Wenn die SPD anderen Beliebigkeit vorwirft

Die Attacke des kommissarischen SPD-Chefs zeigt, wie neidisch und planlos man auf die Grünen blickt

  • Alina Leimbach
  • Lesedauer: 3 Min.

»Sie sind in den vergangenen zwei Jahren in eine programmatische Beliebigkeit abgeglitten.« Nein, mit diesem Satz ist nicht die SPD gemeint. Es ist genau umgekehrt: Ausgerechnet die SPD wirft den Grünen Beliebigkeit vor. In einem »Tagesspiegel«-Interview giftete deren neuer Interimschef Thorsten Schäfer-Gümbel, kurz TSG, gegen die Konkurrenzpartei.

Das Phänomen, dass die Sozialdemokraten ihre ursprünglichen nächsten Verwandten hart attackieren, ist kein ganz neues. Spätestens seit dem Höhenflug der Grünen nach der letzten Bundestagswahl sind sie für die SPD als heimlicher Hauptwidersacher ausgemacht. Auch am heftigen Vokabular wird nicht gespart: Die Grünen werden dann wahlweise als elitär oder populistisch tituliert. Selbst dem Kampfbegriff der Liberalen und einiger Konservativen, »Verbotspartei«, schließen sich SPDler gerne an.

Der neue Vorwurf – programmatische Beliebigkeit – ist allerdings ein besonders spezieller. Gerade von der SPD, die zweimal ohne Not ein Bündnis mit Linken und Grünen abgelehnt hat, um lieber gemeinsam mit der Union ihre Agenda-Politik zu verteidigen. Die gleichzeitig mehr Klimaschutz fordert, während sie den Kohleabbau doch noch ein bisschen länger beibehalten will. Die sich, wie man in Markus Feldenkirchens Buch »Die Schulz Story« nachlesen kann, bis zum letzten bisschen von allen möglichen Kanten befreit – um bloß niemanden zu verschrecken. Als Volkspartei, so denken viele an der Spitze der SPD, habe man alles und nichts zu sein.

Genau nach der Maxime wird auch in der GroKo Politik gemacht: Ein bisschen Zustimmen zu dem Hau-Ab-Gesetz im Austausch für ein Gesetz, das insbesondere Ausgebildeten die Zuwanderung erlaubt. Als wäre beides gleichwertige Tauschware auf dem Politikbasar. Vor allem: Selbst der vermeintliche Sieg, das Zuwanderungsgesetz, ist eine Finte. Viele migrantische SPD-Basis Mitglieder, deren Familien erst vor einer oder zwei Generationen nach Deutschland einwanderten, wären wenn dieses neue Zuwanderungsgesetz damals schon in Kraft gewesen wäre, heute gar nicht hier.

Was Schäfer-Gümbel mit seinem heftigen Verbalangriff eigentlich eingesteht: Wie neidisch, und in gewisser Weise planlos, man auf den Erfolg der Grünen blickt. Statt sich auf die »gute Regierungsarbeit« zu konzentrieren, greift man die Partei an. Dabei ist es eben genau Teil des Ausschreibungsprofils einer Oppositionspartei, die Regierung – die dann am besten stoisch auf Kurs bleibt und alles abprallen lässt – vor sich herzutreiben.

Weitere absurde Kritik von Seiten des SPD-Manns: Dass den Grünen die soziale Frage »schnurzegal« sei. In der Tat, bei Koalitionsverhandlungen für ein mögliches Jamaika-Bündnis stand das Thema Soziales für die Grünen tatsächlich weniger weit oben auf der Agenda als Umwelt und Klima. Inhaltlich legen die Grünen allerdings Konzepte vor, die sozialpolitisch oft über die Vorschläge der SPD herausreichen. So auch ausgerechnet am Vortag des Erscheinens des TSG-Interviews. Da stellten die Grünen ihren durchgerechneten Plan für eine Kindergrundsicherung vor.

Schäfer-Gümbels Vorgängerin im Amt, Andrea Nahles, wollte zur Kindergrundsicherung übrigens auch mal ein eigenes Konzept vorstellen. Schließlich hält man in der SPD ja das Soziale hoch! Dumm nur, dass der Ankündigung nie etwas folgte. Bis heute wartet die Öffentlichkeit vergebens auf ein einziges inhaltliches Detail der SPD zu einer solchen Sicherung für Kinder.

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