Elektrifizierung plus X

Velten Schäfer macht eine Probefahrt auf einem »Tier«

  • Velten Schäfer
  • Lesedauer: 2 Min.

Die Visionen des Wladimir Uljanow sind ja etwas aus der Mode gekommen. Sehr zu Unrecht, denn die Gegenwart scheint sich in großen Schritten auf dieselben zuzubewegen: So identifizierte der russische Sozialtheoretiker und Politiker schon 1920 die »Elektrifizierung« als eine von zwei Hauptstrategien zur Rettung der Menschheit vor sich selbst - eine Idee, deren Zeit nun definitiv gekommen zu sein scheint!

Wer dafür in Zeiten von E-Government, E-Zigaretten, von elektronischer Kühlschrank- und Garagentorfernsteuerung, Flirtpartnerwahl, Nächstenliebe sowie Mitmenschenbeschimpfung noch Belege zu brauchen glaubt, wende sich kurz dem Straßenverkehr zu. Dort ist bekanntlich die E-Mobilität »alternativlos«, ließ jüngst der Volkswagenkonzern verlauten. Deswegen nehme man nun 30 Milliarden »in die Hand«. Das ist dringend geboten, denn die Elektrifizierung der Bewegung menschlicher Körper galoppiert längst fröhlich durch die Innenstadtbezirke.

Nachdem etwa der Taxiersatzanbieter Uber zur Kenntnis nehmen musste, dass ihm trotz mehrfacher Aufforderung (!) die hiesige Politik noch nicht bedingungslos zu Füßen liegt, rächt sich dieser in jüngerer Zeit durch die Bereitstellung schockfarbener Mietfahrräder in exorbitanten Stückzahlen - wobei sich die Flotte von »Jump« von jenen Zweiradschrottansammlungen, mit denen die Konkurrenz von »Deezer« über »Mobike« bis »Lidl« den Straßenraum schon seit geraumer Zeit verrammelt, selbstredend durch ihre Elektrifizierung abhebt.

Doch bietet sich der nach Augenschein überwiegend anglophonen und vom Alkoholgehalt hiesiger Biersorten kaum weniger als von der Zweiradführung selbst überforderten »Jump«-Userschaft nun eine im wahrsten Wortsinn noch niedrigschwelligere Alternative: Jene elektrifizierten Tretroller sind da, deren Ankunft schon drohte, seit entsprechende Zulassungen ergingen: Lautlos, doch in gehobener Skateboardgeschwindigkeit zischen die von Anbietern wie »Tier Mobility« vielerorts bereitgestellten Dinger auf Trottoirs um die Ecken, surren aus dem Nichts haarscharf an Haustüren vorbei und fordern ihre Piloten an Bordsteinen, Gullis, Wurzelwerkhubbeln sowie Straßenbahnschienen zu ad hoc improvisierten Manövern heraus, die diese selbst kaum weniger überraschen als andere Verkehrsteilnehmer.

Nun gibt es allerlei E-Spielverderber, die Bedenken bezüglich der Knochenbruch- und Loch-im-Kopf-Quote vorbringen. Andere fragen, ob jene »Jump«- oder »Tier«-Nutzer früher nicht selbst in die Pedale treten oder schlicht laufen mussten. Wenn sie nicht pharisäerhaft über die Produktion der Elektrizität für dieses ganze E-Gewese diskutieren wollen. Was uns zum Herrn Uljanow zurückbringt: Zur Rettung der Menschen, wusste der, bedarf es neben der Elektrifizierung noch eines zweiten, dieselbe gesellschaftlich bestimmenden Umstands. Für diesen X-Faktor aber gibt es keine Start-up-Apps downzuloaden. Man wird ihn ganz old school selbst herbeiführen müssen.

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