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»Die Polizei hat einen fragwürdigen Umgang mit der Wahrheit«
Georg Kurz, Mitglied im Bundesvorstand der Grünen Jugend, kritisiert die Kommunikation der Polizei im Zusammenhang mit den Protesten von »Ende Gelände«
Wie lange waren Sie selbst im Rheinland?
Ich bin Donnerstagmorgen angekommen und Montagmorgen wieder gefahren. Ich habe einfach den »Ende Gelände«-Bus aus München genommen.
Georg Kurz ist im Bundesvorstand von der Grünen Jugend. Als Beisitzer kümmert er sich vor allem um die Betreuung der Social-Media-Kanäle und um den Kontakt zu klimapolitischen Bewegungen. Seit 2016 hat er an Aktionen von „Ende Gelände“ teilgenommen und ist im Bündnis aktiv.
Was sagen Sie zu dem Vorwurf von Aktivist*innen, dass es Polizeigewalt gab?
Meine Kritik bezieht sich auf mehrere Felder. Das Offensichtliche, die Polizeigewalt, glaube ich, ist für jeden sichtbar mit den Videos und Fotoaufnahmen, die es gibt.
Ich habe am Sonntagmorgen selbst gesehen, wie die Polizei plötzlich und ziemlich aus dem Nichts unangekündigt den Kessel auf den Gleisen unweit des Kraftwerks Neurath zugemacht hat. Die Leute sind dann ziemlich brutal zurück auf die Gleise geschubst und zum Teil auch getreten und geschlagen worden.
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Wie kam es dazu?
Am Vorabend hatte das Bündnis mit der Polizei abgesprochen, dass die Blockade friedlich und bis 10 Uhr morgens am Sonntag geräumt wird. Noch während sich alle Aktivist*innen am Morgen zum Abmarsch bereit gemacht und ihre Sachen zusammengepackt haben, ist die Polizei um kurz nach 9 Uhr plötzlich mit einer größeren Truppe aufgezogen. Sie hat den Kessel zugemacht und alle Leute, die dann gehen wollten, wie es abgemacht war, plötzlich sehr brutal zurückgestoßen.
Das war die Blockade vom Grünen Finger, die zwei Tage aufrechterhalten wurde. Bis zu dieser Räumung gab es dort keine großen Probleme mit der Polizei. Das war ein großer Unterschied zu allen anderen Fingern von »Ende Gelände«. Warum?
Ich glaube, dass es dort erst so ruhig zuging und sich die Polizei da auch relativ stark zurückgehalten hat, lag an den Erfahrungen aus der letzten Aktion. Es gab letzten Herbst eine sehr ähnliche Situation auf den Gleisen, als die Staatsanwaltschaft festgestellt hat, dass die Blockade zulässig ist und keinen Straftatbestand darstellt. Dort war es so, dass die Aktivist*innen selbstbestimmt die Aktion beendet haben und wieder abgezogen sind. Ich glaube, der Polizei war einfach klar, dass hier wahrscheinlich eine ähnliche Situation vorliegt.
Haben Sie eine Erklärung dafür, warum sich die Polizei dann nicht an die Absprache gehalten hat?
Die Lage hat sich geändert, als RWE in der Frühe am Sonntag Strafanzeige gestellt hat. Dirk Weinspach, der Polizeipräsident in Aachen, hat das am Mittwochabend so erklärt, dass die Polizei dadurch dann gezwungen war, Personalien festzustellen und die Leute zunächst nicht gehen zu lassen. Es war wirklich vollkommen absurd, weil die Polizei gegen 9.30 Uhr eine unnötige Eskalation herbeigeführt hat. Rückwirkend wurde dies mit Lautsprecherdurchsagen damit begründet, dass hier Nötigung vorliege, durch die Gleisbesetzung. Doch um 11.24 Uhr gab die Polizei bekannt, dass es doch keine Nötigung war. Damit hat sie eigentlich zugegeben, dass die Eskalation vorher komplett sinnfrei war. Ich habe mitbekommen, dass es auch Beamte in der Einheit gab, die darüber sehr unzufrieden waren.
Haben Sie Kritik an der Kommunikation der Polizei während und nach den Protestaktionen von »Ende Gelände«?
In den letzten Monaten und im Hambacher Forst haben wir bereits beobachtet, dass die Polizei einen sehr fragwürdigen Umgang mit der Wahrheit hat.
Können Sie das an einem Beispiel erläutern?
