Träume in Rosarot und Grün

Abgeordnete von Linkspartei, SPD und Grünen loten Chancen für ein Regierungsbündnis aus. Umfragewerte machen ihnen Mut.

Die Umfragewerte und das gesellschaftliche Klima lassen neue Hoffnung auf eine Verschiebung der Kräfteverhältnisse nach links keimen. Denn erstmals seit langem wird die öffentliche Debatte von sozialen Themen wie Mietenexplosion und Pflegenotstand dominiert. Das stärkt Bürgerbewegungen und Gewerkschaften, und im parlamentarischen Raum werden Gesprächskreise wiederbelebt. Ein Mitte-links-Bündnis auf Bundesebene rückt in den Bereich des Denkbaren - nicht zuletzt, weil sich selbst bei so manchem stramm neoliberalen Sozialdemokraten die Erkenntnis durchsetzt, dass die eigene Partei bald Geschichte sein könnte, wenn sie sich weiter mit CDU/CSU durchwurschtelt.

Insbesondere Politiker von Linkspartei und SPD äußern sich dieser Tage optimistisch, dass zumindest in ihren Parteien Mehrheiten für »Rot-Rot-Grün« zustande kommen könnten. Umfragen zufolge ist diese Konstellation auch bei den Wählern derzeit die beliebteste. Ob es schon 2021, also im Jahr der nächsten Bundestagswahl, zu einer solchen Koalition kommen könnte, steht aber für Stephan Borghorst noch in den Sternen. Er ist einer der Sprecher der SPD-»Denkfabrik«. Die dort Aktiven, sagte Borghorst im Gespräch mit »nd«, hätten jedoch »nie aufgegeben«, sich für ein Regierungsbündnis mit Linkspartei und Grünen einzusetzen.

Der Wind dreht sich

Am Mittwochabend fand in einem Berliner Lokal erstmals seit längerer Zeit wieder ein Treffen von Politikern der drei Parteien statt. Dabei waren etliche jener Abgeordneten, die schon seit 2008 enge Kontakte unterhalten. So lange ist Michael Schrodi noch nicht dabei. Der 41-Jährige sitzt erst seit 2017 für die SPD im Bundestag. Am Mittwoch war er einer der rund 20 Teilnehmer des Gesprächs, zu dem die Denkfabrik eingeladen hatte. Für Schrodi ist klar, dass sich der Wind gerade dreht. »Wenn sich selbst Mitglieder des Seeheimer Kreises eine Koalition mit Linkspartei und Grünen vorstellen können, dann sollte sie auch in naher Zukunft möglich werden«, sagte er »nd«. Mindestens acht Sozialdemokraten seien am Mittwoch dabei gewesen.

Von der Linkspartei waren Stefan Liebich, Birke Bull-Bischoff und Matthias W. Birkwald der Einladung gefolgt. Die Sozialdemokraten hätten berichtet, es sei jetzt »viel einfacher« als bisher, unter Genossen Unterstützer für »r2g« zu gewinnen, sagte Liebich im Gespräch mit »nd«. Eine Koalition mache aber nur Sinn, »wenn sie mit einer wirklichen Umverteilung einhergeht«.

Allerdings bestehen die größten Differenzen ohnehin in der Friedensfrage und nicht in der Sozialpolitik. Die Linkspartei ist bislang die einzige Partei, die Kriegseinsätze der Bundeswehr klar ablehnt. Genau deshalb haben ihr Sozialdemokraten und Grüne bislang stets die »Regierungsfähigkeit« abgesprochen. Dass Liebich zu denen gehört, die mit Zugeständnissen, etwa bei Militärmissionen, kein Problem hätten, ist kein Geheimnis. Die soziale Frage sei für die Linkspartei »die entscheidende«, betonte der außenpolitische Sprecher der Fraktion. Wenn es hier von den anderen Parteien Entgegenkommen gäbe, »müssen wir in der Außenpolitik zu Kompromissen bereit sein«, findet er.

Die LINKE-Bundesvorsitzende Katja Kipping begrüßt den Austausch unter Politikern. Entscheidend aber seien »Cross-over-Debatten«, in die Gewerkschafter, Wissenschaftler, Aktive aus Bürgerbewegungen eingebunden seien, sagte sie »nd«. Vor allem müsse es eine »Radikalisierung der Gesellschaft nach links« geben. Wie Liebich bevorzugt Kipping die Bezeichnung »Linksregierung« anstelle von »Rot-Rot-Grün«. Mit letzterer assoziiere man eine Koalition, in der die Linkspartei »ein bisschen mitmachen« dürfe. Ein Regierungsbündnis sei aber nur sinnvoll, wenn es einen »grundlegenden gesellschaftlichen Wandel« bringe, so Kipping. Die LINKE-Spitze habe bereits »offensiv« das Gespräch mit den Führungen der anderen Parteien gesucht.

Grüne halten sich bedeckt

Besonders reserviert reagieren die Grünen auf solche Annäherungsversuche. Sie sind mit ihrer Strategie des In-alle-Richtungen-offen-Seins äußerst erfolgreich. Die Vizechefin der Grünen-Bundestagsfraktion, Agnieszka Brugger, hat am Gespräch am Mittwoch teilgenommen. Sie hielt sich auf »nd«-Anfrage ebenfalls bedeckt. »Jede mögliche Koalition braucht neben einer rechnerischen Mehrheit vor allem politischen Willen und Vertrauen«, erklärte sie am Donnerstag. Es sei »wichtig und gut, dass wir daran zusammen arbeiten«. LINKE-Chefin Kipping glaubt indes, der Rechtsruck in der CDU könnte die Grünen zwingen, »Farbe zu bekennen«. Denn eine soziale Grundsicherung und ein Stopp von Rüstungsexporten, wie von den Grünen gefordert, seien mit der Union nicht machbar.

Viele Genossinnen und Genossen an der LINKE-Basis stehen einer Regierungsbeteiligung im Bund weiter skeptisch gegenüber. LINKE-Vorstandsmitglied Raul Zelik sagte »nd«, Regieren sei eben »nicht per se eine Machtoption«. Man gewinne nicht automatisch dadurch, dass man »das Verwaltungspersonal« stelle, meint der Schriftsteller und Sachbuchautor. Die Linkspartei müsse vor allem »gesellschaftliche Kämpfe gegen die Macht des Kapitals« mobilisieren. Zelik engagiert sich unter anderem in der LINKE-Plattform »Bewegungslinke«, deren Mitglieder zugleich stark gewerkschaftlich, in der Klimaschutz- und in der antirassistischen Bewegung engagiert sind. Er hält es für »nicht vorstellbar«, dass die Linkspartei das Ziel der Abkehr von der »Aufrüstungs- und Interventionspolitik« im Gegenzug für Verbesserungen bei Beschäftigten- und Erwerbslosenrechten aufgibt. Das eine lasse sich nicht mit dem anderen aufwiegen, findet Zelik.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.