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Autonome besiegen Briefkasten
Landgericht weist Räumungsklage gegen die Kadterschmiede erneut als unzulässig ab
Die Sicherheitsvorkehrungen vor dem Berliner Landgericht in Charlottenburg sind besonders hoch an diesem Donnerstagmorgen: Ein massives Polizeiaufgebot vor dem Gerichtsgebäude, strenge Einlasskontrollen, Besucher*innen müssen ihre Taschen abgeben. Die Nervosität der Sicherheitsbehörden vor dem Beginn des Prozesses um die linksradikale Kneipe Kadterschiede in der Rigaer Straße 94 in Friedrichshain ist mit den Händen zu greifen.
Ein Grund dafür dürfte die Brückensperrung in den frühen Morgenstunden gewesen sein, bei der laut Polizei mutmaßliche Unterstützer*innen mehrere Reifen auf der Elsenbrücke abgelegt und angezündet haben sollen. In der Nacht zuvor sollen in der Rigaer Straße zudem mehrere Müllcontainer gebrannt haben. Die Polizei geht von einer »konzertierten Aktion« im Zusammenhang mit dem Gerichtsprozess aus, so eine Sprecherin. Auch ein entsprechendes Bekennerschreiben sei gefunden worden.
Wenig später vor dem Landgericht geht dann alles ganz schnell: Nicht einmal eine Viertelstunde dauert die Verhandlung, bei der der mutmaßliche Eigentümer zum wiederholten Male die Räumung der Kneipe verlangt. Zudem soll der Verein »Freunde der Kadterschmiede«, der die zwei Wohnungen in der Rigaer Straße seit 2013 ohne Mietvertrag nutzt, rückwirkend für drei Jahre monatlich 675 Euro Nutzungsentschädigung zahlen.
Dazu kam es am Donnerstag jedoch nicht: Der Richter äußerte erhebliche Zweifel an der Zulässigkeit der Räumungsklage. So gebe es keine ausreichende Prozessvollmacht für den Anwalt des Hauseigentümers, sagte der Vorsitzende Richter Holger Thiel. Dieser habe weder einen Gesellschafterbeschluss, noch eine Satzung vorgelegt, die die Eigentümerfirma mit Sitz in Großbritannien ausweisen. Anwalt Markus Bernau beantragte daraufhin zwei Wochen Zeit, um die Unterlagen nachzureichen.
Der Vorsitzende Richter Holger Thiel äußerte Unverständnis, dass die erforderlichen Unterlagen erneut nicht eingereicht wurden. Bereits im vorherigen Prozess im Mai 2018 hatte der Anwalt keine Prozessvollmacht vorweisen können, weshalb die Räumungsklage abgewiesen worden war. Am Donnerstag beendete das Gericht zunächst die Verhandlung und zog sich zu Beratungen zurück. Die zahlreichen Unterstützer*innen quittierten den Ausgang mit Gelächter: »Auf in die nächste Runde«, schallte es von den Zuschauerbänken. Wenige Stunden später wurde die Räumungsklage als unzulässig abgewiesen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, es kann Berufung eingelegt werden.
Um die Kadterschmiede in der Rigaer Straße gibt es seit Jahren gerichtliche Auseinandersetzungen. Im Juni 2016 räumten Hunderte Polizist*innen die Kneipe auf Betreiben des Eigentümers - ohne Räumungstitel und damit rechtswidrig, wie das Landgericht kurz darauf entschied. Seitdem versucht die Firma die Räumung gerichtlich durchzusetzen.
Der Anwalt des Vereins »Freunde der Kadterschmiede«, Lukas Theune, spracht nach der Verhandlung von einer Briefkastenfirma: »Die existieren gar nicht«, ist er überzeugt. So hätten Freunde des Vereins 2017 versucht, den Eigentümer, die Lafone Investment Limited, unter der angegebenen Adresse in England ausfindig zu machen - ohne Erfolg. Das musste auch das Gericht erfahren: »Nicht einmal die Rechnung der Gerichtskosten konnte zugestellt werden«, so Theune. Den Versuch, die 3000 Euro stattdessen beim Verein einzutreiben, habe man jedoch abwenden können.
Dass niemand weiß, wem das Haus gehört und es daher auch keinen Ansprechpartner gibt, betrifft auch die Hausbewohner*innen mit gültigen Mietverträgen, sagt Theune. Auftretende Mängel müssten sie selbst beseitigen, da auch die Hausverwaltung nicht erreichbar sei. Die Bundestagsabgeordnete Canan Bayram (Grüne), die als Prozessbeobachterin gekommen war, äußerte den Verdacht der organisierten Kriminalität und vermutete Grundstücksspekulation.
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