Die Polizei hatte schon im Vorfeld von »Ende Gelände« einen Brief verschickt, mit der Bitte an Schulen in Nordrhein-Westfalen, diesen weiter zu verbreiten. Dieser hatte das Ziel, »Ende Gelände« zu diskreditieren und in die gewaltbereite Ecke zu rücken. Der Brief war voller Fehler, sogar nachweislich. Die Polizei musste sich da mehrmals korrigieren. Sie hat behauptet, dass die Blockaden im Herbst von »Ende Gelände« rechtswidrig gewesen sein, obwohl die Staatsanwaltschaft das Gegenteil festgestellt hatte.
Was lief während der Aktionen von »Ende Gelände« bezüglich der Öffentlichkeitsarbeit der Polizei falsch?
Während sich die Polizei in der Presse dafür feiern lassen hat, die Festgesetzen im Tagebau mit Nahrungsmitteln und Wasser zu versorgen, haben die Abgeordneten, die als parlamentarische Beobachtung vor Ort waren, leider das Gegenteil berichtet. Schon nach kurzer Zeit hat »Ende Gelände« selbst Lebensmittelversorgung organisiert und die wurde von der Polizei stundenlang nicht durchgelassen. Das heißt, da sind ungeschützte Demonstrant*innen über viele, viele Stunden festgehalten worden und der Zugang zu Wasser wurde ihnen aktiv von der Polizei verweigert.
Laut Polizei gab es bei den Einheiten einige Verletzte.
Es gab einen Journalisten, der mitgehört hat, als zwei Krankmeldungen an einen Gruppenführer durchgegeben wurden. Das war einmal ein leichter Sonnenstich und einmal war ein Beamter umgeknickt. Beide wären dienstfähig gewesen. Der Gruppenführer hat denen trotzdem freigegeben. Aus solchen Meldungen hat die Polizei dann »verletzte Polizisten«, »Gewalttäter bei ›Ende Gelände‹« gemacht und damit die Bewegung bewusst diskreditiert, obwohl das ohne Fremdeinwirkung zustande kam. Bis heute weigert sich die Polizei herauszugeben, wie viele verletzte Polizist*innen fremdeingewirkt durch »Ende Gelände« ihre Verletzungen erlitten haben, sie haben aber inzwischen zugegeben, dass von den Tausenden Beamten, die im Einsatz waren, nur 16 verletzt sind. Davon sind die meisten sehr leicht verletzt, die allermeisten sind im Gelände umgeknickt. Es gibt bis heute überhaupt keinen Beleg, keinen Hinweis darauf, dass es von Aktivist*innen zu Angriffen auf Polizeikräfte kam.
Es gab auch einen Tweet von der Polizei, bezüglich der Schäden auf den Feldern und dass die Bauern dort Strafanzeige stellen können.
Ja, auch das ist natürlich absichtlich Diskreditierung der Aktivist*innen. Die Polizei weiß ganz genau, dass »Ende Gelände« alle Schäden erstattet, dass alle Bäuerinnen und Bauern, die durch »Ende Gelände«-Aktionen zu Schaden gekommen sind, das Geld unkompliziert zurückbekommen. Das handhaben wir schon immer so. Es handelt sich um Schäden von wenigen hundert Euro insgesamt.
Wenn man sich die Bilder mal ansieht, von den Protesten, sieht man, dass wir versuchen, keinen Schaden anzurichten. Wo es geht, bleiben wir auf Wegen. Wenn die Polizei uns mit Pferden oder anderen Kräften von den Wegen abdrängt und uns zwingt, durch die Felder zu laufen, versuchen wir, die Schäden möglichst gering zu halten. Aber ehrlich gesagt, ist das auch eine Ablenkungsdebatte der Polizei. Es geht wirklich um geringe Schäden, wenn man bedenkt, dass in der ganzen Region riesige Bereiche in tote Marslandschaften verwandelt werden, nicht von uns, sondern von RWE. Da versinkt das ganze Feld und alles, was Bauern mal besessen haben, das ganze Dorf und alles drumherum in einem Tagebau. Dazu kommt: Durch den Klimawandel brechen die Ernteeinnahmen auch in Nordrheinwestfalen in den letzten Jahren stark ein.
Was meinen Sie mit »Ablenkungsdebatte«?
Die Polizei kommuniziert Unwahrheiten über »Ende Gelände«, die von den Medien zum Teil unkritisch aufgenommen werden. Ich würde mir wünschen, dass wir mehr über den Kohleausstieg und Klimagerechtigkeit reden, als über diese Nebenschauplätze.
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