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Nur Daumen drücken reicht nicht
Sachsens CDU beschließt Wahlprogramm / Kretschmer attackiert AfD als »Miesmacher«
Vor neun Jahren beschloss eine CDU-FDP-Koalition in Sachsen ein »Baum-ab-Gesetz«, das die Fällung von Bäumen auf Privatgrundstücken erleichterte. Das Versprechen: weniger Bürokratie. Seither verrichten Motorsägen ihre Arbeit; ganze Stadtteile werden zusehends entwaldet. Protest von Naturschützern indes prallte an der noch immer regierenden CDU ab.
In Zeiten von zunehmend spürbarem Klimawandel und auch dadurch ausgelöstem Zuspruch für grüne Politik aber entdeckt die CDU die Liebe zum Baum neu; Ministerpräsident Michael Kretschmer redet vom »grünen Gold« und verspricht, man wolle 50 Millionen Bäume in zehn Jahren pflanzen, rechnerisch einen alle sieben Sekunden. Das Ziel stand in einem Initiativantrag des CDU-Landesvorstands, um den das am Samstag in Chemnitz beschlossene Programm für die Landtagswahl am 1. September ergänzt wurde.
Anmerkungen zum Antrag gab es von den 187 Delegierten nicht, obwohl er neben der Pflanzaktion auch eine brisante Verfassungsänderung vorsieht: Die CDU will einen »Volkseinwand« einführen, mit dem vom Landtag beschlossene Gesetze den Bürgern zu einer Art »Endabstimmung« vorgelegt werden können. Das wäre ein gravierender Eingriff in das bisherige System der parlamentarischen Demokratie. Auf dem Parteitag indes gab es dazu keinen Kommentar. Das steht in merkwürdigem Kontrast zur Diskussionsfreude, die sich Sachsens CDU angeblich verordnet hat. Generalsekretär Alexander Dierks lobte, dass Bürger in etlichen Werkstattgesprächen zum Programm rund 1000 Vorschläge unterbreitet hätten, von denen es 200 auch in die Endfassung schafften.
Derlei Bürgerbeteiligung, die man in der seit 1990 regierenden Partei zuvor nicht für nötig gehalten hatte, ist ein Versuch, verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen. Bei der Bundestagswahl 2017 wurde die CDU geschlagen: um 0,1 Punkte von der AfD. Kretschmer löste, obwohl auch er sein Direktmandat im Bundestag an einen AfD-Politiker verloren hatte, Stanislaw Tillich als Ministerpräsident ab und orchestriert seither eine Charmeoffensive. Der Regierungschef praktiziert bei unzähligen Terminen im Land, was Dierks als »bedingungsloses Diskutieren« bezeichnet; zudem wurden Fehler, die der CDU laut Eingeständnis im Wahlprogramm »unterlaufen« seien, korrigiert: der Stellenabbau bei Lehrern und Polizisten umgekehrt, Geld für den ländlichen Raum locker gemacht: 700 Millionen Euro für den Breitbandausbau etwa oder eine Pauschale für Ehrenamtler, an der man laut Kretschmer festhalte, »auch wenn uns das ins Schwarzbuch der Steuerzahler bringt«.
Ob der 18-monatige Kraftakt etwas fruchtet, ist freilich offener denn je. Bei der Europawahl Ende Mai lag die CDU im Freistaat erneut hinter der AfD, diesmal um 2,3 Prozentpunkte. Für die Landtagswahl sagen Umfragen ein Kopf-an-Kopf-Rennen voraus. Kretschmer, der eine Koalition mit der AfD wiederholt ausgeschlossen hat und Abgrenzungsbeschlüsse der Bundespartei mitträgt, nutzte den Chemnitzer Parteitag für deutliche Attacken. Ohne die AfD direkt zu nennen, sprach er von einem »politischen Akteur«, der das Land als in »desaströsem Zustand« darstelle. Er diagnostizierte einen »Zeitgeist, der alles zerstören will«, und sagte: »Dem müssen wir entgegentreten.« In der nächsten Regierung brauche es keine »Miesmacher und Leute, die es nicht können«. Dagegen müssten sich mehr Sachsen bekennen, »auch außerhalb der Union«, sagte Kretschmer. Es könne Sätze nicht mehr hören, die versicherten, man drücke ihm die Daumen und »das wird schon werden«. Für die Wochen bis zur Wahl forderte er eine engagierte Kampagne: »Wir wissen alle, worum es geht!«
Abzuwarten bleibt, was die Appelle fruchten in einer Partei, die seit 1990 nie ernsthaft kämpfen musste. Auf dem Parteitag sprang kein einziger Kandidat dem Spitzenmann zur Seite. Unklar ist auch, wie groß die Zahl derer ist, die Kretschmers Distanzierung gegenüber der AfD teilen. Der Dresdner Politologe Werner Patzelt, neben Dierks der Ko-Vorsitzende der Programmkommission, sorgte kürzlich für Aufsehen, als er in einer Analyse »Schnittstellen« in der Programmatik von CDU und AfD feststellte – auch wenn er später versicherte, Zweck der Analyse sei nur die »Vermehrung eigener Gewinnchancen« für die CDU gewesen.
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