Das Windrad als Raumwiderstand

Im Erzgebirge wehrt sich ein Windparkbetreiber gegen den Verlauf der Erdgastrasse EUGAL

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 6 Min.

Von der Kuppe des Saidenbergs sieht Dirk Unger die Probleme kommen. 699,9 Meter hoch ist der Berg nahe Erzgebirgskammes. Der 40 Jahre alte Unternehmer, sein Vater und andere errichteten dort ab Mitte der 1990er Jahre einen Windpark: 25 Anlagen mit bis zu 2 Megawatt Leistung - schlanke, weiße Türme, an deren Spitze sich die Rotoren zügig im kräftigen Nordostwind drehen.

Auch das, was dem Windpark in die Quere kommt, nähert sich aus Nordost und besteht aus weiß umhüllten Stahlröhren, die aber einen Meter tief in das Erdreich versenkt werden: die »Europäische Gasanbindungsleitung« (EUGAL), die auf gut 485 Kilometern Länge durch den Osten der Republik verlaufen soll - von Lubmin an der Ostsee bis Deutschneudorf an der tschechischen Grenze. Der Bau ist in Sichtweite voll im Gange: Gräben sind ausgehoben, die Rohre teils verlegt. In Ungers Windpark in Dörnthal bei Olbernhau sind sie auf der Trasse verteilt und teilweise verschweißt. »Eine Fehlplanung«, sagt Unger - der er sich mit viel Aufwand, aber ausbleibendem Erfolg rechtlich widersetzt. Der Versuch, am Sächsischen Oberverwaltungsgericht (OVG) Bautzen per Eilantrag gegen die Trassenplanung vorzugehen, scheiterte Mitte März.

Die Pipeline, die Unger von seinen Windrädern fernhalten will, ist Teil eines der umstrittensten Energieprojekte in Europa. Das Gas, das eigentlich schon ab 2020 durch die Röhre fließen soll, kommt aus Russland und unterquert zunächst durch eine Pipeline namens »Nord Stream 2« die Ostsee. Sie ergänzt eine 2011 in Betrieb genommene erste Leitung, die an ihre Kapazitätsgrenze von jährlich 50 Milliarden Kubikmeter stoßen und dem wachsenden Bedarf nach Erdgas in Europa nicht mehr gewachsen sein soll. Also soll sie ergänzt werden. Hinter dem Vorhaben stehen der staatseigene russische Energiekonzern Gazprom und deutsche Unternehmen wie Wintershall. Es geht um Investitionen in Milliardenhöhe, aber auch um große Politik. Die Bundesregierung räumt dem Projekt höchste Bedeutung für eine stabile Versorgung der Bundesrepublik mit Erdgas ein, das als zunehmend wichtiger Energieträger in Zeiten von Atom- und Braunkohlenausstieg gilt. Viele andere EU-Länder sowie die USA fürchten ausgerechnet im sensiblen Energiesektor aber eine zu große Abhängigkeit Europas von Russland und torpedieren das Projekt. Kürzlich erklärte der CSU-Politiker Manfred Weber, Spitzenkandidat der konservativen EVP bei der Europawahl, Nord Stream 2 im Falle seiner angestrebten Wahl zum Chef der EU-Kommission »blockieren« zu wollen.

Dirk Unger will Nord Stream 2 und die daraus gespeiste EUGAL-Leitung nicht blockieren. »Ich habe nichts gegen Erdgas«, sagt er. Wogegen er sich freilich wehrt, ist eine Verlegung der Trasse quer durch den Windpark. Ein Grund sind »Sicherheits- und Haftungsrisiken« etwa durch mögliche Havarien an Kränen und Windrädern: umknickende Masten, herabstürzende Kanzeln und Rotorblätter. Zwar soll die Gasleitung mindestens einen Meter mit Erdreich überdeckt sein; die Wände der Rohre sind 22 Millimeter stark. Als jedoch Ende 2016 im sächsischen Windpark Sitten bei Döbeln ein Windrad umknickte, hätten einzelne Teile »bis zu anderthalb Meter tief in der Erde gesteckt«, sagt Unger: »Man will sich gar nicht ausmalen, was passiert wäre, hätte dort eine Gasleitung gelegen.«

Und es gibt weitere Konflikte. Wie der Netzbetreiber GASCADE Gastransport GmbH als Bauherr von EUGAL erklärt, wird entlang der Trasse ein »Schutzstreifen« eingerichtet, in dem »besondere Sicherheitsvorschriften« gelten; verboten seien »Arbeiten Dritter«, die den Pipelinebetrieb »erschweren oder gefährden«. Es sind Sätze, die Unger hellhörig werden lassen. Windräder benötigen Zufahrten, Zuleitungen und Plätze, auf denen Kräne für Reparaturen aufgestellt werden können. Entsprechende Rechte sind im Grundbuch vermerkt. Er fürchtet aber, dass ihm künftig Arbeiten untersagt werden. »Dann wären wir in unserer Bewegungsfreiheit schon für bestehende Anlagen stark eingeschränkt«, sagt er. Das sei eine »Aushöhlung« des Windkraftareals.

