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Der Fokus liegt erneut auf Idlib
Neue Syrien-Gespräche in Kasachstans Hauptstadt / Iran, Russland und Türkei beraten Situation in Nordwestsyrien
Das Astana-Format zur Beendigung des Syrien-Krieges führt drei Akteure zusammen, die in Syrien unterschiedliche Ziele verfolgen. Iran und Russland unterstützen den syrischen Staat bei der Wiederherstellung ihrer Souveränität über das Territorium des Landes gegen regierungsfeindliche bewaffnete Gruppen, auch militärisch. Die Türkei hatte zu Beginn des syrischen Krieges 2011 zum Sturz von Präsident Baschar al-Assad aufgerufen und Milizen auf syrischem Gebiet bewaffnet. Daran hat sich prinzipiell bis heute wenig geändert.
Dennoch treffen sich die Staatsoberhäupter aller drei Länder seit Anfang 2017 regelmäßig zu Gipfelgesprächen auf Einladung Kasachstans in dessen Hauptstadt Astana, um einen Frieden für Syrien zu erreichen, wobei sie ihre Interessen natürlich wahren wollen. Auch beim heutigen Gipfel in der inzwischen in Nursultan umbenannten kasachischen Metropole sollen Recep Tayyip Erdogan, Wladimir Putin und Hassan Ruhani direkt zusammentreffen.
Andere im Syrien-Krieg mitmischende Staaten sehen das Astana-Format mit Argusaugen. EU-Staaten wie Deutschland und Frankreich schlugen ein Mitwirken aus, auch als Beobachter. Noch feindseliger verhalten sich die USA dazu. Ihr Syrien-Beauftragter James Jeffrey äußerte, dass man dem Astana-Prozess möglichst »den Strom abschalten« solle.
Wahrscheinlich hat das den Astana-Partnern und -Kontrahenten zugleich sogar über manchen toten Punkt bei den Gesprächen hinweggeholfen. Jedenfalls gibt es die Runden in Astana noch - im Gegensatz zu anderen in Genf oder Wien. Zusätzliche Gäste gibt es auch: Der UN-Sondergesandte Geir Pedersen (Norwegen) und Jordanien wollen als Beobachter teilnehmen. Angekündigt sind darüber hinaus Vertreter von Regierung und Opposition in Syrien. Ob sie am Ende aber kommen werden und auch gesprächsgewillt sind, bleibt abzuwarten. Zu gegenseitiger Akzeptanz und direktem Kontakt waren sie bislang nie bereit.
Auf der Tagesordnung ganz oben steht offiziell, wie es in der nordwestsyrischen Provinz Idlib weitergehen soll. Es ist die letzte von der bewaffneten Opposition gehaltene Bastion. Eigentlich sollte dort auf Drängen der westlichen Staaten eine demilitarisierte Zone um die Provinzhauptstadt Idlib entstehen, um eine drohende Offensive der Regierungstruppen abzuwenden. Diese fand auf Drängen Russlands in Damaskus denn auch nicht statt.
Auch Ankara hatte Verpflichtungen übernommen. Zur Umsetzung der Idlib-Vereinbarung sollte die Türkei Druck auf die Rebellen- und Dschihadistengruppen in und um Idlib ausüben, damit sie ihre Bewaffneten aus der ausgerufenen Pufferzone abzieht, die 15 bis 20 Kilometer breit ist. Doch das Gegenteil geschah. Vor allem die Dschihadistenallianz Hajat Tahrir al-Scham griff ihrerseits Regierungstruppen an und weitete ihren Herrschaftsbereich auf die gesamte Provinz aus. Die dort stationierten Türken konnten oder wollten es nicht verhindern.
Auch um die Ostertage gab es erneut heftige Kämpfe in der Region, die schwersten in Syrien seit den letzten Gefechten im Nordosten des Landes mit den Milizen des Islamischen Staates (IS). Innerhalb von 48 Stunden sollen rund 50 Regierungssoldaten von Islamisten getötet worden sein. Der IS bekannte sich über seine Plattform Amaq zu den Angriffen.
Es ist deshalb wenig vorstellbar, dass sich die syrischen Truppen im Landesnordosten, den sie bis auf Idlib kontrollieren, noch einmal ohne Gegenleistung von einer Offensive abhalten lassen. Darüber dürfte in Astana heute geredet werden. Sondierungen in der Sache hatte es bereits in den vorigen Woche gegeben.
So empfing Assad den iranischen Außenminister Mohammed Dschawad Sarif in Damaskus. Sarif betonte anschließend laut AFP, die wichtigste Frage bleibe »die Entwaffnung der Terrorgruppen und ihr Abzug aus Idlib«. Die »Garanten« der Vereinbarung zu der nordsyrischen Provinz - sein Land, Russland und die Türkei - müssten ihren Verpflichtungen nachkommen, sagte Sarif mit Blick auf die Türkei und Russland. Laut der Damaszener Zeitung »Al-Watan« hat Hajat Tahrir al-Scham inzwischen ihre Kontrolle auf die gesamte Provinz ausgeweitet. Dadurch komme es inzwischen wieder zu Fluchtbewegungen.
Das ist der neuralgische Punkt für die Türkei. Einerseits war sie bislang unerklärte Schutzmacht der muslimischen Fundamentalisten. Anderseits will sie auf keinen Fall eine durch deren Treiben ausgelöste neue Massenflucht über die türkische Grenze.
Gesprächsbedarf hat Erdogan aber auch zu den Positionen der »Partner« zu den kurdisch besiedelten Gebieten Syriens. Hier gibt es einen Interessenkonflikt mit den USA, die vorgeben, die kurdischen Interessen zu schützen. Moskau und Teheran haben sich dazu bislang nicht geäußert.
Lesen Sie auch zum Thema: »Es ist eine systematische Unterdrückung«. Eine Delegation aus Afrin berichtet von der brutalen Herrschaft der Türkei in der mehrheitlich kurdischen Provinz in Syrien.
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