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Ohne demokratische Kontrolle
Thüringer Koalition ging erst spät gegen umstrittenen Staatsanwalt Zschächner vor
Es war an einem Freitag im September 2016, als die Landtagssitzung schon fast beendet schien - und es im Thüringer Landparlament plötzlich unerwartet lebhaft wurde. Vielleicht, weil sich eine ganz große Koalition formierte, der alle im Landtag vertretenen Parteien außer der AfD angehörten. Sicher, weil damals über die Weisungsbefugnis des Justizministers gegenüber den Staatsanwaltschaften gestritten wurde. Ein Thema, das seit Jahren kontrovers diskutiert wird.
Es hat seit ein paar Wochen eine aktuelle Relevanz bekommen. Nun, da jener Geraer Staatsanwalt zumindest vorläufig von seinen bisherigen Aufgaben entbunden worden ist. Er hat zahlreiche Verfahren gegen mutmaßliche und tatsächliche Rechte eingestellt, dafür aber einen erstaunlichen Verfolgungswillen gegenüber Linken gezeigt. Der Staatsanwalt mit Namen Martin Zschächner, der auch das inzwischen eingestellte Ermittlungsverfahren gegen das Zentrum für Politische Schönheit (ZPS) wegen des Verdachts der Bildung einer kriminelle Vereinigung zu verantworten hat. Es dauerte 16 Monate.
Gegen die Aktionskünstler des ZPS war ein Verfahren eingeleitet worden, nachdem sie in Sichtweite des Wohnhauses vom AfD-Politiker Björn Höcke falsche Stelen eines nachgebauten Holocaustmahnmals aufgebaut hatten. Mit diesem »Denkmal der Schande«, das an das Holocaustmahnmal in Berlin erinnern sollte, reagierte das ZPS auf eine Rede Höckes im Januar 2017 in Dresden. Darin hatte der AfD-Mann den Berliner Erinnerungsort für die ermordeten Juden Europas als »Denkmal der Schande« bezeichnet.
2016 waren sich Vertreter von Linkspartei, SPD, Grünen und CDU untereinander und mit Thüringens Justizminister Dieter Lauinger (Grüne) einig; und uneinig mit der AfD. Die Einzelfallweisungen eines Justizministers gegenüber Staatsanwaltschaften bewerteten sie sehr kritisch. Immerhin, so hatte die CDU-Abgeordnete Marion Walsmann argumentiert, könne so eine Anordnung schnell gesetzeswidrig sein. »Wenn ein Justizminister anordnen würde, jemanden zu verfolgen, der unschuldig ist, eine Anklage zu erheben, dann ist das eine Straftat. Genauer gesagt: ein Verbrechen«, sagte sie. Wobei das Plenarprotokoll dieser Sitzung nach diesem Satz vermerkt: »Beifall LINKE, Bündnis 90/Die Grünen«.
Aber genauso einig waren sich die Ganz-Groß-Koalitionäre und Lauinger auch darin, dass in der Bundesrepublik und ihren Ländern eine grundsätzliche Weisungspflicht des Justizministers gegenüber den Staatsanwaltschaften unbedingt nötig ist. Lauinger argumentierte vor allem verfassungsrechtlich. »Es ist einem Justizminister nach dem derzeit geltenden Verfassungsrecht nicht möglich, sich aus der Verantwortung für eine ihm anvertraute Staatsanwaltschaft zu stehlen, indem er seiner Pflicht zur Aufsicht und Leitung der Staatsanwaltschaften nicht nachkommt«, sagte er. »Richtig ist vielmehr, einerseits eine sachgerechte Dienstaufsicht zu ermöglichen, andererseits Einflussnahme aus sachfremden Erwägungen auszuschließen.«
Mehrere Abgeordnete wiesen zudem darauf hin, dass der Justizminister die politische Verantwortung für das Handeln der Staatsanwaltschaften trage und er schon deshalb in der Lage sein müsse, zwar nicht in einzelne Ermittlungsverfahren, aber in ihr grundsätzliches Gebaren und Tun eingreifen zu können - dann also etwa, wenn sich zum Beispiel herausstellen sollte, dass ein bestimmter Jurist im Namen einer Staatsanwaltschaft immer wieder eigenartige Entscheidungen trifft. »Auch die Thüringer Staatsanwaltschaft bedarf einer demokratischen Kontrolle«, sagte die SPD-Justizpolitikerin Dorothea Marx. Immerhin müsse der Minister dann, »wenn seine Staatsanwaltschaft als Behörde nicht ordentlich arbeitet, dafür die politische Verantwortung übernehmen«. Das, auch da waren sich alle Ganz-Groß-Koalitionäre einig, gelte umso mehr, weil Staatsanwaltschaften keine Gerichte seien, sondern Behörden, von deren Unabhängigkeit im Grundgesetz - anders als bei den Richtern - kein Wort steht.
LINKE, SPD und Grüne müssen sich an diesen Worten aus dem Jahr 2016 noch heute messen lassen. Nun also, da mit dem Fall des Geraer Staatsanwaltes ein Vorgang öffentlich geworden ist, bei dem es den begründeten Verdacht gibt, dass der Mann in seiner Behörde »nicht ordentlich« gearbeitet hat, er sich bei seinen Ermittlungen von »sachfremden Erwägungen« - nämlich seiner politischen Einstellung - leiten ließ.
Medienberichte belegen, dass Lauinger und die Spitze seines Ministeriums spätestens seit Ende 2018 von den Vorwürfen wussten, in Gera gebe es ein grundsätzliches Problem im Staatsschutz-Dezernat. Unter anderem war im »Freien Wort« bereits im November in einem großen Bericht die Ermittlungspraxis der Staatsanwaltschaft Gera in Staatsschutz-Verfahren hinterfragt worden. Lauinger hat erst vor wenigen Tagen auf die Vorwürfe reagiert; mit dem Ergebnis, dass der umstrittene Staatsanwalt nun nicht mehr in der Staatsschutzabteilung der Behörde arbeitet.
Tatsächlich aber tun sich Vertreter des Bündnisses kurz vor dem Landtagswahlkampf schwer damit, Lauinger für seine Rolle in diesem Fall zur politischen Verantwortung zu ziehen. Auf die Frage, ob er das durch Berichte belegte Nicht-Handeln Lauingers in der Causa Gera über so viele Monate hinweg für richtig hält, lässt sich Regierungschef Bodo Ramelow (LINKE) nur mit einem Satz zitieren: »Ich habe keine Erkenntnisse zu etwaigem zögerlichen Handeln und beteilige mich nicht an Spekulationen.«
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