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Türkei: Politiker fordern Aufklärung von Foltervorwürfen
Deniz Yücel wurde nach eigenen Worten in türkischer Haft geschlagen / derweil drei weitere Journalisten verhaftet
Berlin. Nach den Foltervorwürfen des »Welt«-Korrespondenten Deniz Yücel gegenüber der Türkei fordern deutsche Politiker Konsequenzen. Der menschenrechtspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Michael Brand (CDU), verlangte am Freitag eine umgehende Untersuchung der UNO über die Zustände in türkischen Gefängnissen. Grünen-Chefin Annalena Baerbock rief indes die Bundesregierung zum Handeln auf.
Der Journalist Yücel hatte am Freitag einem Bericht der »Welt« zufolge vor Gericht erklärt, er sei während seiner einjährigen Haft in der Türkei gefoltert worden. Er gehe davon aus, dass der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan zumindest die politische Verantwortung dafür trage oder die Misshandlungen sogar angeordnet habe.
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»Bei Folter und brutalen Menschenrechtsverletzungen hört die Freundschaft auf«, erklärte Brand. Die »offenkundig systemische Folter« in türkischen Gefängnissen müsse umgehend und systematisch untersucht werden. Die Untersuchung müsse durch die UN-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet geführt werden. Die frühere chilenische Präsidentin war während der Militärdiktatur in ihrem Land selbst Opfer von Folter geworden.
Grünen-Chefin Baerbock forderte die Bundesregierung auf, den Druck auf die Türkei zu erhöhen. »Die Bundesregierung muss gegenüber der Türkei endlich klar und unmissverständlich für Menschenrechte und Demokratie eintreten«, sagte sie dem »Spiegel«. Durch die Abhängigkeit der Türkei von Exporten in die EU sowie europäische Investitionen habe Deutschland »einen großen Hebel, um sich einer weiteren Eskalation der Türkei in Richtung Autokratie entgegenzustellen«.
Auch der ehemalige Vorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Cem Özdemir, hat Maßnahmen gegen die Verantwortlichen gefordert. »Die Vorwürfe von Deniz Yücel sind schwerwiegend und dürfen kein 'Weiter so' zur Folge haben«, sagte er der »Welt am Sonntag«. »Jetzt müssen die Namen der Verantwortlichen ermittelt werden, und es muss sichergestellt werden, dass sie bei einer Einreise nach Deutschland festgenommen werden, damit sie sich hier vor der Justiz verantworten.«
Yücel hatte am Freitag einem »Welt«-Bericht zufolge seine Verteidigungsschrift in seinem türkischen Strafverfahren beim Berliner Amtsgericht Tiergarten eingereicht. Dieses habe die Aussage im Rahmen deutsch-türkischer Rechtshilfeabkommen entgegengenommen. Dabei gab er an, er sei im Hochsicherheitsgefängnis von Silivri während drei Tagen systematisch geschlagen, bedroht und entwürdigt worden.
Gemeinsam mit seinen Anwälten entschied Yücel demnach, die Folter damals nicht öffentlich zu machen. Stattdessen hätten sie versucht, über politische und diplomatische Kanäle eine Lösung zu finden. Diese Gespräche hätten schließlich zu einem Ende der Angriffe geführt.
Nach der Aussage des Journalistenüber Folter während seiner Haftzeit in der Türkei hat das Auswärtige Amt die Regierung in Ankara aufgefordert, sich an die Anti-Folterkonvention der Vereinten Nationen zu halten. »Wir verurteilen jede Form von Folter und Misshandlung, sie stehen außerhalb des Rechts«, sagte eine Sprecherin der Deutschen Presse-Agentur auf Anfrage, ohne konkret auf die Foltervorwürfe Yücels einzugehen.
Sie forderte die türkische Regierung aber »mit Nachdruck« dazu auf, »sich an die internationalen Standards zu halten, zu denen sie sich selbst verpflichtet hat«
Das türkische Außenministerium hat den Vorwurf zurückgewiesen, Yücel sei während seiner Haftzeit in der Türkei gefoltert worden. Zugleich wies es die Mahnung des Auswärtiges Amtes an die Regierung in Ankara zurück, sich an die Anti-Folterkonvention der Vereinten Nationen zu halten.
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Die Vorwürfe seien in der Vergangenheit bereits von dem zuständigen Staatsanwaltschaftsbüro untersucht worden, das entschieden habe, die Sache nicht weiter zu verfolgen, hieß es in einer am Sonntagmorgen veröffentlichten Stellungnahme des türkischen Ministeriumssprechers Hami Aksoy.
Derweil sind drei andere regierungskritische Journalisten Medienberichten zufolge in der Türkei festgenommen worden. Es handele sich um die Reporterinnen Canan Coskun und Zeynep Kuray sowie um ihren Kollegen Irfan Tunccelik, berichtete die Zeitung »Cumhuriyet« (Samstag).
Coskun, eine frühere Mitarbeiterin des Blattes, sei nach rund 13 Stunden wieder freigelassen worden, sagte ihr Anwalt der Deutschen Presse-Agentur. Die Journalistin sei festgenommen worden, weil sie eine Geldstrafe nicht bezahlt habe, die ihr nach einem Bericht über einen Korruptionsfall 2015 in einem Gerichtsverfahren auferlegt worden sei. Nun sei der Betrag - umgerechnet knapp 1900 Euro - aber beglichen worden, so dass sie auf freien Fuß gesetzt worden sei.
Kuray und Tunccelik wurden nach dem Bericht von »Cumhuriyet« am Freitag in Istanbul festgenommen, als sie über eine Solidaritäts- Kundgebung für hungerstreikende Abgeordnete der pro-kurdischen Oppositionspartei HDP berichteten. Ihr Protest richtet sich gegen die Haftbedingungen des Chefs der kurdischen Arbeiterpartei PKK, Abdullah Öcalan. Dieser sitzt seit 1999 auf einer Gefängnisinsel im Marmarameer in fast völliger Isolation eine lebenslange Freiheitsstrafe ab.
Seit dem Putschversuch 2016 sind in der Türkei Dutzende regierungskritische Journalisten verhaftet und zahlreiche Medienhäuser geschlossen worden.
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