Locker bleiben bei der Vermittlung

Auf Jobbörsen soll das Teilhabechancengesetz für Langzeitarbeitslose zum Erfolg führen.

  • Claudia Krieg
  • Lesedauer: 5 Min.

Kommen Sie, ich nehme Sie an die Hand!» Es ist Mittwoch, kurz nach zehn Uhr morgens. Ein «Jobpoint»-Mitarbeiter eilt an einem Seiteneingang zum Mercure Hotel im Einkaufszentrum «Moa-Bogen» an der Stephanstrasse in Berlin-Mitte beflissen auf eine Gruppe von jungen Leuten zu. Die wirken eher, als seien sie auf einem Schulausflug als auf Arbeitssuche. Um sie herum in zwei Schlangen stehen deutlich mehr Menschen im Alter 50 plus. Alle wollen zum «Job-Event» des Jobcenters Berlin Mitte. Beim Einlass stellt sich heraus, dass die Gruppe von der Gesellschaft für Jugendhilfe in Brandenburg geschickt wurde, die Jugendlichen Wohngruppen inklusive Berufsausbildung anbietet.

Die jungen Leute stellen damit eher die Ausnahme der insgesamt 1600 Menschen dar, die die Bezirksvertretung der Arbeitsagentur zu diesem Termin eingeladen hat: Menschen, die seit «sechs, sieben Jahren» ohne festen Arbeitsvertrag sind, «aber eine gute Integrationsprognose haben», wie es Rajko Albert formuliert. Albert dirigiert die Veranstaltung und redet, als wolle er ein mittelgroßes Start-Up-Unternehmen anschieben: «Das hier ist mit 45 Mitarbeitern ein mordsmäßiges Ding». Er ist als stellvertretender «Teamleiter AV Markt» des Jobcenters Mitte seit dem 1. Januar mit zuständig für die Umsetzung des Teilhabechancengesetz in der Vermittlungspraxis der Arbeitsämter. Mit dem milliardenschweren Programm sollen Langzeitarbeitslose gefördert werden.

Per Lohnkostenzuschuss will man Unternehmen und Betriebe dazu anhalten, langzeitarbeitslose Menschen für mindestens zwei Jahre auch dann anzustellen, wenn sie «nicht hundertprozentig ins Profil passen» - so beschreibt es einer von Alberts Mitarbeitern, der im weißen Hemd am Eingang zum großen Saal bereitsteht, um eintreffenden «Kunden» weiterzuhelfen. Wer Erfahrung mit dem Jobcenter hat, weiß, dass so die als arbeitssuchend Gemeldeten angesprochen werden. Bei Jobbörsen werden auch die teilnehmenden Unternehmen und Betriebe zu Kunden der Arbeitsvermittler. Manche würden eingeladen, andere selbst um Teilnahme bitten, erzählt der «Jobpoint»-Angestellte: «Die Arbeitgeber schätzen den Standard solcher Börsen.» So wie die in Aussicht stehenden Lohnkostenzuschüsse? «Die Förderung ist ein Anreiz für den Arbeitgeber. Die soll er ruhig mitnehmen. Wir sind hier nur dazu da, die Hürden abzubauen.» Es laufe auch gut an mit den Förderanträgen, im Jobcenter Mitte seien in den letzten sechs Monaten bereits 150 eingegangen. Alberts Mitarbeiter bleibt anhaltend freundlich, auch wenn ihn die Fragen von seinem eigentlichen Auftrag der «Kundenbetreuung» abhalten: «Zwang? Nein, der ist hier gering. Wer hier nicht will, dem ist nicht zu helfen.»

