- Berlin
- 1. Mai in Berlin
Ein bunter Strauß Demonstrationen
Europawahl, Enteignungen und Rechtsruck: Die Themen am 1. Mai waren vielfältig
In bunten Kostümen und auf satirischen Plakaten fordern sie »Krieg den Hütten! Paläste für Alle!« oder »Burn Bratwurst not Porsche«. Noch sind es nur ein paar Dutzend junge Menschen, Familien und linke Gruppen, die sich gegen 13 Uhr am S-Bahnhof Grunewald sammeln und der Live-Band »Geigerzähler« lauschen. Unter dem Motto »Miteinander gegen ein Gegeneinander« hatte die Hedonistische Internationale dazu aufgerufen, wie bereits im vergangenen Jahr, im »Problembezirk« Grunewald gegen hohe Mieten zu demonstrieren. Schon im Bahnhof werden viele Anreisende von der Polizei durchsucht - Konfetti ist hier heute nicht erlaubt.
Einige Stunden zuvor, um 9.30 Uhr, stehen die Polizeisperren auf der Köpenicker Straße längst. Eine Gruppe von zehn jungen Leuten läuft an einer vorbei: »Revolution!« brüllt ein junger Mann zu den Polizeibeamten hinüber. »Mensch, sei doch mal ein bisschen leiser!« mahnt ihn eine Begleiterin. Während die erste Schicht Beamt*innen hier schon wechselt, beginnt die klassische DGB-Demo am Hackeschen Markt überpünktlich. Hinter dem Fronttransparent: Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD). Neu dabei: ein feministischer Block der Gewerkschaftsfrauen, der hinter dem Wagen der DGB-Jugend zu finden ist. An diesem hängt auch ein Transparent mit dem Slogan »Weniger arbeiten, mehr leben«.
Das diesjährige Demonstrationsmotto »Europa. Jetzt aber richtig« lässt viel Spielraum, nicht nur für die Konfetti-Kanone, aus der es regelmäßig bunte Schnipsel regnet. Die Gewerkschaftsmitglieder der Verkehrsbetriebe (BVG) demonstrieren zusammen mit den Entsorgungsbetrieben (BSR), es gibt größere Gruppen von türkischen und kurdischen Gewerkschafter*innen, unter anderem mit einem Transparent, auf dem die Gruppe der seit 2017 in München nach §129b angeklagten Mitglieder der Türkischen Kommunistischen Partei (TKPML) zu sehen sind.
Harro Läpple ist GEW-Mitglied und demonstriert für das Andenken der 2013 in Paris ermordeten kurdischen Gewerkschafterinnen Fidan Dogan, Leyla Söylemez, Sakine Cansiz. »Die Fahne trage ich auf jeder DGB-Demo. Die Frauen gehören zur Gewerkschaftsbewegung dazu.« Für ein »friedliches, soziales und solidarisches Europa für alle« demonstrieren kurz hinter ihm die Mitglieder der Linksfraktion, unter anderem Bürgermeister Klaus Lederer und Gesine Lötzsch. Auch ein Vertreter der Gewerkschaft der Polizei (GdP) findet, man dürfe jetzt »Europa nicht aus dem Blick verlieren.« Die kleine Gruppe GdP-Demonstrant*innen erklärt sich in seinen Augen damit, dass »die anderen ja heute alle arbeiten müssen«.
Fleißig sind heute auch die Unterschriftensammler*innen vom Volksbegehren »Deutsche Wohnen enteignen!«. Sie bekomme viel Zuspruch auf der Demonstration, aber auch »krasse Ablehnung«, berichtet Pia Haase, »aber alle, mit denen ich spreche, wissen, worum es geht.« Manchmal ruft es hier und da »Hoch die internationale Solidarität!«, ansonsten ziehen die mehrere Tausend Teilnehmer*innen langsam mit Sambatrommeln, Musik- und Redebeiträgen zum Brandenburger Tor.
Gegen 14 Uhr wird es dann auch im Grunewald immer voller. Laute Technobässe wummern nun durch die Straßen. Der ein oder andere Beutel Konfetti hat es doch durch die Kontrollen geschafft.
Neben »Deutsche Wohnen enteignen« und dem »Mietenwahnsinn« Bündnis sind auch außergewöhnlichere Gruppen, wie die satirisch-feministische Burschenschaft »Furia zu Berlin«, nach Grunewald gekommen. Der allgemeine Tenor liegt dennoch klar bei Umverteilung und »De-Owning«. Lauten Applaus gibt es, als ein Sprecher der »Neuen Treuhand« fordert, die Menschen im Grunewald »aus ihren individuellen Problemlagen abzuholen und wieder in die Gesellschaft zurückholen«. Etwa indem sie ihre Villa gegen eine Zwei-Zimmer-Wohnung am Kottbusser Tor tauschen. Auch die Tatsache, dass den Anwohner*innen im Vorfeld von der Polizei geraten wurde, ihre »Toranlagen« zu schließen, sorgt für Gelächter. »So hat eben jeder Bezirk seine eigenen Probleme«, heißt es dazu auf der Bühne.
Es ist 15 Uhr, als die Technobässe immer lauter werden und die etwa 3000 Teilnehmer*innen Richtung Süden ziehen. Bei allem Spaß, den die Veranstaltung den Anwesenden bringt, »hier werden auch inhaltlich wichtige Themen, etwa die Stadt für alle, angesprochen, meint Kai Bonkhorst. Er ist Anfang dreißig und extra aus Schöneberg angereist. «Letztes Jahr war das Echo riesig und die Reaktion der Polizei total übertrieben. Das zeigt, dass man hier an der richtigen Stelle demonstriert.»
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