- Klima und Wandel
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Keine Wahl beim Klima
Die LINKE muss bei Ökothemen glaubwürdiger und lauter werden. Die Klimafrage wird nicht von der Tagesordnung verschwinden.
Tag drei nach der historischen Wahl zum Europaparlament. Überall in Deutschland werden die Wahlplakate abgehängt. Das politische System schüttelt sich verdutzt die Federn. In gewohnter Manier aus Schuldzuweisungen und Durchhalteparolen sortieren sich die Parteien. Erste Personaldebatten gehen los. Die Frage nach einem Bruch der Großen Koalition steht im Raum - wieder einmal. Analysen über Sieg und Niederlage werden geschrieben. Von Kramp-Karrenbauer, Nahles über Lindner bis Gauland, allen steht der Schreck über das, was da letztes Wochenende über die politische Landschaft niedergegangen ist, ins Gesicht geschrieben: «Das war eine Klimawahl». Selbst die «Junge Alternative» bettelt die alten Herren in der AfD-Führung an, doch endlich aufzuhören, den Klimawandel zu leugnen. Bei den Grünen knallen die Bio-Sektkorken.
Und die Linkspartei? In fast jedem ernst zu nehmenden Kommentar zum Wahlausgang schimmert diese Einsicht durch: Die Klimafrage ist endgültig zur gleichberechtigten Schwester neben der sozialen Frage geworden. Die Wählerbefragungen bestätigen diese Erkenntnis: Erstmals ist die Sorge um das Weltklima bei einem Urnengang vor die Sorge um soziale Gerechtigkeit und Frieden gerutscht. Was für eine Klatsche: Mehr Jungwähler*innen entschieden sich für die Satiriker von «Die Partei», deren Wahlwerbung, wie «Klima kaputt machen» und «Kaffee, Kuchen, Klima», den Klimawahlkampf ordentlich auf die Schippe nahm.
Die Linkspartei wirkte bei der Klimawelle der letzten Monate eher wie eine Partybesucherin, die beim rauschenden Fest schüchtern, fast deplatziert in der Ecke steht und sich die ganze Zeit die Frage stellt, warum niemand mit ihr tanzen will. Dabei fehlt es nicht an krachenden Öko-Forderungen, nicht für Europa, nicht für Deutschland: Kohleausstieg bis 2030 (ambitionierter als die Grünen im Bundestag), ein Ende klimaschädlicher Autos ab 2030, die Forderung nach einem sozialen Strukturwandel ohne Jobverluste und Milliarden für den Kohleausstieg in den Kohleregionen, mehr Energiewende, kostenloser öffentlicher Nahverkehr, dicke Konzepte über den «sozial-ökologischen Umbau», Kampf gegen Energiearmut und Stromsperren, Klimawohngeld. Die LINKE ist die einzige Fraktion im Bundestag, die die Forderung von Fridays for Future nach der Ausrufung des Klimanotstands in Deutschland anerkennt (was sich die Grünen nicht trauten).
Mit den Bewegungen von Fridays for Future, Extinction Rebellion, dem Aktionsbündnis «Ende Gelände», den Klimaaktivist*innen vom Hambacher Forst erklärte man sich solidarisch, entsendete parlamentarische Beobachter, lud in den Bundestag ein. Sogar bei der aktuellen Debatte um die Einführung einer sozial gerechten CO2-Bepreisung ist die Linkspartei auf einem echten Klimaschutzkurs.
Doch zündet die Klimapolitik der LINKEN nicht. Es fehlt die Echtheit, der Biss, der entschlossene Blick, dass dringend gehandelt werden muss, um die immer schneller werdende Zerstörung der menschlichen Lebensgrundlagen zu stoppen. Bisher geben die Ökoforderungen der Linkspartei eher den unbequemen Eindruck neuer Klamotten ab, in denen man sich irgendwie nicht richtig wohl fühlt. Als müsse da eine Mode mitgemacht werden, weil halt alle das gerade tragen. Zu Recht schimpft der Klimaaktivist Tadzio Müller auf Twitter: «Liebe @dieLinke, ich lese, Ihr werdet beim #Klimaschutz mit Euren guten Konzepten nicht genug wahrgenommen». Surprise, wenn Ihr nie davon redet, & immer ›WirSindDieBesserenSozen‹-#Wahlkämpfe macht. Get with the #future, or get out of the way.«
Die Gründe gegen die Annahme, die Klimafrage würde schon bald wieder von selbst verschwinden, sind einfach wie einleuchtend: Die Klimakrise geht gerade erst los! Sie wird die Ärmsten der Armen treffen, in Berlin oder Bogotá. Knapp 100 Aktienunternehmen sind für über 70 Prozent der Treibhausgase verantwortlich. Die Reichen verschmutzen und profitieren vom fossilen Business. Die Armen müssen kaufen, was ihnen vorgesetzt wird und haben den Schaden. Die Klimafrage brennt noch lange weiter, weil sie eine Revolution in Produktion, Konsum und Eigentum mit sich bringt, epochale Umbrüche mit Gewinnern und Verlierern ins Rollen gebracht hat wie seit der Industriellen Revolution nicht mehr.
Nein, so viel ist sicher: Die Klimafrage ist keine Mode. Sie wird nicht von der Tagesordnung verschwinden. Die Rettung des Klimas als eine Überlebensfrage der Menschheit wird die nächsten, übernächsten und überübernächsten Wahlen mitentscheiden. Die Klimafrage wird die soziale Frage verschärfen. Und anders herum.
Es gibt künftig keine Wahl beim Klima. Will die LINKE in der ganzen Gesellschaft etwas zu sagen haben, dann war die EU-Wahl der letzte Weckruf. Die Antwort kann kein Zurück zu einem schnarchigen Parlamentarismus sein. Das bloße Reden über eine grün-rot-rote Koalition reicht nicht, wenn es – so wie die zurückliegenden Machtkämpfe in Partei und Bundestagsfraktion – von der Inhalts- und Identitätsfindung einer zeitgemäßen Linken ablenkt.
Wir brauchen übrigens überhaupt keine Angst haben vor einer Verwässerung des linken Parteiprofils, vor einer beliebigen Unerkennbarkeit zum politischen Gegner: Die Linken sind nicht nur die besseren Sozialdemokraten – weil die LINKE den Kapitalismus überwinden will. Die Linken sind nicht nur die besseren Grünen – weil die LINKE den Kapitalismus nicht nur grün anmalen will. Von unten, mit der Klimabewegung, klassenbewusst, für Natur und Mensch, müssen wir aus unserer Ecke raus, selbstbewusst, und viel lauter sein: »System Change! Not Climate Change!«
Lorenz Gösta Beutin ist Energie- und Klimapolitiker der Linksfraktion im Bundestag
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