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Fünf Euro für die Grundrente

Wissenschaftler Tim Köhler-Rama erklärt, warum die Rente finanzierbar und eine Bedürftigkeitsprüfung unfair ist

  • Alina Leimbach
  • Lesedauer: 6 Min.

Herr Köhler-Rama, erst in der letzten Woche hieß es wieder: Die gesetzliche Rente ist gestiegen! Warum reden wir dann so oft über niedrige Renten?

Die Höhe der ausgezahlten Renten steigt, wenn die Löhne steigen. Und da sich die wirtschaftliche Leistung fast kontinuierlich verbessert hat, liegen die Löhne heute höher als noch vor einigen Jahren - und somit auch die Renten. Das Problem liegt wo anders: in Deutschland arbeiten derzeit neun Millionen Menschen im Niedriglohnsektor. Nach aktueller Berechnung haben sie praktisch keine Chance, später eine Rente zu bekommen, die oberhalb der Sozialhilfe liegt. Und das, obwohl sie oft Vollzeit arbeiten und jahrzehntelang Beiträge in das Rentensystem einzahlen.

Zur Person

Die Pläne für die Grundrente liegen wegen des Streits um die Bedürfnisprüfung auf Eis. Im Interview erklärt Tim Köhler-Rama, warum eine Grundrente mit einer solchen Prüfung gar keine Rente mehr wäre und warum auch die Zahnarztgattin ein Recht auf sie hat.

Er ist Dozent für Volkswirtschaftslehre und Ökonomie der Altersvorsorge an der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung. Sein Buch "Das Rentensystem verstehen. Einführung in die Politische Ökonomie der Alterssicherung" ist 2018 im Wochenschauverlag erschienen

Hubertus Heil will für diese Menschen die Grundrente einführen. Würde das helfen?

Die Grundrente von Herrn Heil kann Altersarmut nicht ganz beseitigen, dafür liegt sie zu niedrig. Aber solch eine Maßnahme wäre ein Schritt in die richtige Richtung: Wer einen Großteil seines Lebens gearbeitet und Beiträge in die Rentenkasse gezahlt hat, darf nicht im Alter auf einmal zum Bittsteller des Sozialsystems werden. So wie wir einen Mindestlohn benötigen, ist auch eine Mindestsicherung im Alter notwendig. Und überhaupt: Wir sind einer der wenigen Industriestaaten, die niedrige Einkommen von langjährig Beschäftigten bei der Rentenberechnung nicht aufstocken.

Streitpunkt in der GroKo ist derzeit die Bedürftigkeitsprüfung. Also ob alle, die auf 35 Beitragsjahre kommen, die Rente erhalten sollen oder nur Menschen mit Anspruch auf Grundsicherung im Alter. Wie sehen Sie das?

Eine Grundrente mit vorheriger Überprüfung der Einkommens- und Lebensverhältnisse wäre keine Grundrente. Denn im Rentensystem ist grundsätzlich keine Bedürftigkeitsprüfung vorgesehen. Wenn die SPD hier einknickt und die Bedürftigkeitsprüfung zulässt, wäre dies das Ende der ganzen Idee. Es bliebe dann nur noch eine »Grundsicherung plus«. Auch ein Kompromiss, bei dem erst einmal nur das Einkommen des Antragstellers geprüft würde, wäre der falsche Weg.

Warum wäre eine Grundrente mit Bedürftigkeitsprüfung keine echte Rente mehr? Das müssen Sie noch einmal erläutern.

Eine Rente ist der »fortgesetzte Lohn« nach lebenslanger Arbeit. Und sie ist eine Gegenleistung für jahrzehntelange Beitragszahlung, ein Spiegel der Lebensleistung. Wenn der oder die Versicherte das Pech hatte, lange Zeit im Niedriglohnbereich zu arbeiten, muss dies das Rentensystem mit einer sozialen Ausgleichsmaßnahme berücksichtigen. Eine Bedürftigkeitsprüfung im Rentensystem wäre falsch, weil sie dazu führen würde, dass das Sozialamt und die Rentenversicherung miteinander vermengt würden. Die strikte Trennung der beiden Systeme wurde übrigens 1957 von dem CDU-Kanzler Konrad Adenauer eingeführt. Die CDU scheint das heute aber vergessen zu haben.

Einige Verfassungsrechtler warnen allerdings, die Grundrente sei verfassungswidrig, wenn sie ohne Bedürftigkeitsprüfung auskäme.

Das ist absurd. Wir haben im Rentenrecht seit 1972 ähnliche Regelungen wie die Grundrente von Heil. Die Rente nach Mindestentgeltpunkten zum Beispiel gilt für Zeiten bis 1992. Sie wird ohne Bedürftigkeitsprüfung gezahlt. Seinerzeit hat auch die CDU für diese Regelung gestimmt. Bis heute hat niemand die Verfassungsmäßigkeit dieser Regelungen angezweifelt. Man kann vermutlich zu jedem Thema einen Ex-Verfassungsrichter finden, der einem ein Gutachten in die gewünschte Richtung liefert.

