Virtuosen des Adjektivs

Velten Schäfer schaut den »Kritikern« ins Oberstübchen

  • Velten Schäfer
  • Lesedauer: 3 Min.

Es gibt einen Geistes- und Berufsstand, der nicht nur vom, sondern auch im Widerspruch lebt, in einem Widerspruch nämlich zwischen Äußerung und Empfindung. Werden die Verhältnisse schlimmer, also die Politik reaktionärer, die Romane platter, die Filme kitschiger und die Kunst blasierter, dann freuen sich diese Leute tief im Inneren, weil sie sich nach außen besser ärgern können. Diese Leute - sie nennen sich Kritiker und sind stolz auf ihren »kritischen Geist« - äußern dann, dass dieses Kunstwerk blasiert ist, jener Film kitschig, jener Roman platt oder jene Politik skandalös. Doch ist das wirklich schon Kritik?

Um überhaupt sagen zu können, was sie sagen, um also in die Lage zu kommen, etwas sinnvoll wertend zu beschreiben, brauchen diese Leute Kriterien, denn jedes »Dass« verlangt ein »Inwiefern«. Nun teilen Kriterium und Kritik den griechischen Stamm: »Kritein« heißt »unterscheiden«. Doch gehen beide Begriffe ineinander auf?

Solange sich »kritischer Geist« im »Dass« und »Inwiefern« ergeht, ist er nur ein weißer Schimmel. Denn die Fähigkeit zur Unterscheidung, also zum Bilden von Kriterien und deren Anwendung auf die Welt ist, folgt man dem Hauptstrom der Anthropologie, die Definition von »Geist« und damit die Bestimmung des Menschlichen gegenüber dem Tierreich. Sagen zu können, dass und inwiefern »mir das und das nicht passt«, ist demnach noch keine Kritik. Sondern, wie Ulrike Meinhof in einem berühmten Text schrieb, nur »Protest« - und weist den Sprechenden als Homo sapiens aus.

Das journalistische Genre oder die Sorte von Kneipenrede, die als »Kritik« firmiert, ist fast immer nur Protest, ob politisch oder ästhetisch. Man erkennt diese Sprechweise am exzessiven und oft virtuosen Gebrauch von Adjektiven. Die »Kritik«, die nur Protest ist, misst Radikalität in der kunstvollen Auswahl böser Eigenschaftsworte. Ihre Sprecher kultivieren einen Gestus der Negation, der ihnen erlaubt, weniger zur Sache zu sprechen als von der eigenen Distanz zu derselben, also letztlich von sich selbst. Deswegen freuen sie sich auch stets heimlich, wenn sich Anlass für ihre Rede bietet.

Was im Gegensatz zur kultivierten Negation wirkliche Kritik sei, hat Philosophen von Kant bis Foucault umgetrieben. Kritik, schreibt zweiterer mit Blick auf ersteren, besteht »weder in der Affirmation des Bestehenden noch seiner Negation«, sondern in einer Frage, die sich »auf eine tiefere und grundlegendere Ebene richtet«. Es geht ihr nicht darum, festzustellen und darüber zu klagen, dass man »derartig, im Namen dieser Prinzipien da, zu solchen Zwecken und mit solchen Verfahren« politisch regiert oder kulturell dominiert wird - sondern wissen zu wollen, wie das möglich ist.

Das ist dann eine ganz andere Frage, die sich vielleicht auch Meinhof hätte eindringlicher stellen sollen, bevor sie dazu überging, dafür zu sorgen, »dass das, was mir nicht passt, nicht länger geschieht«. Doch folgt nicht nur in jenem berühmten Text »Widerstand« direkt auf »Protest«. Sondern fehlte auch in ihrer am Ende tragischen Praxis der Wille zu oder der Raum für Kritik.

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