Sigmar Gabriels ganz eigene Realität

Ex-SPD-Chef empfiehlt seiner Partei so zu werden wie die Sozialdemokraten in Dänemark, doch deren Rechtsruck war nicht so erfolgreich, wie Gabriel behauptet.

  • Moritz Wichmann
  • Lesedauer: 3 Min.

Sollte man wirklich noch über abgehalfterte SPD-Politiker wie Sigmar Gabriel schreiben, die zwar gescheitert sind, aber ihrer Partei trotzdem noch Ratschläge geben? Ja, denn in diesem Fall ist das Problem auch die Nichtbeachtung von Empirie beziehungsweise spezifisch der Wahlergebnisse in Dänemark und ein Zurechtbiegen der Realität. Die findet sich auch bei anderen Meinungsmachern, egal ob Spitzenpolitiker oder prominenten Journalisten. Der Ex-SPD-Chef ist also nicht alleine.

Wie kommt Gabriel zu seinem per Handelsblatt verbreiteten Rat an die deutschen Sozialdemokraten, sie müssten nun wie die Dänen eine knallharte rechte Migrationspolitik fahren, dann würden sie wieder Wahlen gewinnen? Er hat vermutlich einfach eine Zeitung aufgeschlagen und dort gelesen, dass die Sozialdemokraten nördlich von Flensburg unter anderem kategorisch das Ende der Grenzkontrollen ablehnen und damit bei der Parlamentswahl am Mittwoch mit 25,9 Prozent der Stimmen gewonnen haben.

Die vorschnelle Schlussfolgerung erscheint zunächst plausibel - auch mit Verweis auf die Halbierung der Sitze für die rechtspopulistische Dänische Volkspartei: Die SPD sollte so wie die die Sozialdemokraten in Dänemark werden, dann klappt es wieder mit dem Wahlengewinnen. In Querfront- und Brexitrhetorik schiebt Gabriel noch hinterher, bei der Wahl sei das bestimmende Thema nicht nur Migration gewesen. Es sei vielmehr noch breiter gefasst die »Zurückgewinnung von Kontrolle« nicht nur über die Staatsgrenzen, sondern auch über die Globalisierung gewesen.

Doch ein Blick auf die Daten zeigt: Vieles daran ist falsch. Richtiger ist: Trotz Rechtsschwenks haben die Sozialdemokraten ihr Ergebnis halten können. Sie haben dabei nicht etwa einen »schnellen Aufstieg« hingelegt, wie Gabriel suggeriert. Denn bei den vergangenen vier Wahlen lagen die »Socialdemokraterne« knapp unter 25 Prozent oder etwas darüber. Zuletzt holte die Partei 2015 sogar 0,4 Prozentpunkte mehr als am Mittwoch. Sie schnitten sogar etwas schlechter ab, als Umfragen vor der Wahl vermuten ließen. Die nichtsozialdemokratischen Parteien im linken Spektrum – wenn man die Sozialliberalen hinzuzählt – haben stattdessen ihren Stimmenanteil von zuletzt 21 Prozent vor vier Jahren auf 26 Prozent steigern können.

Auch haben die Sozialdemokraten in Dänemark den Rechtspopulisten keine »Niederlage« beschert oder »Wähler zurückgeholt«, wie Gabriel behauptet – zumindest nicht in nennenswertem Umfang. Analysen der Wählerwanderung der Volkspartei zeigen, dass nur rund ein Zehntel derer, die 2015 die Dänische Volkspartei wählten, dieses Mal den Sozialdemokraten ihr Stimme gaben.

Hinter der Halbierung der Stimmen der Rechtspopulisten steckt in größerem Umfang eine Zersplitterung der Stimmen im rechten Spektrum. Noch etwas mehr Stimmen haben die Sozialdemokraten dagegen an Parteien im links von ihnen verloren. Auch ging es bei der Wahl nicht um Migration, 40 Prozent der Wähler gaben an Klimaschutz sei ihre Priorität.

Doch, um in Gabriels Worten zu bleiben, auch dabei geht es ja um die Zurückgewinnung von Kontrolle, aber eben die über unseren Ausstoß von Treibhausgasen und damit über die unkontrollierte Erhitzung unseres Planeten. Doch Sigmar Gabriel interessierte das nicht, er sieht die Realität so, wie er sie sehen will.

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