Aber ist es nicht unfair, wenn dann die vermögende Zahnarztgattin, die nie Vollzeit arbeiten musste, auf einmal die Rente aufgestockt bekommt?

Nein, denn warum soll man die Lebensleistung dieser Person, bloß weil sie einen Zahnarzt geheiratet hat, plötzlich ignorieren? Die Grundrente ist ja an Vorleistungen, nämlich 35 Beitragsjahre oder Kindererziehungs- und Pflegezeiten, geknüpft. Wie gesagt: Innerhalb des Rentensystems geht es nicht um den Beruf des Partners oder dessen Vermögen, sondern nur um die individuelle Vorsorge und Risikolage der versicherten Person. Im Steuersystem ist es anders: Wenn in einem Haushalt die Einkommen besonders hoch sind, werden dort natürlich auch mehr Steuern fällig.

Gleichzeitig gilt das Äquivalenzprinzip: Ich bekomme eine umso höhere Rente, je mehr Beiträge ich eingezahlt habe.

Das ist richtig. Aber dieses Prinzip muss auch für Geringverdiener gelten. Warum sollte eine Person, die ihr Leben lang gearbeitet hat und nie auf Sozialhilfe angewiesen war, im Alter plötzlich ins Sozialsystem fallen? Das wäre doch gerade eine Verletzung des Äquivalenzprinzips.

Ein weiterer Kritikpunkt: Die benötigten 35 Jahre Beitragszeit seien willkürlich. Wie sehen Sie das?

Die 35 Jahre sind nicht willkürlich, weil sie anknüpfen an historische Vorläufer der Grundrente. Außerdem kann man sagen, dass nach so vielen Jahren ein Großteil des Erwerbslebens in der Rentenversicherung verbracht worden ist. Deshalb sollte die Person dann auch einen Anspruch auf eine echte Rente und nicht nur auf einen Sozialhilfe-Zuschlag haben. Klar, wenn man die Grenze absenken würde, könnten noch mehr Personen profitieren. Mit 35 Beitragsjahren inklusive Kindererziehungs- und Pflegezeiten würden knapp drei Millionen Rentner und vor allem Rentnerinnen profitieren. Die Kosten beliefen sich mit dieser Grenze auf vier bis fünf Milliarden Euro jährlich. Das ist leistbar.

Aber fünf Milliarden Euro sind doch schon ziemlich teuer, oder?

Es ist nicht zu teuer, wenn man die Zielsetzung erreichen will. Nämlich dass langjährige Versicherte, die nie oder nur zu einem winzigen Bruchteil ihres Lebens von der Sozialhilfe gelebt haben, auch im Alter nicht ins Grundsicherungssystem fallen. Dass kann nur sichergestellt werden, wenn die Rentenansprüche von Menschen mit geringen Einkommen hochgewertet werden. Die vier bis fünf Milliarden Euro zusätzlich entsprechen weniger als zwei Prozent der Gesamtausgaben des Rentensystems. Diese belaufen sich auf jährlich auf rund 300 Milliarden Euro.

Und woher soll das Geld kommen?

Die beste Art, das zu finanzieren, wäre über die Rentenbeiträge. Mit 18,6 Prozent liegt der Rentenbeitragssatz derzeit so niedrig wie seit zwanzig Jahren nicht mehr. Die langfristig benötigten vier bis fünf Milliarden Euro würden den Beitragssatz um rund 0,3 Punkte auf 18,9 Prozent erhöhen. Bei einem Durchschnittsverdiener, der derzeit rund 3300 Euro Brutto verdient, wären das weniger als fünf Euro mehr an Beitragsaufwand für den Versicherten im Monat.

Also für weniger als fünf Euro mehr wäre es zu haben, dass drei Millionen Menschen eine existenzsichernde Rente ohne Bedürftigkeitsprüfung erhalten würden?

Ja genau. Wenn sie weniger als der Durchschnitt verdienen, was die meisten tun, beispielsweise 2000 Euro, wären es drei Euro im Monat. Gegen eine Finanzierung über Beiträge gibt es allerdings erhebliche Widerstände seitens der Arbeitgeber. Sie wollen sich nicht an den steigenden Kosten einer starken Rentenversicherung beteiligen, die auch Armut im Alter hilft zu vermeiden.

Hubertus Heil will eine Finanzierung der Grundrente mit Steuermitteln. Wie finden Sie das?

Es wäre konzeptionell konsequent, die Grundrente über Beiträge zu finanzieren. Das Rentensystem kennt an vielen Stellen soziale Ausgleichselemente. Die Grundrente würde die sozialen Risiken »langjähriger Niedriglohnbezug« und »unfreiwillige Teilzeitarbeit« ein Stück weit kompensieren. Dass Heil die Grundrente über Steuermittel finanzieren will, ist wohl dem Fakt geschuldet, dass die SPD derzeit politisch zu schwach ist, um sich gegen die Widerstände der Wirtschaftsvertreter und der Union durchzusetzen.

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