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Mächtige Stimmen
Megan Rapinoes Fehde mit Donald Trump ist nur ein Beispiel für immer mehr politisch aktive Fußballerinnen
Beinahe jede Pore zoomt die hochauflösende Fernsehkamera heran, wenn bei der Frauen-WM das Abspielen der Nationalhymne bevorsteht. Niemand bringt in diesem Moment mehr Pathos ins Spiel als die US-Amerikanerinnen. Stramm in Reih und Glied stellt sich der Rekordweltmeister auf, zuerst erscheint die ganz außen stehende Crystal Dunn. Ihre Hand liegt auf der Brust, und sie singt kräftig mit. So wie auch all die nach ihr kommenden Kolleginnen und ihre Fans auf der Tribüne. Patriotismus gehört für viele zum amerikanischen Lebensgefühl. Wenn die Kamera aber als letztes Megan Rapinoe einfängt, verändert sich das Bild: Die Arme der Kapitänin hängen herab - und sie singt nicht.
Das war nicht immer so. Die 156-fache Nationalspielerin aber protestiert seit ein paar Jahren vor jeder Partie gegen die Politik des US-Präsidenten Donald Trump, der jene Werte mit Füßen tritt, für die eine der besten Fußballerinnen der Welt eintritt. Bevor sie noch mal ihre Stimme zum Singen erhebt, müsse einiges passieren: das US-Strafrecht reformiert, die Rechte der Lesben und Schwulen gestärkt werden. Rapinoe hatte sich einst mit dem Footballstar Colin Kaepernick solidarisiert und wie er beim Abspielen der Hymne gekniet. Nach einem Beschluss des US-Fußballverbands USSF darf sie das seit 2017 nicht mehr. Mitsingen muss sie aber nicht.
Das Aufbegehren von Rapinoe, die zwei Tage vor dem WM-Finale ihren 34. Geburtstag feiert, ist deshalb so mutig, weil die US-Spielerinnen anders als in Europa nicht von den Vereinen bezahlt werden, sondern vom USSF. Für ihren Kampf setzt die Powerfrau vom linken Flügel also ihre Karriere aufs Spiel, denn zeitweise drohte ihr sogar der Rauswurf. Aber sie steht dazu. »Als ich älter wurde, habe ich erkannt, wie mächtig eine Stimme sein kann - meine Stimme, und die Stimme der Mannschaft.« Rapinoe hatte mit vier weiteren Spielerinnen auch die USSF wegen Geschlechterdiskriminierung verklagt. Als ihnen von einem Bundesgericht das Recht zugesprochen wurde, gegen die schlechtere Bezahlung im Vergleich zu den männlichen Fußballern im Nationalteam vorzugehen, schlossen sich alle Mitspielerinnen an.
Wenn US-Trainerin Jill Ellis immer sagt, ihr Team sei in Frankreich auf einer Mission, dann stimmt das mehr denn je. Rapinoe hat gerade erst mit zwei Elfmetertoren gegen Spanien den Rekordweltmeister ins Viertelfinale geschossen. Danach sprach sie ausführlich über die sportlichen Ambitionen, aber die übergeordneten Statements schwingen immer mit. Denn schon zuvor hatte sie mit derben Worten zu Protokoll gegeben, dass sie einer Einladung Trumps ins Weiße Haus nicht nachkommen werde. Trump schoss via Twitter in seiner typisch machohaften Art zurück, Rapinoe sollte erst mal den Titel holen, bevor sie den Mund aufmache. Mitspielerin Ali Krieger gab die passende Antwort: »Ich weiß, dass Frauen, die Sie nicht kontrollieren oder begrapschen können, Sie ärgern. Aber ich halte zu Megan und werde auch verzichten.«
Die mit einer Basketballspielerin zusammen lebende Rapinoe ist längst nicht mehr die Einzige, die ein zweites Spielfeld entdeckt hat. Während im zunehmend überdrehten Betrieb der Männer bei einer WM überwiegend unpolitische Marionetten gegen den Ball treten, denen die Maximierung des persönlichen Marktwerts am wichtigsten erscheint, hat dieses Turnier der Frauen neue Dimension erreicht. Die achte Auflage wird schon jetzt als der große Kampf starker Frauen in die Geschichte eingehen.
