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Rassistische Traditionslinien
Michael Lühmann warnt davor, rechten Terror zu entideologisieren oder als Einzelfälle abzutun
Eine aus dem Ruder gelaufene Alkoholwette, jugendlich Orientierungssuche, ein junger Hobbybastler? Drei Fälle rechter, gar auch tödlicher, Gewalt der jüngsten Vergangenheit, die aufrütteln: Ein brutaler Angriff zweier Hooligans auf Mallorca, ein Mord an einem Homosexuellen in Aue und der Mord am Kasseler CDU-Politiker Walter Lübcke. Sie verbindet neben der zugrundeliegenden rechten Ideologie vor allem eines: Dass ihre Taten in der öffentlichen Wahrnehmung entideologisiert werden oder wurden.
Dies gilt derzeit am wenigsten für den tatverdächtigen Mörder Walter Lübckes, dessen ideologisches Fundament geklärt scheint - einzig die Einzeltätertheorie in Verbindung mit psychischen Störungen könnte hier noch, wie so oft, die Tat abschwächen - zu lang die Liste der Vorstrafen, zu offenkundig Verweise ins extrem rechte Milieu. Dies war 1993 noch anders. Da hatte derselbe Mann mittels einer selbstkonstruierten Bombe eine Asylbewerberunterkunft angegriffen. Und obwohl der Täter sich selbst »ausländerfeindlicher Motive« bezichtigte, galt er der Polizei als »junger Bombenbastler.«
Ähnlich irritierend erscheinen zwei jüngere Fälle. Nach einem Angriff zweier der rechten Szene, dem Hooligan- und Kampfsportmilieu im Umfeld von Lok Leipzig zuzurechnenden, Personen auf einen Türsteher aus dem Senegal, war für die spanischen Ermittler das Motiv sehr schnell klar: Aufgrund einschlägiger Hinweise musste von einem rassistischen Motiv ausgegangen werden. Kein Hinderungsgrund für die »Leipziger Volkszeitung«, im Umfeld der Beschuldigten die üblichen Muster zu recherchieren: Es sei gerade nicht von einem geplanten rassistischen Tatmotiv auszugehen, vielmehr wäre eine »Alkoholwette« aus dem Ruder gelaufen. Ein Schubser habe letztlich bei einem der Täter »die Sicherungen durchbrennen lassen«. Warum der andere mutmaßliche Täter dann auf das am Boden liegende Opfer einschlug, ob es einen »weißen« Türsteher auch so hart getroffen hätte, diese Fragen fehlen.
Das dritte Beispiel: In Aue prügeln drei offenkundig dem rechten Milieu zuzuordnende Personen solange auf ihr homosexuelles Opfer ein, dass den Behörden später die Identifizierung schwerfiel. Schneller und klarer als oft zuvor, stufte die Bundesregierung die Tat als rechte Gewalttat ein, die Amadeu Antonio Stiftung und die Opferberatung Sachsen bestätigten die Sicht. Und dennoch spielt die rechte Gesinnung vor Gericht kaum eine Rolle, auch weil der Gutachter jenem fatalen Muster folgte, dass so oft bei rechten Gewaltverbrechen Anwendung findet: Die Tat sei mit jugendlicher Orientierungssuche und mit Enthemmung durch Alkohol zu erklären, eine rechte Gesinnung habe sich nicht dargestellt: Dabei haben alle drei Täter rechte Vorstrafen oder trugen szenetypische Kleidung, haben einschlägige Facebook-Profile, hören indizierten Rechtsrock. Die lokale Berichterstattung verharrte im Konjunktiv und hinterfragte diesen Widerspruch kaum.
Was diese drei Beispiele verbindet, ist das Muster der Berichterstattung, das sich in der alten Bundesrepublik erst nach den Anschlägen von Mölln und Solingen etwas abschwächte, im Osten im Prinzip bis heute Bestand hat. Die Neigung, eindeutig rechte, rassistische, menschenfeindliche Gewalttaten ihres ideologischen Kerns zu befreien - der organisierte rechte Angriff auf Leipzig-Connewitz aus dem Jahr 2016, er wird noch immer gern als Hooliganrandale verbrämt. Das Ergebnis solcher Verharmlosung? Die tatsächliche rechte Bedrohung verschwindet hinter sozialisatorischen Konflikten, Alkohol und jugendlicher Orientierungssuche. Nichts, was neu wäre oder Bestand haben könnte und deshalb nicht aufrütteln muss.
Und es lässt, weil rassistische Tatmotive insbesondere im Osten oft übertüncht werden, die Rezipienten überrascht zurück, wenn nach Freital, Heidenau und Pegida plötzlich die Rede von rechten und rassistischen Traditionslinien ist. Wo sollen die herkommen, wenn in der Zeitung so etwas nie berichtet wurde? Schnell entsteht deshalb der Eindruck, der Osten werde in die rechte Ecke geschoben. Am Ende kommen dann Erzählungen auf, wonach Ostdeutsche und Migranten ähnliche Abwertungserfahrungen machen würden.
Das ist zynisch im Angesicht der Täter-Opfer-Verhältnisse. Und es verhindert, dass Rassismus, rechte Gewalt, ja rechter Terror endlich als das wahrgenommen werden, was sie sind: eine historisch gewachsene und verwurzelte deutsch-deutsche Traditionslinie, deren Gefährdungspotenzial eigentlich nicht mehr überraschen dürfte.
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