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Kühnert will BMW enteignen
Juso-Chef stößt Debatte um Verstaatlichung von Konzernen an, dabei waren Theorie und Praxis schon weiter
»Sozialismus fängt immer bei Grund und Boden an«, polterte Anfang April der FDP-Bundestagsabgeordnete Frank Schäffler auf Twitter, als die Debatte um die Enteignung großer Immobilienunternehmen an Fahrt gewann. Bei der Analyse hatte er zumindest recht. Nicht nur, dass es bei großen Revolutionen wie auf Kuba oder in China immer auch um die Bodenfrage ging. Mittlerweile dreht sich die Enteignungsdebatte auch nicht mehr nur um die Wohnungsfrage.
In einem Interview mit der »Zeit« preschte Juso-Chef Kevin Kühnert nun vor. Er nenne sich einen Sozialisten, weil er den Anspruch habe, »dass eine bessere Welt nicht nur denkbar, sondern auch realisierbar« sei, sagte er im Gespräch. »Eine Welt freier Menschen, die kollektive Bedürfnisse in den Vordergrund stellt und nicht Profitstreben.« Mit der Ansicht, dass er nicht nur Immobilienfirmen, sondern auch andere Konzerne wie BMW »auf demokratischem Wege« kollektivieren will, sorgte Kühnert besonders für Diskussionen.
Am Ende gilt, was Kurt Tucholsky Anfang der 30er seinen »älteren, leicht besoffenen Herrn« formulieren ließ. Der fand, es sei »so ein beruhjendes Jefiehl«, die Sozis zu wählen: »Man tut wat for de Revolutzjon, aber man weeß janz jenau: mit diese Pachtei kommt se nich.« Das bleibt auch nach dem 2. Mai so, an dem die »Zeit« Kevin Kühnerts Gedanken über die Vergesellschaftung von Konzernen wie BMW und die drastische Begrenzung des Eigentums an Wohnungen veröffentlichte.
Mit Blick auf letztere mahnte selbst LINKE-Chefin Katja Kipping zur Zurückhaltung. »Das ist eine sehr weitgehende Forderung«, sagte sie dem SWR. Es gehe es nicht darum, kleineren Eigentümern, die Wohnungen »zu ordentlichen Konditionen« vermieten, »ans Leder zu gehen«.
Bemerkenswert ist der Furor, mit dem nicht nur CDU-, CSU- und FDP-Politiker, sondern auch Sozialdemokraten auf die Äußerungen des Juso-Vorsitzenden reagieren. Denn die Jungsozialisten treten noch immer offiziell für die »Überwindung des Kapitalismus« und »für eine andere Gesellschaftsordnung, den Sozialismus« ein. Selbst im SPD-Programm heißt es, der »demokratische Sozialismus« bleibe »die Vision einer freien, gerechten und solidarischen Gesellschaft, deren Verwirklichung für uns eine dauernde Aufgabe ist«. Und das Grundgesetz ermöglicht die Enteignung von Besitztümern, die nicht gemäß dem Verfassungsgrundsatz, Eigentum verpflichte und solle »zugleich dem Allgemeinwohl dienen«, verwaltet wird.
Dagegen tauchen Vokabeln wie »Vergesellschaftung« und »Enteignung« im SPD-Programm schon seit 1959 nicht mehr auf. Damals postulierten die Sozialdemokraten auf dem Godesberger Programmparteitag, das Privateigentum an Produktionsmitteln habe »Anspruch auf Schutz und Förderung«. Insofern ist es folgerichtig, dass Johannes Kahrs vom konservativen »Seeheimer Kreis« wetterte, Kühnert verbreite »groben Unfug«. Der Präsident des SPD-Wirtschaftsforums, Michael Frenzel, forderte gar den Parteiausschluss des Jungsozialisten. Dessen Äußerungen seien »eine Steilvorlage, die SPD in die Nähe der alten SED zu rücken und uns von der Mitte weiter zu entfremden«, sagte Frenzel dem »Handelsblatt«.
