Stolz statt Vorurteil

»Verrückte und Behinderte« stellen sich mit buntem Protest gegen Diskriminierung

  • Julian Seeberger
  • Lesedauer: 3 Min.

Konfetti-Regen und wummernde Bässe liegen in der Luft, Regenbogenfahnen wehen im Wind. Dazu demonstrieren »Freaks und Krüppel, Verrückte und Behinderte« mit ihren Unterstützern. Pride Parade nennen die Organisatoren die Veranstaltung. Sie lockte am Samstag unter dem Motto »Kämpfe verbinden, Normen überwinden!« mehrere Hundert Menschen auf eine Route von Mitte bis zum Kottbusser Tor nach Kreuzberg. Vereint wollen sie auf die Diskriminierung von Menschen aufmerksam machen, die gesellschaftlichen Normen nicht entsprechen.

Auch in Deutschland seien Tausende Menschen von Stigmatisierung und Ausgrenzung betroffen, argumentiert das Organisatoren-Bündnis. Betroffene seien etwa Menschen mit physischem Handicap, mit psychiatrischen Diagnosen, Queere sowie Homo- oder Intersexuelle. Im Alltag würden sie häufig an die Ränder der Gesellschaft verbannt. »Wenn Betroffene abgeschoben werden in Sonderschulen, Behindertenheime, spezielle Werkstätten oder Psychiatrien, müssen diejenigen, die die Normen machen, sich und ihre Normen nicht hinterfragen«, kritisierte ein Redner. Obendrein würden Betroffene dort oftmals entmündigt, unsichtbar gemacht, seien Zwang oder gar Gewalt ausgesetzt.

Diese Situation widerspreche der seit zehn Jahren in der Bundesrepublik gültigen UN-Behindertenrechtskonvention und müsse umgehend beendet werden, forderten die Protestierenden bei bestem Wetter. Denn: »Niemand darf benachteiligt sein, weil sie*er nicht der Norm entspricht!« Gleichzeitig müssten jedoch auch die unsichtbaren Mauern eingerissen werden, die Betroffene vom gesellschaftlichen Leben ausschließen. Wo es genaue Vorstellungen von Normalität gebe, würden immer auch Menschen ausgegrenzt. »Viele spüren das Tag für Tag und sind ein Leben lang damit beschäftigt, sich zu schämen und dagegen anzukämpfen«, heißt es im Aufruf zur Parade.

Diesen Missständen stellte der Aufzug am Samstag einen fröhlichen und positiven Ansatz entgegen: »Alle Menschen sind gut, so wie sie sind! Unsere Behinderung gehört zu uns! Wir kämpfen für Barrierefreiheit. Wir kämpfen dafür, dass alle Menschen mitmachen können. Wir kämpfen für gute Unterstützung. Wir wollen Gleichberechtigung. Wir wollen so behandelt werden, wie alle anderen Menschen«, schallte es vom Lautsprecherwagen.

»Party statt Pathologisierung« war auf Bannern zu lesen. Die Zusammenkunft soll so auch das Selbstbewusstsein und den Stolz der Betroffenen stärken und ihnen ermöglichen, ihre angeblichen Mängel zu feiern. Die Organisatoren machen sich dabei ganz bewusst abwertende Bezeichnungen zu eigen, um so die vorherrschenden Bilder von Schönheit und Normalität aufzubrechen. Inspiriert von ähnlichen Aufzügen in Nordamerika und vom Christopher Street Day der Homosexuellen-Bewegung kann die Berliner Pride Parade dabei in ihrem sechsten Jahr bereits auf eine eigene Tradition zurückblicken.

Dabei haben die Veranstalter auch ganz konkrete politische Forderungen: »Beschäftigte in Werkstätten für Behinderte erhalten im Schnitt unwürdige 213 Euro im Monat für eine Vollzeitstelle. Die Bundesregierung will diesen Lohn nun um ganze 37 Euro erhöhen, gestaffelt auf fünf Jahre. Die behindertenfeindliche Politik muss endlich ein Ende haben! Wir fordern eine volle Inklusion für alle Behinderten und Verrückten überall«, erklärt Matej Kralj, Sprecher des Organisatoren-Bündnisses, dem »nd«.

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