Alexander Saade, im Jobcenter Mitte «Teamleiter Markt und Integration», formuliert es etwas sachlicher: «Es geht darum, Kunden, die seit Jahren nicht arbeiten waren, wiedereinzugliedern.» Dies betreffe vor allem «die Gruppe der Lebensälteren», auch wenn die für Arbeitgeber «unattraktiver» seien. Saade müht sich sichtlich, die Gesetzesinhalte als Vorteile hervorzuheben - neben den Lohnkostenzuschüssen von bis zu 75 Prozent: «Enger Austausch mit den Unternehmen, wenn der Kunde es wünscht, ein Jahr beschäftigungsbegleitendes Coaching, Unterstützung der Wiederbeschäftigten bei Tagesstruktur und Behördengängen.» Es gehe, so Saade, in alldem darum, «die Beschäftigung zu halten.» Der Teamleiter schwitzt, es ist warm im Saal.

Christine Krüger, die ihren richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, ist nach einer knappen halben Stunde wieder auf dem Weg nach draußen. «Einladung!», schnaubt die Mitte 50-Jährige. «Da steht meine Kundennummer drauf!» Sie erhalte ständig Einladungen und verstehe nicht, warum. Krüger hat zwei Berufs- und zwei Hochschulabschlüsse im ökonomischen Bereich. Ihr Problem, sagt sie, sei aber die jahrelange Erkrankung als multiple Allergikerin. Um nicht vom Jobcenter «von Projekt zu Projekt geschickt» zu werden, lasse sie sich zwar auf viele probemäßige Arbeitsverhältnisse ein, aber das, was sie bräuchte, sagt Krüger, gibt es nicht: «Vier Stunden operativ draußen und vier Stunden am PC - so könnte es für mich gehen.» Aber damit, habe man ihr entgegnet, suche sie «die Nadel im Heuhaufen». Man merkt Christiane Krüger an, wie viele Nerven sie der standardisierte Umgang mit ihrem komplexen Anliegen schon gekostet hat. Dabei gibt es sicher auch Mitarbeiter*innen in Jobcentern mit komplizierten Lebenswegen. «Die sagen, sie kriegen graue Haare mit mir. Aber ich auch mit ihnen.» Trotzdem habe sie hier auf der Börse gute Gespräche geführt - «Das hat mir gefallen.»

Die Atmosphäre im Saal, in dem sich etwa dreißig Unternehmen an Tischen aufgebaut haben, unterscheidet sich zumindest deutlich von der in vielen Jobcentern, wie sie von Menschen häufig als Belastung empfunden wird. Auch Mitarbeiterin der meco Akademie GmbH findet: «Die Bewerber sind entspannt und lassen sich in Ruhe beraten.» Sie sitzt hier mit ihrer Kollegin, weil ihre Schule für pädagogische und pflegerische Qualifikation zwei Stellen auf dem herkömmlichen Vermittlungsweg über die Jobcenter nicht besetzt bekommt. Man habe daher um einen Platz bei der Börse gebeten. «Aber verbindlich wird hier niemand.» Das sieht man am Tisch nebenan genauso: «Viele wollen sich frei entscheiden», sagt der Personalmitarbeiter einer Krankentransportfirma. Er glaubt, dass es in jedem Fall besser ist, direkt mit den Menschen zu sprechen: «Die meisten tauen irgendwann auf.» Geht es bei Jobbörsen am Ende würdevoller zu als im Jobcenter selbst? «Ich weiß einfach besser als das Jobcenter, welche Arbeit ich suche», sagt Melanie Neid, die als Erzieherin in einer «Maßnahme zur Aktivierung und Eingliederung» arbeitet. «Hier ist es besser. Es ist sogar inspirierend.»

Gegen Mittag lässt der Andrang deutlich nach. Um 13 Uhr wirkt Rajko Albert erschöpft. In der Regel kommen bei solchen Veranstaltungen 40 bis 50 Prozent der eingeladenen Menschen, erzählt er. «Das haben wir heute nicht erreicht», sagt er etwas enttäuscht. «Viel Erfolg» wünscht seine Mitarbeiterin trotzdem allen freundlich beim Verlassen des Hotels.

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