Kampf um die Möhre

Warum nicht die Klimabewegung der größte Feind der Landwirtschaft ist

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 3 Min.

Das RTL-Trashformat «Bauer sucht Frau» ist nicht unwesentlich daran mitschuldig, dass Landwirte in der Wahrnehmung von Großstädtern als mittelmäßig intelligente Zeitgenossen gelten, die zwar Traktor fahren können, aber jenseits ihrer heilen Hofwelt schnell an ihre Grenzen geraten.

Nicht so Bauer Willi. Er darf seit den Protesten von «Ende Gelände» in vielen Medienberichten als Beleg dafür herhalten, dass sich Klimaaktivisten um die Zukunft der Menschheit sorgen, nicht aber für die harte, ehrliche Arbeit interessieren, mit der das Gemüse auf ihre Teller kommt. Und Bauer Willi prangert dies auch selbst auf seiner Website bauerwilli.com und in den sozialen Netzwerken an: «Wenn 500 ›Klimaretter‹ ohne Veranlassung quer durch ein Möhrenfeld laufen. Dann die Kommentare: ›ihr bekommt doch Subventionen, wird entschädigt, reg dich nicht auf.‹ Die Arroganz der urbanen Eliten. Kein Unrechtsbewusstsein. Der Zweck heiligt alles?», empört sich Willi auf Twitter.

Der Tweet brachte ihm nicht nur mehr als 5200 «Gefällt mir»-Klicks, sondern auch etliche Anfragen von Journalisten ein, die über seinen Fall berichteten. «BILD»-Gossenkolumnist Franz Josef Wagner schrieb ihm einen seiner berühmten Briefe und ätzte gegen «Ende Gelände»: Die meisten Aktivisten, vermute ich, sind Städter. Sie wissen gar nicht, was eine Möhre ist. [...] Die Welt retten und Möhrenfelder zertrampeln - es passt nicht zusammen.«

Ähnlich der Tenor auch in anderen Medien, etwa in der »BZ«. Focus.de titelte: »Klimaaktivisten zerstörten Bauer Willis Feld«. Auch Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) schaltete sich ein: »Wer achtlos über Gemüsefelder trampelt, Ernte und damit Eigentum zerstört, der geht respektlos mit Lebensmitteln um, und der hat ein Glaubwürdigkeitsproblem bei seinem Kampf für das Klima.«

Vermutlich haben manche Journalisten Dr. Willi Kremer-Schillings, der Bauer nur im Nebenerwerb ist, Gentechnik befürwortet, Bücher schreibt und über 20 Jahre die landwirtschaftliche Abteilung einer Zuckerfabrik leitete, nur zur Hälfte zugehört oder zumindest seinen Blog nicht aufmerksam gelesen. Bei Bauer Willi ist nämlich gar kein »erkennbarer Schaden entstanden«, wie er berichtet, und statt um ein Möhren- ging es in seinem Fall um ein bereits abgeerntetes Petersilienfeld, das die Aktivisten durchquerten. Dass Kremer-Schillings dann auch keine von »Ende Gelände« angebotene Entschädigung wollte, verwundert nicht. Aktionssprecherin Kathrin Henneberger entschuldigte sich dennoch bei ihm.

Apropos Möhren: Deren größter Feind sind nicht die Aktivisten der Klimagerechtigkeitsbewegung, sondern der Klimawandel, nachzulesen beim Fachmagazin für Landwirte topagrar.com. In einer Erntebilanz für das Jahr 2018 heißt es, dass »aufgrund der extremen Trockenheit« die Möhrenernte »deutlich niedriger als im Vorjahr« ausfiel. Und das, obwohl in den letzten drei Jahren die Anbaufläche um etwa 30 Prozent vergrößert wurde.

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