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»Teilweise können sie Gesetze kapern«
Bericht von LobbyControl: Leichte Verbesserungen, aber Einfluss von Konzernen auf EU-Institutionen bleibt hoch
Die Zahlen sprechen für sich: 25.000 Lobbyisten sind nach Angaben der Transparenzinitiative LobbyControl in Brüssel aktiv, zwei Drittel von ihnen arbeiten im Auftrag von Unternehmen. Ihr Budget beträgt 1,5 Milliarden Euro. Diese Wirtschaftsvertreter haben aus Sicht der Initiative nach wie vor einen starken Einfluss auf politische Entscheidungen auf EU-Ebene. »Die Macht der Konzerne in Europa ist eindeutig zu groß«, sagte Imke Dierßen, politische Geschäftsführerin von LobbyControl, am Montag. Der Verein zog in Berlin eine Bilanz nach fünf Jahren Amtszeit von EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker. »Teilweise können sie (die Konzerne, d.A.) Gesetze und politische Prozesse regelrecht kapern«, führte Dierßen aus. »Die Regeln reichen weiterhin nicht aus.«
Die Folgen dieser Verflechtungen sind vielfältig. So sei laut LobbyControl beispielsweise der Stoff Bisphenol A trotz Verdachts, dass er die Hormone schädigt, weiterhin in Lebensmittelverpackungen enthalten. Handelsabkommen würden im Wesentlichen nach den Wünschen großer Unternehmen gestaltet. Und auch die Expertengruppe, die die EU-Kommission dabei unterstützen sollte, realistischere Abgastests für Fahrzeuge zu entwickeln, bestehe zu 70 Prozent aus Vertretern der Automobilindustrie.
LobbyControl begrüßte zwar Junckers Vorstoß, wonach sich Mitglieder der EU-Kommission, ihrer Kabinette und die Generalsekretäre seit Ende 2014 nur noch mit vertretern von Organisationen oder Konzernen treffen dürften, die in einem freiwilligen Transparenzregister stehen. Diese Treffen müssen laut Bericht veröffentlicht werden. Das habe das Register gestärkt, befinden die Autoren. »Brüssel hat bei der Lobbytransparenz und der Begrenzung von Interessenkonflikten Fortschritte gemacht«, sagte Dierßen. Die Organisation forderte aber gleichzeitig, dass die Registrierung rechtlich verpflichtend wird.
Zudem sollte die Regelung für alle EU-Institutionen gelten - so auch für den Rat der EU-Staaten, der aus Sicht der Autoren in Sachen Transparenz noch am meisten zu tun hat. Bisher schließt das Register nur Kommission und Parlament ein. Die EU-Institutionen verhandeln seit Jahren über ein verpflichtendes Register aller Organe.
LobbyControl wertete nach eigenen Angaben die Treffen von 22 der 28 EU-Kommissare aus. Gut jeder Dritte traf sich demnach zu über 70 Prozent mit Wirtschaftsvertretern. Bei weiteren sieben Kommissaren habe der Anteil bei mehr als 50 Prozent gelegen. Die EU-Institutionen müssten »die privilegierten Zugänge der Unternehmen beenden«, heißt es im Bericht. »Die EU muss auch denjenigen Gehör verschaffen, die sich keine teure Lobbyvertretung in Brüssel leisten können.«
Die Autoren betonten aber: Die EU sei bei Transparenz und ethischen Regeln für Lobbyismus ein gutes Stück weiter als Deutschland, wo es keine Informationen über Treffen von Politikern mit Lobbyisten gebe. Grade hier sei es dabei notwendig. So verwässere die Bundesregierung laut LobbyControl wirksame Abgastests. Auch wende sie sich gegen bessere Regeln beim Kampf gegen Steuervermeidung und -hinterziehung.
Auch Politiker stellten sich hinter die Forderungen von LobbyControl. »Brüssel hat ein Lobbyismusproblem, aber mittlerweile auch starke Transparenzregeln«, erklärte der Grünen-Europapolitiker Sven Giegold. Lobbyismus in der Bundespolitik sei jedoch noch undurchsichtiger. In Brüssel liege das Problem für den Abgeordneten vor allem bei den Mitgliedsstaaten. »Einseitiger und überbordender Lobbyismus ist eine regelrechte Geißel der europäischen Einigung, denn viele Menschen misstrauen den Entscheidungen aus Brüssel.«
Özlem Alev Demirel, Spitzenkandidation der Linkspartei für die Europawahl, kritisierte die mangelnden Kontrollmechanismen in der EU. »Für ein Europa der Menschen, nicht der Konzerne, braucht es klare Regeln«, so die Politikerin. Die Abgeordnete forderte ein verbindliches Lobby- und Transparenzregister, dazu solle die Anti-Korruptionsbehörde gestärkt und große Unternehmensspenden an Parteien verboten werden. Mit Agenturen
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