Eigentlich ist seit Ende der 1990er Jahre klar, dass auf dem Höhenrücken bei Dörnthal zwischen den Bundesstraßen 101 und 171 Windkraft Vorrang hat. So steht es in Regionalplänen. Für die Planung anderer Infrastrukturanlagen gilt der Windpark, wie es in der Fachsprache heißt, als »Raumwiderstand«. Solche Bereiche sind bereits bei der großräumigen Trassenplanung zu meiden; zumindest sind Alternativen ergebnisoffen zu prüfen. Für EUGAL gebe es solche in Sachsen, sagt Unger. Es existieren weiträumige Alternativrouten, eine davon sogar vier Kilometer kürzer.

Allerdings gibt es auch zwei Pipeline, die in der DDR verlegt wurden, also vor Ungers Windrädern da waren und dem Transport von Ethylen und Erdgas dienen. Und es gibt OPAL, jene Leitung, in der das Erdgas aus der »Nord Stream 1«-Pipeline durch Ostdeutschland geleitet wird. Sie wurde ab 2009 auch quer durch den Windpark Dörnthal verlegt. Die Landesdirektion Chemnitz bestätigte entsprechende Planungen, obwohl Unger und andere Windradbetreiber auch damals gravierende Bedenken äußerten. Der Unternehmer richtete danach eine Petition an den Bundestag, der keine Gründe zu erkennen vermochte, warum die Trasse unbedingt zwischen den Windrädern hindurch verlaufen musste. Weil die Planungen beibehalten wurden, zog Unger vor Gericht. Schon seinen damaligen Eilantrag lehnte das OVG ab; in der Hauptverhandlung regte es im Juli 2011 als Kompromiss die Verlegung der Trasse an die Windparkgrenze an, was der Leitungsbetreiber freilich als unzumutbar ablehnte. Das OVG leitete ein Mediationsverfahren ein, das beim Verwaltungsgericht Dresden liegt, wo sich aber dem Vernehmen nach seit Jahren nichts mehr tut. Formal ist der Planfeststellungsbeschluss damit nicht rechtskräftig. Faktisch ist die OPAL-Leitung freilich längst in Betrieb. Zuletzt diente sie nicht mehr nur dem Transport von Erdgas, sondern auch der Rechtfertigung der neuen Pipeline: »Man beruft sich auf OPAL, um EUGAL zu begründen«, sagt Unger - »obwohl ein möglicher Fehler in der damaligen Trassenstudie im Raum steht«.

Dabei finden Einwände nicht nur der Windparkbetreiber kein Gehör. Im Raumordnungsverfahren für die neue Trasse im Jahr 2017 mahnte der Erzgebirgskreis, die Planer mögen im Bereich des Windparks von ihrem »Vorzugskorridor« abweichen, weil umstürzende Windräder eine »Gefahr für die Leitung darstellen könnten« und die Standortwahl für neue Windräder »eingeschränkt« werde. Die EUGAL-Planer erwiderten, man erachte die Querung des Windparks als »raumverträglich«. Im nachfolgenden Planfeststellungsverfahren meldete der Landkreis die Bedenken nicht erneut an. Im September 2018 gab die Landesdirektion Sachsen grünes Licht für den Bau der Gastrasse.

Unger zieht nun alle rechtlichen Register, um deren Bau noch zu verhindern. Er reichte erneut Klage beim OVG ein, dazu einen Eilantrag, der das Schaffen vollendeter Tatsachen unterbinden sollte - ohne Erfolg. Das Planfeststellungsverfahren sei »voraussichtlich rechtmäßig« gewesen, urteilten die Richter; bis zur Entscheidung in der Hauptsache dürfte die Leitung »weiter gebaut werden«. Nur Tage danach wurden Rohre im Windpark verteilt. Ungers Anwälte merkten an, der Bauherr arbeite »auf eigenes Risiko« und müsse die Leitung bei einem entsprechenden späteren Urteil auf eigene Kosten wieder entfernen. Sie rügten zudem, wichtige Argumente seien vom OVG nicht berücksichtigt worden, und kündigten an, notfalls zum Bundesverwaltungsgericht und dem Europäischen Gerichtshof ziehen zu wollen: »Die Klagen stehen erst am Anfang.«

Unger hofft auch auf die Politik. Marco Böhme und Jana Pinka, Landtagsabgeordnete der LINKEN, regten kürzlich einen Baustopp an, um »mögliche Fehlplanungen« zu prüfen. Der Appell fruchtete ebenso wenig wie Briefe, die Unger 2018 an Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) schrieb. Er und weitere Betroffene klagen dort über den Umgang der Behörden mit seinen Einwänden: Es sei »nicht davon auszugehen, dass bei der Landesdirektion Sachsen ein unabhängiges verwaltungsrechtliches Genehmigungsverfahren« stattfinde; Kretschmer als der »oberste Dienstherr« der Behörden im Freistaat möge intervenieren. Gegenüber der »Freien Presse« erklärte die Staatskanzlei, gerade weil es sich um ein unabhängiges Verfahren handle, verbiete sich ein Eingreifen von außerhalb. Unger hält eine Einladung an den Regierungschef jedoch aufrecht: Vielleicht finde er trotz bevorstehender Landtagswahl den Weg zu ihm.

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