Die sechsmalige Weltfußballerin Marta verabschiedete sich nach dem verlorenen Viertelfinale Brasiliens gegen Gastgeber Frankreich mit einer flammenden Rede. Mit feuchten Augen sprach sie über die vielen Kameras junge Mädchen in der Heimat an. »Queram mais!«, rief sie. »Wollt mehr!« Oder auch: Verlangt mehr! Oder: Verlangt das, was euch zusteht! Marta hatte mitbekommen, dass ihre vom Mediengiganten Globo gezeigten Spiele in Brasilien überragende Quoten erzielten, weil viele Landsleute von den Eskapaden des kindischen Neymar die Schnauze voll hatten und lieber der aufrichtigen Marta zusahen.
Mit zwei weiteren Toren hat die 33-Jährige jetzt auch den deutschen Fußballer Miroslav Klose als besten WM-Torschützen aller Zeiten abgelöst. Als ihr auffiel, dass ein ZDF-Reporter diesen Vergleich nicht abgefragt hatte, drehte sie nach dem Interview noch einmal um und wies selbst darauf hin. Auch da blieben viele verdutzte Gesichter zurück: Die Frauen, und speziell Marta, trauen sich viel mehr als früher. Spät, aber nicht zu spät ist die Ikone des Frauenfußballs zu einer der Lautesten im Kampf um Gerechtigkeit geworden. »Gerade durchbrechen wir Barrieren. Mein Rekord gehört nicht mir, sondern uns allen, ich teile ihn mit jedem, der für mehr Gerechtigkeit kämpft.«
Es sind nicht nur die Stars, die ihre Strahlkraft nutzen. So wie die Torhüterin Christiane Endler aus Chile: »Wir zeigen, dass man professionell spielen kann, dass es Orte gibt, wo Frauenfußball wertgeschätzt wird. Und wir arbeiten daran, dass wir einen höheren Stellenwert bekommen.« Die Aussage richtete sich gegen das von »Machismo« geprägte Südamerika, denn Endler spielt längst in Europa bei Paris St. Germain.
Natürlich geht es beim Kampf um Gerechtigkeit und Gleichbehandlung oft auch ums Geld. Das australische Nationalteam hat sich deswegen sogar mit dem Weltverband FIFA angelegt. Der hat zwar die Prämien auf 30 Millionen Dollar verdoppelt und angekündigt, 500 Millionen Dollar in die Frauensparte zu investieren, aber Kapitänin Sam Kerr und Co. meinen, das reiche längst nicht aus, denn die Kluft zu den Männern sei immer noch viel zu groß.
Olympique Lyon ist diesbezüglich eher ein Vorzeigeklub, der Männern und Frauen dieselbe Wertschätzung vermittelt. Topspielerinnen wie Wendie Renard oder Amandine Henry verdienen bereits rund 30 000 Euro im Monat. Klubpräsident Jean-Michel Aulas ist es ein wichtiges Anliegen, beide Bereiche hochprofessionell zu behandeln. Und doch besteht ein großer Unterschied: Die Frauen sind erfolgreicher, haben viermal in Folge die Champions League gewonnen.
Im diesjährigen Finale traf Ada Hegerberg dreimal. Norwegens Torjägerin wurde 2018 zur Weltfußballerin gewählt, doch als am Donnerstagabend (nach Redaktionsschluss) das erste WM-Viertelfinale zwischen Norwegen und England angepfiffen wurde, fehlte die 23-Jährige. Nach der EM 2017 ist sie aus dem Nationalteam zurückgetreten, weil sie die Benachteiligung gegenüber den Männern beklagte. Und es geht um mangelnden Respekt, der selbst ihr ständig begegne. Bei der Verleihung des »Ballon d’Or« in Paris forderte sie der Moderator tatsächlich auf, sie solle doch mal »twerken«, also mit dem Po wackeln. Hegerberg verneinte und fühlte sich in ihrem Boykott einmal mehr bestätigt. »Ich bin bereit, das auszuhalten, um für meine Werte und Überzeugungen einzustehen.«
Megan Rapinoe spielt bei der WM, und Trump schaut zu. Er twitterte, das Team sei »wirklich talentiert«. Der Präsident wünschte sich nur, dass die Kapitänin ihren Protest einstellen und die Hymne mitsingen solle. Das wird Rapinoe aber sicher nicht tun. Schon an diesem Freitag, wenn sich im Pariser Prinzenpark Gastgeber Frankreich und die USA im vorweggenommenen WM-Finale begegnen, wird die starke Frau wieder ganz leise sein, wenn sie als letzte ins Bild kommt.
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