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Das Wohlergehen wird zum Regierungsziel
Neuseeland rückt mit dem ersten »Wellbeing Budget« Wirtschaftsindikatoren in den Hintergrund
Ein Land will glücklicher werden: Neuseeland hat erstmals ein Haushaltsbudget »zum Wohlergehen« der Gesellschaft vorgestellt. Damit will der Inselstaat im Südpazifik die Politik verändern: Wirtschaftswachstum ja, aber nicht auf Kosten der Armen oder der Kinder, ist das neue Motto.
Bereits im Januar während des Weltwirtschaftsforums in Davos hatte sozialdemokratische Premierministerin Jacinda Ardern erklärt, warum sich ihrer Meinung nach in westlichen Gesellschaften so einiges ändern muss. Neuseeland sei das beste Beispiel: Mit ungefähr drei Prozent Wachstum des Bruttoinlandsproduktes (BIP) und einer Arbeitslosenquote von 3,9 Prozent habe ihr Land eigentlich guten Rahmenbedingungen. »Aber wir haben eine erstaunlich hohe Rate an Obdachlosigkeit und eine der höchsten Selbstmordraten in der OECD.« Laut dem UN-Kinderhilfswerk UNICEF leben zudem 27 Prozent der Kinder in Armut, nicht zuletzt, da ein Immobilienboom den Häusermarkt für viele unerreichbar gemacht hat.
Mit dem aktuellen Entwurf eines »Wellbeing Budget« will die Regierung nun beweisen, dass man einiges besser machen kann. Einige der Details, die Finanzminister Grant Robertson der gespannt wartenden Öffentlichkeit vorstellen wollte, waren indes zuvor »geleakt« worden. Die Regierung erklärte, das Finanzministerium sei gehackt worden, und schaltete die Polizei ein. Inzwischen kam jedoch heraus, dass die Dokumente ganz einfach über eine Internetsuche auf der Website des Ministeriums zu finden waren.
Laut den nunmehr von Robertson auch offiziell präsentierten Plänen will Neuseeland neben den traditionellen Wirtschaftsindikatoren wie dem BIP künftig auch den Lebensstandard messen, um Probleme besser zu erkennen und anzugehen. So will die Regierung im neuen Haushaltsjahr (ab 1. Juli) mehr Gelder für die psychische Gesundheit der Neuseeländer, für die Kinderfürsorge, die Ureinwohner, die Digitalisierung und den Kampf gegen den Klimawandel bereitstellen. Neue Schulen sollen gebaut und der Zugverkehr gefördert werden. Künftig muss zudem jeder Minister, der Steuergelder ausgibt, nachweisen, dass er mit dem Geld das Wohl der Gesellschaft verbessert und nicht nur das Wirtschaftswachstum anschiebt.
Um Letzteres ist es inzwischen auch um das Wirtschaftswachstum nicht mehr ganz so gut bestellt. Das Finanzministerium rechnet mit einem Plus von 2,1 Prozent. In der Folge prognostiziert die Regierung für das kommende Haushaltsjahr einen niedrigeren Überschuss von 1,3 Milliarden Neuseeländische Dollar (rund 760 Millionen Euro).
Das Haushaltsbudget steht zudem im Schatten des Terroranschlags auf zwei Moscheen in Christchurch im März, bei dem 51 Menschen ums Leben kamen. »Wir müssen die Lehren aus der Tragödie ziehen und ein freundlicheres und integrativeres Land aufbauen«, sagte Robertson. Deswegen habe die Regierung auch Gelder für die psychologische und finanzielle Unterstützung der Überlebenden bereitgestellt. Nach den Änderungen des Waffengesetzes - halbautomatische Waffen sind nach dem Massaker verboten worden - hat die Regierung zudem 150 Millionen Dollar (88 Millionen Euro) veranschlagt, um Waffen von der Bevölkerung zurückzukaufen, sowie weitere 50 Millionen, um die Mittel der Geheimdienste aufzustocken.
Neuseeland ist nicht das erste Land, das künftig mehr auf den Lebensstandard seiner Bürger als auf bloße Wirtschaftsdaten achten will. So experimentieren bereits die Vereinigten Arabischen Emirate und das Himalaya-Königreich Bhutan mit einem Glücksministerium und einem Bruttonationalglück.
Wie erfolgreich Neuseeland mit seinem neuen Ansatz ist, darauf werden insbesondere konservative Wirtschaftsexperten in den kommenden Monaten und Jahren ein wachsames Auge haben. »Wenn sich die Regierung das Etikett ›Wellbeing Budget‹ verdienen will, dann muss sie in den nächsten Jahren durch Ausgabenanalyse, Ergebnisprüfungen und Kosten-Nutzen-Rechnung nachweisen, was sie mit ihren Entscheidungen tatsächlich bewirkt hat«, sagte Oliver Hartwich, der die unternehmensnahe Denkfabrik »New Zealand Initiative« leitet.
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