Unterstützung bekam Kühnert derweil von der Parlamentarischen Linken in der SPD-Bundestagsfraktion. SPD-Vizechefin Natascha Kohnen schrieb auf Facebook: »Ein Vorsitzender der Jungsozialisten darf über die Zusammenhänge von Kapitalismus und sozialer Demokratie frei querdenken und das ist sein Recht.« Ähnlich milde äußerte sich Bundesjustizministerin Katarina Barley. jfr
»Warum sollen die Zehntausenden, die den Wert schaffen, mit einer aus Abhängigkeit heraus verhandelten Lohnsumme abgespeist werden?«, fragt der Jungsozialist rhetorisch im Interview. Ob am Ende auf dem Klingelschild von BMW »staatlicher Automobilbetrieb« oder »genossenschaftlicher Automobilbetrieb« stehe, ist ihm dabei weniger wichtig. Das Entscheidende ist für ihn: »Die Verteilung der Profite muss demokratisch kontrolliert werden.«
Kühnerts Gedankenspiele mögen vielleicht utopisch anmuten, weil nicht diskutiert wird, »ob der Kapitalismus menschengerecht ist«, wie er es selber formuliert. Doch war vor rund einem Jahrzehnt die Stimmung eine andere. Damals wurden der Kapitalismus und das ihm inhärente Profitstreben infrage gestellt und große Konzerne gerade wegen ihrer Systemrelevanz (teil)verstaatlicht.
»Ich beginne zu glauben, dass die Linke recht hat«, betitelte der verstorbene »FAZ«-Herausgeber Frank Schirrmacher 2011 einen vielzitierten Essay, in dem er den Neoliberalismus scharf angriff. Zwei Jahre zuvor hatte der Staat in Windeseile die Hypothekenbank Hypo Real Estate (HRE) verstaatlicht und die zweitgrößte deutsche Bank, die Commerzbank, teilverstaatlicht.
Nur ging es damals nicht um die Enteignung profitabler Betriebe, wie es Kühnert jetzt fordert. Es ging um die Rettung maroder Banken, die ansonsten im Zuge der Finanzkrise 2007/2008 pleitegegangen wären. Zwar waren damals bei der HRE durchaus einige Aktionäre gegen die Verstaatlichung. Doch bei der Commerzbank wurde der Staat mit offenen Armen empfangen 98 Prozent der Commerzbank-Aktionäre stimmten 2009 für den Einstieg des Bundes. Die Gewinne werden privatisiert, die Verluste sozialisiert, war denn auch die linke Kritik an der Bankenrettung.
Heute spricht Kühnert vor allem auch an, dass der Reichtum hierzulande extrem ungleich verteilt ist. Dass er BMW als ein Beispiel nennt, hat dabei eine besondere Brisanz. Der bayerische Autobauer gehört fast zur Hälfte der Familie Quandt. Mit einem Vermögen von zusammen über 30 Milliarden Euro gehören die Familienmitglieder zu den reichsten Deutschen. Allein im vergangenen Jahr kassierten die Quandts über eine Milliarde Euro an Dividenden.
Dabei war man auch in der Debatte um eine gerechtere Verteilung von Vermögen hierzulande vor einigen Jahren schon mal weiter. Zwar ging es dabei nicht um die Kollektivierung ganzer Konzerne, aber immer hin darum, dass man mit einer Vermögensabgabe Millionäre dazu zwingen wollte, einen Teil ihres Reichtums an die Allgemeinheit abzugeben. Das Bündnis Umfairteilen, zu dem etwa auch die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di gehörte, machte sich im Bundestagswahlkampf 2013 für eine solche Abgabe stark. LINKE und Grüne nahmen sie in ihr Wahlprogramm auf. Bei der SPD liebäugelte man zwar auch damit, entschied sich letztlich aber, nur die Wiedereinführung einer Vermögenssteuer zu fordern, mit der Millionäre weniger stark geschröpft werden sollten. Am Ende kam es nach der Wahl zu einer Großen Koalition, und die SPD ließ in den Verhandlungen mit der Union ihre Forderung nach einer Reichensteuer gänzlich fallen. Immerhin bekam sie dafür die Einführung des Mindestlohns.
Die Geschichte zeigt aber auch, was innerhalb der SPD mit Forderungen nach einer gerechteren Verteilung von Reichtum passiert - und wie viel Chancen Kevin Kühnert hat, seine Forderungen nach Sozialismus mit seiner Partei umzusetzen.
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