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Fall Assange: Kein neuer Haftbefehl
UN-Sonderberichterstatter sieht »psychologische Folter« bei Whistleblower
Das juristische Tauziehen um Julian Assange ging am Montag vor dem Bezirksgericht von Uppsala weiter. Das entschied gegen die erneute Ausstellung eines europäischen Haftbefehls gegen den australischen Whistleblower mit der Begründung, dass dieser bereits in Großbritannien in Haft sitze und deswegen befragt werden könne. Eine Anwältin des mutmaßlichen Vergewaltigungsopfers von Assange hatte die Wiederaufnahme der Voruntersuchungen Anfang April beantragt, nachdem der Australier von der britischen Polizei nach siebenjährigem Asyl vor der Botschaft Ecuadors festgenommen worden war.
Es wurde weiter ermittelt, nachdem die Untersuchungen zuvor bereits zwei Mal eingestellt wurden. Der Grund dafür war laut Oberstaatsanwältin Eva-Marie Persson nicht »Beweisschwierigkeiten«, sondern dass damals keine Aussicht auf Erfolg bestand, weil Assange auf unbestimmte Zeit Botschaftsasyl erhalten hatte. Laut der schwedischen Topjuristin besteht weiterhin der Verdacht der Vergewaltigung minderen Grades. Assange war schon 2016 in London zu den Vorwürfen im Beisein schwedischer Ankläger verhört worden. Er hat stets seine Unschuld beteuert. Der Vorwurf sexuellen Missbrauchs gegen zwei Frauen ist mittlerweile verjährt, der Vergewaltigungsvorwurf verjährt im August 2020.
Es sei »unzumutbar« einen Menschen »weiter zu quälen, der bereits eine Gefängnisstrafe in England absitzt und der wegen Verbreitung geheimer Informationen von den USA gesucht wird«, erklärte Assanges Anwalt Per Samuelsson. Die Entscheidung, ob Assange ausgeliefert wird, liegt nun in Großbritannien. Dort hatte ein Gericht in der vergangenen Woche eine Videoanhörung zum Auslieferungsgesuch der USA wegen Assanges schlechter Gesundheit verschoben. Er hat offenbar deutlich Gewicht verloren und war in den Medizintrakt des Gefängnisses verlegt worden. Großbritanniens Außenminister Jeremy Hunt erklärte am Sonntag, im Fall Assange müsse man »dem Recht folgen«, aber auch, dass er - sollte er in Zukunft die Regierung anführen - einer Auslieferung nicht im Wege stehen werde. Unterdessen hat Nils Melzer, UN-Sonderberichterstatter für Folter, am Freitag erklärt, Assange zeige alle Symptome »psychologischer Folter«. Der 47-Jährige leide unter »chronischer Angst und intensivem psychologischem Trauma«, so der Experte, der Assange am 9. Mai im Belmarsh-Gefängnis in London medizinisch untersucht hatte. Außerdem hätte er nicht angemessenen und regelmäßigen Zugang zu seinen Anwälten und könne sich so »unmöglich« ordentlich auf seine Verteidigung vorbereiten, so Melzer am Freitag.
Der lange Arm der USA
Lea Fauth befürchtet, dass an Julian Assange ein Exempel statuiert werden soll - um Whistleblower mundtot zu machen
Laut dem US-Magazin »Politico« wird das US-Justizministerium, anders als vorher erwartet, Assange nicht auch wegen der Verbreitung von Vault 7, CIA-Spionagetools zum Hacken von Smartphones, anklagen. Grund sind offenbar praktische Erwägungen. Neue Anklagepunkte bei Auslieferungsanträgen müssen innerhalb von 60 Tagen gestellt werden. Außerdem wolle es der Geheimdienst laut ungenannten »Politico«-Quellen bei einem Prozess vermeiden, im Rahmen der Beweisführung weitere Details von Vault 7 offenlegen zu müssen. Dabei hat die CIA durchaus Möglichkeiten, sensible Informationen bei Gerichtsverfahren zu schützen. Damit bleibt es scheinbar bei den 17 Vorwürfen der Anklageschrift nach dem Spionagegesetz vom März. Mit dem Verzicht auf die schwerwiegendere Anklage wegen Vault 7 geht es in dem Verfahren gegen Assange nun mehr um Aspekte, die die Pressefreiheit berühren und die Frage, ob das eigentlich für US-Regierungsmitarbeiter geltende Spionagegesetz auch auf Journalisten und Verleger Anwendung findet. Die US-Regierung sieht Assange nicht als solchen, Kritiker schon.
Eine Vermutung unter Letzteren ist: Statt eine Auslieferung und Anklage nur wegen eines Anklagepunktes, dem Einbruch in Regierungsrechner zu beantragen, habe das Justizminsterium bewusst eine relativ politische, den Journalismus angreifende Anklageschrift verfasst, damit diese von Großbritannien abgelehnt werden muss. Denn das Auslieferungsabkommen zwischen den beiden Ländern sieht eine Auslieferung bei »politischen« Vorwürfen und politischer Verfolgung nicht vor. So könnte Trump, der im Wahlkampf von Wikileaks-Enthüllungen profitierte und die Plattform ausgiebig lobte, mitten im Präsidentschaftswahlkampf 2020 ein peinlicher Prozess erspart bleiben, in dem Assange sich öffentlichkeitswirksam in Anhörungen verteidigen oder sogar neue Details über die Kooperation von Wikileaks mit Trumps Apparat medienwirksam öffentlich werden könnten.
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