Auch unsere Mitglieder fahren mit dem Rad zur Arbeit

IG-Metall-Vize Christiane Benner über Treiber und Getriebene bei der Klimawende, Produktkonversion und die Notwendigkeit von Weiterbildung

Die IG Metall mobilisiert nicht alle Tage ihre Mitglieder zu einer Großdemonstration nach Berlin. Die Lage ist ziemlich ernst, oder?

Die Metall- und Elektroindustrie steht vor extremen Umbrüchen. Es muss endlich ein umfassender Plan her, wie die Mobilitäts- und Energiewende sozial und ökologisch gestaltet wird. Denn sonst verfehlen wir die Klimaziele, und Arbeitsplätze in Deutschland sind in Gefahr. Abwarten ist keine Option.

Zur Person
Christiane Benner ist Zweite Vorsitzende der IG Metall, die an diesem Samstag in Berlin für eine gerechte Transformation der Industrie demonstriert. Sie sitzt im Aufsichtsrat bei BMW und Continental. Mit der 51-jährigen Gewerkschafterin sprach Ines Wallrodt.

Wie stellt sich dieser Umbruch konkret im Betrieb für die Beschäftigten dar?

Aus unserer Betriebsbefragung wissen wir: Mehr als die Hälfte der Betriebe geht von einem Beschäftigungsrückgang aus, besonders im Automobilbereich. Hier könnten 150 000 Stellen verloren gehen. Allein durch die Digitalisierung werden 1,5 Millionen Arbeitsplätze in Deutschland bis 2035 neu definiert - die werden nicht wegfallen, aber sich massiv verändern. Etwa wenn man anhand von Daten Maschinen vorausschauend instandhalten kann, weil man frühzeitig weiß, wann bestimmte Teile kaputtgehen. Dazu muss ich doch einen Beschäftigten in die Lage versetzen, diese Daten auch analysieren zu können. Drei von vier Beschäftigten fühlen sich von ihren Arbeitgebern nicht gut informiert über die anstehenden Veränderungen. Und sie vermissen die Bereitschaft bei den Unternehmen, Zeit und Geld für notwendige Weiterbildung zur Verfügung zu stellen.

Sehen Sie nicht trotzdem auch gute Seiten an Energiewende und Digitalisierung?

Natürlich, beides hat Chancen und Risiken. Wenn man die Mobilitäts- und Energiewende sehr beherzt anpacken würde, könnte dieser Wandel durchaus Arbeitsplätze schaffen. Die deutschen Unternehmen produzieren ja auch Windräder, Transformatoren, Generatoren, Erdkabel oder Stahlmasten, die für die Energiewende gebraucht werden. Und auch in der Autoindustrie gibt es Beschäftigungsaufbau. Stichwort Campus autonomes Fahren in München: 5000 Beschäftigte. VW will 9000 Leute für Softwareentwicklung und Digitalisierung einstellen. Ich weiß auch, nicht alle Arbeiter aus der Produktion werden in diese eher wissensarbeitsbezogenen Bereiche wechseln können. Aber es gibt auch unter ihnen Menschen mit IT-Affinität. Und die müssen dafür qualifiziert werden. Aber viele Unternehmen haben noch überhaupt keine mittel- und langfristige Strategie.

Weil sie sich freiwillig auch gar nicht ändern wollen. Sie haben ja bislang gut verdient, auf Kosten des Klimas.

Jetzt lange in den Ursachen zu krümmeln, wer wann was verpennt hat, ist nicht sehr zielführend. Man sagt ja: Veränderung entsteht nur, wenn der Leidensdruck hoch genug ist. Von daher kann der Klimawandel auch Innovationen hervorbringen. Wir müssen jetzt nach vorne denken, wie wir mit einer konzertierten Aktion die Mobilitäts- und Klimawende sozial und ökologisch hinbekommen. Und da müssen Unternehmen und Politik liefern.

Was fordern Sie konkret?

