Die Rückkehr der Hoffnung

Folge 145 der nd-Serie »Ostkurve«: Carl Zeiss Jena nutzt Psychotricks im Abstiegskampf

  • Matthias Koch
  • Lesedauer: 5 Min.

Wer genau hinsieht, wird am Sonntagmorgen wohl viele blau-gelb-weiße Schals in den Autos auf der A9 zwischen Thüringen und München erkennen können. Ab 13 Uhr wollen Hunderte Fans des Drittligisten FC Carl Zeiss Jena in der Auswärtspartie bei der Spielvereinigung Unterhaching ihrer Mannschaft helfen. Schließlich wollen sie weiter vom Klassenerhalt träumen.

Dafür muss dem Tabellenvorletzten ein Erfolg gelingen. Dabei waren die Randmünchner für Jena seit fast drei Jahrzehnten eine uneinnehmbare Festung. Den einzigen Sieg in zehn Vergleichen schossen im Juli 1992 (2:1) in einem Zweitligaspiel die Zeiss-Legenden Jürgen Raab und Olaf Holetschek heraus. Heutzutage ruhen die Hoffnungen vor allem auf Torwart Jo Coppens, Kapitän Rene Eckardt und Offensivspielern wie Manfred Starke und Phillip Tietz.

Dass überhaupt wieder gehofft wird, ist überraschend, denn Ende März war die Mannschaft sportlich tot. Nach dem 31. Spieltag trennte sie acht Punkte vom rettenden Tabellenufer. Der neue Schwung des Trainerwechsels im Dezember von Publikumsliebling und Vereinsinventar Mark Zimmermann zum ehemaligen Karlsruher Nachwuchscoach Lukas Kwasniok schien nach zwölf Spielen ohne Sieg verpufft. Acht Unentschieden und vier Niederlagen sorgten für Tristesse rund ums Ernst-Abbe-Sportfeld.

Dann aber folgten drei Siege in Serie gegen Energie Cottbus (2:1), bei Hansa Rostock (2:1) und gegen Wehen Wiesbaden (3:1). »Die aktuelle Stimmungslage ist sehr gut. Es ist ein Ruck durch die Mannschaft gegangen. Wir sind wieder auf Schlagdistanz«, sagt Jenas Klubpräsident Klaus Berka.

Mit 37 Punkten hat man vor dem viertletzten Spieltag nur noch einen Zähler Rückstand auf die Nicht-Abstiegsränge. Und der FC Carl Zeiss hat es in den ausstehenden Partien nur noch mit Mannschaften aus dem Mittelfeld der Tabelle zu tun, bei denen es also nach vorn und hinten kaum noch um etwas geht. Würzburg und 1860 München kommen noch nach Thüringen. Das letzte Auswärtsspiel der Saison steigt in Meppen. »Wir haben noch vier Spiele und wir brauchen sieben Punkte«, glaubt Vereinsboss Berka.

Jenas Macher sind derweil froh, dass sie in der Krise nicht den zweiten Trainertausch innerhalb einer Saison vollzogen haben und weiter aufs Team um Kwasniok setzten. Unumstritten ist der 37-jährige Fußballlehrer immer noch nicht, obwohl die Elf seit nun fünf Partien ungeschlagen ist. Beim Heimspiel am 23. März gegen Uerdingen (0:0) plakatierten die Fans der Südkurve gar ihren Frust. »Kwasniok: Halt die Fresse oder wir entlassen Dich!«

Kwasniok wurde seinerzeit vorgeworfen, dass er nicht mehr an den Klassenerhalt glauben würde. »Ich habe gesagt, dass wir Hoffnung haben, ich aber flunkern würde, wenn ich bei 100 Prozent Überzeugung wäre. Wir hatten acht Punkte Rückstand«, sagt Kwasniok. »Jetzt ist die Überzeugung wieder bei 100 Prozent. Es war bitter, dass mir eine ehrliche Antwort um die Ohren geflogen ist.«

Der Trainer probierte es mit einem Neustart. In der Kabine hängt nun eine 1,50 mal 1 Meter große Tabelle, die nur den Stand seit dem Sieg gegen Cottbus anzeigt. Dort liegt Jena hinter Aufsteiger Osnabrück und Zweiligaanwärter Halle auf Platz drei. Das Trio holte aus den vergangenen drei Spielen neun Punkte. Dieser Psychotrick soll den Kickern ihre momentane Stärke vor Augen halten.

Beobachtern zufolge hat sich Kwasniok auch gegenüber den Spielern zurückgenommen, auf die er zunächst wohl zu viel einredete. »Reden ist Silber und Schweigen ist Gold. Trotzdem haben wir nach wie vor einen nahen Umgang miteinander, würde ich behaupten - aber ein bisschen distanzierter«, beschreibt Kwasniok die veränderte Form der Kommunikation.

Der Verein kämpft auch an der wirtschaftlichen Front ums Überleben. Die Drittligalizenz seitens des DFB ist von der Erfüllung finanzieller Bedingungen abhängig. Und ein Abstieg ist ja nach wie vor möglich. »Wir haben für die 3. Liga und die Regionalliga geplant. Wir sind gewappnet, uns in beiden Ligen zu präsentieren«, sagt Präsident Berka. »Wir können auch in der Regionalliga mit einer Mannschaft antreten, die in der Lage ist, ganz vorn mitzuspielen.«

Finanziell hängt der Klub seit Januar 2014 am Tropf von Roland Duchatelet. Der belgische Investor hält sich aus dem sportlichen Geschäft heraus und taucht auch nur selten bei Spielen auf. Sein Vertrauensmann in Jena ist Geschäftsführer Chris Förster. Millionär Duchatelet musste in den vergangenen Jahren immer wieder mit Geld nachhelfen, um Löcher im Etat zu stopfen. Über sechs Millionen Euro sollen so in fünf Jahren in die Spielbetriebs GmbH geflossen sein. Was der Verein an Darlehen vor sich herschiebt, ist im Grunde aber nicht mehr zur Rückzahlung fällig. »Man nennt das Rückzahlung gegen Besserungsschein. Wir sind erst verpflichtet, Darlehen zurückzuzahlen, wenn der Klub mehrere Jahre ein Plus erwirtschaftet«, sagt Sprecher Andreas Trautmann.

Duchatelet setzte in den vergangenen Jahren auch auf Jena, weil er den Stadionneubau verwirklichen will. Er ist einer von mindestens zwei Bewerbern der europaweiten Ausschreibung. Wer den Zuschlag bekommt, entscheidet der neue Jenaer Stadtrat nach der Kommunalwahl im Mai.

Vereinspräsident Berka geht davon aus, dass die Bauarbeiten frühestens im Jahr 2020 beginnen. Er glaubt aber nicht, dass Duchatelet ein weiteres Engagement beim Verein von seiner Beteiligung am Stadionbau abhängig mache. »Wenn Roland Duchatelet den Zuschlag bekäme, wäre es für uns jedoch eine glückliche Entscheidung. Es würde im Interesse des Fußballs in Jena helfen«, erklärt Berka. »Man kann nur den Hut ziehen, wie er den Verein in den letzten fünf Jahren unterstützt hat. Er hat sein finanzielles Engagement jedes Jahr erneuert.«

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