Kein weiter so, aber auch nicht zurück

Die Regierungskrise erwischt Österreichs Linke kalt. Nun ist es möglich und auch dringend nötig, sich neu aufzustellen.

  • Nelli Tügel
  • Lesedauer: 4 Min.

Österreich wurde von einem politischen Erdbeben erfasst – das Land steht vor Neuwahlen. Die Ausläufer sind auch in Deutschland zu spüren. Rechts überwiegt die Empörung darüber, dass der am Samstag vom Amt des Vizekanzlers und FPÖ-Parteivorsitz zurückgetretene Heinz-Christian Strache 2017 heimlich gefilmt wurde. Im eher konservativ-liberalen Lager wiederum versucht man sich in Distanzierung vom »Schmuddelkind« FPÖ. Ganz so, als seien FPÖ, AfD und Co. nicht längst auch in Teilen des Bürgertums tief verankert. Als gäbe es nicht auch in der Union Debatten darüber, ob eine Koalition mit der AfD im Osten auf Landesebene eine Option sei, als hätten bei CDU und CSU nicht viele neidisch nach Wien geschielt, als im Herbst 2017 Sebastian Kurz seiner ÖVP einen beachtlichen Stimmenzuwachs bescherte und das Rechtsbündnis mit der FPÖ schmiedete. Ein Rechtsbündnis, in dem man die Koalitionspartner mitunter kaum mehr voneinander unterscheiden konnte und in dem man sich bei den wesentlichen Fragen – weniger Geflüchtete, Sozialabbau für Migranten, Einführung des 12-Stunden-Tages für alle – ja auch ziemlich einig war.

Nun steht diese Regierung also vor dem Aus, nicht wegen massiven Protestes gegen ihre Politik, sondern weil Strache, wenig verwunderlich eigentlich, aber empörend dennoch, als offensichtlich korrumpierbar entlarvt wurde. Neuwahlen sind nötig, gut und richtig, diese Regierung sollte nicht einen Tag weiter im Amt verbleiben.

Doch das Ende der Regierung ist der Anfang einer neuen. Und zur Wahrheit gehört, dass das Lager links von ÖVP und FPÖ nicht gut aufgestellt ist und die Alternativen zu Schwarz-Blau wenig vielversprechend sind. Den jüngeren Umfragen zufolge, natürlich noch ohne Berücksichtigung der aktuellen Ereignisse, würde die ÖVP bei Nationalratswahlen stärkste Kraft. Gut möglich, dass sie, wie schon 2002, von der FPÖ-Krise noch zusätzlich profitiert und weiter gestärkt aus Neuwahlen hervorgeht. Darauf setzt, das wurde in seiner Rede am Samstagabend deutlich, auch Sebastian Kurz, die Neuwahlen könnten seinen Handlungsspielraum noch wesentlich erweitern.

Koaliert die ÖVP nach den Wahlen nicht erneut mit der FPÖ, bleiben die liberalen Neos. Oder halt doch wieder die SPÖ, die seit ihrem historischen Debakel von 2013 sich in etwa bei den damals erzielten knapp 27 Prozent eingependelt hat. Sie wiederholte dieses Ergebnis 2017 – und liegt in Umfragen wieder in exakt genau diesem Bereich. Zudem verharrt die Partei nicht nur im Bereich der Wahlumfragen in der Kern-Faymann-Ära, sondern auch politisch – und diese Politik hat den Neuaufstieg der FPÖ immerhin mitbefördert. Auf Landesebene, im Burgenland wie auch in Linz, regiert die SPÖ im übrigen selbst mit der FPÖ.

Die längst begonnenen Auseinandersetzungen um Alternativen zu Schwarz-Blau können also kaum bei einer Neuauflage der 2017 abgewählten Koalition aus SPÖ und ÖVP enden. Zumal ja nach jetzigem Stand die weiter nach rechts gedrehten Konservativen Seniorpartner wären. Eine solche Regierung würde ganz sicher keinen progressiven Politikwechsel bedeuten. Viel bleibt aber jenseits der SPÖ auf Wahlebene auch nicht. Grüne sowie die in »Jetzt« umbenannte Liste Pilz sind schwach. Eine bundesweit relevante Partei links der SPÖ, ähnlich wie die Linkspartei in Deutschland, gibt es nicht in Österreich. Alle Versuche, eine solche zu etablieren, scheiterten bislang.

Österreichs Linke ist, soviel Offenheit muss erlaubt sein, nicht gut aufgestellt. Man könnte auch sagen, dass sie von der Regierungskrise und den Chancen, die diese mit sich bringt, kalt erwischt wurde. Es ist Ausdruck ihrer Schwäche und der der Gewerkschaften, dass nicht soziale Proteste die Regierung zu Fall brachten, obgleich es Anlässe genug gab, sondern eben ein Korruptionsskandal. Und dennoch liegt es jetzt gerade auch an den progressiven Teilen der Zivilgesellschaft wie an den oft nicht sichtbaren, aber doch zahlreichen Aktivisten, die in den vergangenen zwei Jahren sich gegen Schwarz-Blau gestemmt haben, Forderungen und Alternativen zu formulieren und eine Vision davon, was Neuwahlen bringen könnten. Dass am Samstag Tausende spontan auf die Straße gingen, ist ein guter Anfang. Und vielleicht eröffnet sich hier, im Protest und dem Dialog, der sich daraus entwickeln kann, in den kommenden Wochen die Möglichkeit für eine nachhaltige Neuformulierung linker Politik in Österreich.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.