Die Unternehmen müssen dafür sorgen, dass die Beschäftigten mitgenommen werden. Die Politik muss die Rahmenbedingungen schaffen. Neue Mobilitätskonzepte gehen nicht ohne milliardenschwere Investitionen vor allem in die Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge. Wir brauchen eine gescheite Regional- und Strukturpolitik, insbesondere einige Zulieferer im Automobilbereich werden wirklich Probleme bekommen. Deshalb sind Übergangsfinanzierungen nötig, damit die betroffenen Unternehmen eine Chance haben, Produktkonversion zu betreiben. Und wir brauchen die Flankierung durch ein neues Transformationskurzarbeitergeld. Die Zeit drängt.

Warum hat die IG Metall nicht früher Druck gemacht?

Es geht sicher immer besser. Aber wir sind doch diejenigen, die Strategien einfordern, die nach neuen Geschäftsmodellen fragen. Wir sind die, die da treiben. Wir fordern in den Aufsichtsräten Szenario-Planungen: Was soll beispielsweise mit den Beschäftigten passieren, deren Arbeitsplatz durch die Umstellung auf Elektromotoren in Gefahr ist? Hier brauchen wir mehr Mitbestimmung, auch für die Betriebsräte.

Sind die dabei außen vor?

Nicht komplett. Es fehlt aber ein generelles Initiativrecht für Betriebsräte, mit dem sie Weiterbildungen durchsetzen können. Da beharren die Arbeitgeber immer noch auf ihrer alleinigen Entscheidungshoheit. Dabei wäre es viel schlauer, die Beschäftigten mit ihrem Know-how zu beteiligen. In einem Betrieb haben sie beispielsweise eine Produktionsstraße für Geldautomaten mit konzipiert. Am Ende gab es einen Ablauf, der den Beschäftigten eine Rotation ermöglicht, das heißt, sie können an verschiedenen Arbeitsplätzen eingesetzt werden und sind nun sehr zufrieden und damit produktiver. Eine Win-win-Situation für beide Seiten.

Stichwort Konversion: Jetzt wäre doch auch die Gelegenheit für eine qualitative Debatte über nachhaltige und nützliche Produkte.

Bosch ist im Bereich der Motoren für E-Bikes erfolgreich. Es gibt auch eine Suchbewegung nach neuen Geschäftsfeldern zum Beispiel im Bereich Service - der Dienstleistungen rund ums Auto wie etwa Car-Sharing. Ich kenne auch Maschinenbauer, die Konzepte für intelligente Leasingsysteme entwickeln. Das sind aber bisher alles nur Leuchttürme. Wirklich mal etwas neu zu denken, das gibt es zu wenig.

Die Ideen konzentrieren sich auf anders angetriebene Autos. Ist das wirklich genug? Müssen wir nicht vielmehr weg vom Individualverkehr, selbst wenn das Arbeitsplätze kostet?

Um die Klimaziele zu erreichen, brauchen wir ein ganzheitliches Mobilitätskonzept. Wir fordern deshalb auch Investitionen in den öffentlichen Verkehr und in die Schiene, um Alternativen attraktiv zu machen. Es wird eine Verschiebung geben müssen, die aber nicht auf Kosten der Beschäftigten gehen darf.

Stehen auch Ihre Mitglieder in der Autoindustrie hinter diesen Forderungen?

Sie glauben gar nicht, wie viele unserer Mitglieder mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren! Unsere Leute gehen in Berlin auf die Straße, weil sie genau wissen, dass es einen sozial-ökologischen Umbau in dieser Industriegesellschaft braucht. Wir führen seit Jahren Nachhaltigkeitsdialoge, wo wir uns mit Wertstoff-Kreislauf-Systemen auseinandersetzen und für die Herkunft von Rohstoffen sensibilisieren. Wir haben einen viel ganzheitlicheren Ansatz, als es manchmal wahrgenommen wird. Natürlich applaudieren auch in unseren Reihen nicht alle, wenn Betriebsräte und Gewerkschafter sagen, nichts bleibt so, wie es ist. Wir sagen es trotzdem, weil wir eine Verantwortung haben.

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