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Nationalismus
Leo Fischer über AfD, Gabalier und die Unmöglichkeit, gegen Milka zu argumentieren
Der Nationalismus lebt heute vor allem als ungeglaubter Glauben. Es ist ein Betrug, den sogar die meisten seiner Anhänger komplett durchschauen, ein So-tun-als-ob, ein Rollenspiel zum bösen Zweck. Der Betrug wird immer offenkundiger, je machtvoller seine Akteure werden - je stärker sie sich international vernetzen, um ihre nationalen Interessen durchzusetzen. Im Europaparlament gibt es einen Block derjenigen, die gegen Europa sind, die Europa abschaffen wollen mit den Mitteln Europas. Alice Weidel und Alexander Gauland leben das Leben genau der postmodernen Somewheres, die sie kritisieren; fliegen von Washington nach Budapest, um für ihre Sache zu trommeln, sind der Jetset des Nationalismus. Es ist eine internationale Bewegung, die im Kern überhaupt nichts Nationales an sich hat - alle ihre Vertreter können jederzeit mit allen anderen. Wenn sie miteinander sprechen, ist ihre Rede frei von nationalem Chauvinismus, sie gratulieren sich gegenseitig dazu, die Grenzen gegeneinander noch etwas fester geschlossen zu haben.
Sie glauben gar nicht selbst an die Überlegenheit der Nation, an jeder Stelle spüren sie, wie viel Aufwind ihnen internationale Vernetzung gibt. Sie wollen die Welt selbst nicht, die sie erschaffen, sie könnten in ihr auch gar nicht existieren. Im Gegensatz zum Nationalismus des 20. Jahrhunderts ist ihnen der Konstruktcharakter der Nation vollkommen transparent, sie durchschauen die Fiktion als Fiktion, leben aber die Fiktion. Die Nation ist ein Fandom, eine Fan-Gemeinschaft, so wie bei Harry Potter, nur dass die Leute vom Hut nicht Zauberer- und Hexenhäusern zugeteilt werden, sondern Nationen.
Es geht um eine Form der Politik, die sich selbst schon als Fiktion erkannt hat. Wahrscheinlich ist es auch kein Zufall, dass die Szene der Reichsbürger mittlerweile im nationalen Milieu sehr gut angenommen wird. In den Neunzigern waren die Reichsbürger eine winzige Gruppe verschrobener Gestalten, die sich gegenseitig selbstgebastelte Pässe schickten, sich gegenseitig zu Ministern ernannten. Sie waren so albern, dass sie im rechtsradikalen Milieu vollkommen isoliert waren; zu peinlich sogar für Nazis. Jetzt ist es so, dass die Reichsbürger nicht nur bewaffnet und gefährlich sind, sondern sich völlig selbstverständlich in der Szene bewegen können. Sie spielen das Fantasy-Spiel der Nation nur besonders konsequent, ihre Teilnahme ist ein Kennzeichen für diese Politik der erkannten und gelebten Fiktion: Es geht um eine Performance des Nationalen, weniger um einen Idealismus oder einen quasi-wissenschaftlich, historisch oder biologistisch begründeten Nationalismus.
Nirgends lässt sich das sehen wie an den neuen kryptonationalen Musikern wie Andreas Gabalier: »I glaub an mei Land und die ewige Liab / Nix is mehr Daham als ein Schnitzel aus der Pfann / Tradition leben, mit der Zeit gehen / So wie’s früher in der Milka-Tender-Werbung war / I glaub an Leut, die sich geben wie sie sind / In einem christlichen Land hängt ein Kreuz an der Wand ...« Hier ist die ironische Performance von Nation, die sich als Performance gleichzeitig völlig ernstnimmt. Man will die Nation aus der Milka-Tender-Werbung, nicht die aus Geschichtsbüchern; man will nicht übers Klischee zu einem Echten kommen, man will im Klischee leben, man will in einer Schlagerwelt leben.
Es wird von linker oder liberaler Seite oft versucht, ein positives Gegenbild zur Heimat zu erzeugen, eine Heimat, die alle meint, oder eine Dekonstruktion des Heimatbegriffs probiert. Aber die Nation, in der Andreas Gabalier lebt, ist bereits dekonstruiert, und gegen die Milka-Tender-Werbung kann man kein positives Gegenbild erzeugen. Gegen Milka lässt sich nicht argumentieren, Milka hat immer schon gewonnen.
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