschüsse an Schulen in New York City mit über 18 000 Dollar pro Schüler mehr als dreimal so hoch wie in ländlichen oder überwiegend schwarzen Habitaten. Hinzu kommen bundesstaatliche Anschubfinanzierungen für Schulgründungen. In den vergangenen beiden Jahren hob Trump dieselben zulasten von zusätzlichen öffentlichen Schulen um jeweils 1,4 Milliarden Dollar an.

Damit entfällt auch ein Großteil der bildungspolitischen Regulierungen, etwa in Bezug auf Lehrpläne, die Bezahlung der Lehrkräfte oder Zuweisungen von Schülern. So sind die mittlerweile 7000 Charter Schools nicht nur Einfallstore für die Brechung der Lehrertarife und die soziale Selektion der Kinder - die konservative »Brookings Institution« sprach 2017 von einer »Wiederkehr der Segregation« -, sondern auch für evangelikale Irrlehren: Nach Berichten der texanischen Schulbehörde wird an 20 Prozent dieser Schulen Kreationismus gelehrt.

Aufgekommen war diese Schulform in den frühen 1990er Jahren, mittlerweile ist sie in allen Bundesstaaten legal. Ihr Siegeszug begann unter Barack Obama - mit dem »progressiven« Versprechen besserer Wahlmöglichkeiten, Unterrichtsreformen, Inklusion und Minderheitenförderung. So waren in DeVos’ demokratisch regiertem Heimatstaat Michigan bereits bei ihrem Amtsantritt 80 Prozent der Schulen Charter Schools - während zugleich allein in der Metropole Detroit 195 der 288 öffentlichen Schulen geschlossen worden waren.

Überraschend ist das kaum. Das Bildungswesen rückt weltweit in den Fokus, weil enorme Anhäufungen überakkumulierten Kapitals nach Rendite suchen. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) taxierte das Potenzial des Bildungsmarktes 2012 auf etwa 2,2 Billionen US-Dollar und verdoppelte diese Zahl 2018. Und Investoren sehen noch größere Möglichkeiten. Tegwen Le Berthe - Geschäftsfinder einer Tochter der europaweit größten Anlagegesellschaft Amundi - prognostizierte gegenüber dem Magazin »Das Investment«, die globalen Bildungsausgaben würden bis 2030 »auf zehn Billionen US-Dollar« steigen. Der Bildungsmarkt wachse »nicht nur rasch und ist profitabel, er steht auch vor einem gewaltigen Umbruch und birgt damit riesiges Potenzial.«

Damit rennt der Experte offene Türen ein. In dem bemerkenswerten Sammelband »The State, Business and Education Public: Private Partnerships Revisited« haben die Entwicklungswissenschaftlerinnen Gita Steiner-Khamsi und Alexandra Draxler kürzlich Fallstudien zu Bildungsprivatisierung in verschiedensten Ländern veröffentlicht. Vor allem in den Entwicklungs- und Schwellenländern greife derzeit die Privatisierung - gefördert vom Internationalen Währungsfonds, der Weltbank, der US-Behörde für Entwicklungszusammenarbeit (USAID), dem britischen Ministerium für Internationale Entwicklung (DFID) und anderen Trägern. Wie in den USA und auch in Europa öffne man »mit Phrasen wie dem Bekenntnis zur Inklusion, der Berücksichtigung von Diversität und der Vielfalt individueller Entwicklungsgänge« einen riesigen Markt dem Profit - und konterkariere das »Recht auf freie und tief greifende Bildung«, schreiben die Herausgeberinnen. Real gehe es freilich weder um Reformpädagogik noch Inklusion, sondern um Unterricht nach Drehbuch, international abgestimmte Lernverfahren, vorgeschriebene Ergebnisse sowie Messbarkeit der Leistungen.

Zu begutachten ist dies an den »Low Fee Private Schools«, also Privatschulen mit niedrigen Gebühren, die derzeit vor allem in Südostasien, Afrika und Lateinamerika boomen. So unterschiedlich die Entwicklungen erscheinen, so ähnlich sind sie dann doch. In Indien schöpft der weltgrößte Bildungsdienstleister - Pearson - mittels seines für diese Discount-Privatschulen gegründeten »Pearson Affordable Learning Fond« (PALF) durch Public-private-Partnerships die Reste des eingedampften staatlichen Bildungsbudgets ab - und viele Familien müssen nun bis zu 30 Prozent ihres Einkommens für Beschulung ausgeben. In Bangladesch investiert die dort umsatzstärkste Nichtregierungsorganisation BRAC internationale Gelder, in Afrika wirken vermeintliche Philanthropen: Stets gehe es um eine »faktische Demontage öffentlicher Bildung« - und kämen erschütternde Zustände an Schulen heraus, resümieren die Erziehungswissenschaftlerinnen Carole Anne Spreen und Sangeeta Kamat in dem Band am Beispiel des indischen Hightech-Standortes Hyderabad.

Insbesondere die vor allem in Afrika verbreiteten »Bridge International Academies« (BIA), die von Pearson, den Multimilliardären Bill Gates, Mark Zuckerberg und Pierre Omidyar sowie diversen Entwicklungshilfeorganisationen beziehungsweise der Weltbank finanziert werden, werfen ein grelles Licht auf die Praxis privater Billigschulen. Im Geschäftsbericht 2015 hatte das gerne als altruistisch posierende Unternehmen Investoren »Einnahmen von einer Milliarde Dollar im Zeitraum von zehn Jahren« versprochen. Wie dies funktioniert, konnte, wer wollte, zuletzt in Uganda beobachten. Dort musste die Regierung 2016 wegen unzureichender Standards bei der Ausbildung des Lehrpersonals, der Hygiene und der Ausstattung die Schließung aller 63 BIA-Akademien veranlassen.

Langfristig war dies vermutlich eher ein kleiner Rückschlag. Vor allem die IT-Giganten scheinen auf einen riesigen Markt erpicht, der für 2020 auf 75 Milliarden Dollar geschätzt wird. »IT-Lernanbieter stehen bereit, um von diesem Markt zu profitieren, einschließlich Pearson mit seinen Angeboten an Inhalten und Tests, oder Mobilnetzwerkbetreiber und Firmen, die Software, Baukastensysteme und Computertablets bereitstellen«, schreiben Spreen und Kamat. Dass - wie die OECD bereits 2011 in einem groß angelegten Vergleich anlässlich der siebten PISA-Studie festgestellt hatte -, Privatschulen trotz insgesamt höherer Budgets keineswegs bessere Ergebnisse erzielen, wenn man soziale Faktoren wie etwa den Bildungsstand der Eltern oder die Lernumgebung herausrechnet, sondern dass sie im Gegenteil die soziale Undurchlässigkeit von Gesellschaften noch verstärken, ficht diese falschen Bildungspioniere nicht an.

Selbst »Forbes« schrieb vergangenen August nach Durchsicht verschiedener Studien , »dass die Interessen der Schüler und der Geschäftsinteressen an Schulen offensichtlich im Gegensatz« stehen. Aufhalten wird dies die Investoren allerdings kaum.

Axel Berger lebt als Gymnasiallehrer und Autor in Berlin.

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