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Komm Herr Jesus, sei unser Restgast
In Leipzig luden Freunde von Wiglaf Droste zu einer Geburtstags-Hommage für den Künstler
Wiglaf Droste war einer der besten Schreiber. Lustig und unerbittlich und sensibel. Er hat sein Leben lang Kolumnen und Gedichte geschrieben - zusammenfassend könnte man sagen: gegen die Dummheit und die Selbstgerechtigkeit. Aber auch für die Fantasie, die Liebe und die Großzügigkeit.
Geboren in Ostwestfalen, wurde er bekannt im Westberlin der 80er Jahre, dem deutschen Jugendzentrum für alle möglichen Formen des Ausprobierens. Droste schrieb hauptsächlich für die »taz«, dann auch für das »nd«, überwarf sich mit beiden Redaktionen und hatte schließlich ab Ende 2010 eine tägliche Kolumne in der »jungen Welt« bis zu seinem Tod am 15. Mai diesen Jahres. Jeden Tag etwas veröffentlichen, das schaffen sonst nur Hans Zippert in der »Welt« und Comiczeichner Tom in der »taz«.
Wiglaf Droste war ein Meister der kurzen Form, so, wie es im Fußball Spezialisten für Freistöße gibt, die dann unhaltbar im gegnerischen Tor landen. Denn Droste wusste, wie er formulieren muss, poetisch und politisch, damit die peinlichen Personen peinlich berührt aufschreien. Außerdem konnte er gut singen und noch besser vorlesen, denn er hatte eine schöne, tiefe, warme Stimme.
In den frühen Sammelbänden seiner Texte stand als Information über den Autor: »lebt legendenumgürtet in Berlin«. Seit den Nullerjahren hatte er zusätzlich eine Wohnung in Leipzig-Gohlis gemietet, in der er nicht oft war. Lange Zeit rauschte er im Rock’n’Roller-Lebensstil quer durchs Land von Auftritt zu Auftrag zu Auftritt, nur dass er Texte schrieb, vortrug und teilweise auch sang (als Balladen). Das volle Programm, das er irgendwann nicht mehr schaffte, weil er alkoholkrank war. Zum Schluss wohnte er in Franken mit seiner letzten Liebsten und versprach seinen Freunden am Telefon schon bald neue gemeinsame Projekte und Events.
»Es ist seine Veranstaltung, und er kommt einfach nicht« - scherzte der Musiker Ralph Schüller am vergangenen Donnerstag im Leipziger Felsenkeller, als Drostes dortige Freunde eine Hommage für ihn veranstalteten - an seinem Geburtstag: Er wäre an diesem Tag 58 geworden. »Komm, Herr Jesus, sei unser Restgast«, zitierte die MDR-Redakteurin Bettina Goldbach aus einem Droste-Text, der davon handelt, wie er mit seiner Mutter beim Scrabble-Spiel neue Wörter erfindet. Dieser Hommage-Abend mit rund 700 Besuchern hatte auch etwas von einer dieser Ärzte- oder AC/DC-Coverband-Partys, denn es wurden fast nur Droste-Texte vorgelesen. Es gilt der Werbespruch aus der »Fisherman’s Friend«-TV-Werbung: »Sind sie zu stark, bist du zu schwach.« Vor allem, wenn man weiß, wie er selbst vorgelesen hat.
Der Linksparteipolitiker und Mitveranstalter Volker Külow las sehr gut: Droste über die Frankfurter Buchmesse in den frühen 90er Jahren. Der Kriminalpsychologe Marschel Schöne trug einen Klassiker vor, der 1993 im »nd« erschienen war, in dem Droste feststellt: »Niemand wählt Nazis oder wird einer, weil er sich über deren Ziele täuscht, - das Gegenteil ist der Fall; Nazis sind Nazis, weil sie welche sein wollen.« So viel zur Beantwortung der Frage, ob man mit ihnen freundlich reden soll.
In Leipzig wurde lieber gesungen: Ralph Schüller, Danny Dziuk und Boni Koller spielten Songs von Droste. Koller sang auch »Hotel California« von den Eagles in der deutschen Coverversion von Jürgen Drews von 1977, die auch Droste live gerne gebracht hat. Gerhard Henschel las eine sehr lustige Passage aus »Der Mullah von Bullerbü«, einem Buch, das er 2000 mit Droste veröffentlicht hat. Friedrich Küppersbusch lobte die »Zärtlichkeit des Holzhammers« seines verstorbenen Freundes, des »Unumarmbaren«. Es war Küppersbuschs Laudatio für Droste, als der im Sommer 2018 den »Göttinger Elch«, den einzigen deutschen Satirepreis, erhalten hatte - Drostes letzter großer Auftritt.
Über einen seiner frühen Auftritte berichtete Christian Y. Schmidt, als er einen sehr alten Artikel vortrug, in dem er beschrieb, wie er Droste nach einer Lesung in Bielefeld 1988 interviewte, es nicht gut lief und er von diesem später als unfähig und nervtötend beschimpft wurde, was Schmidt aber nicht richtig hörte, weil er schon an der Bar saß und sich mit der ebenfalls betrunkenen Barkeeperin unterhielt. Zum Glück gab es noch den Walkman, der das alles aufzeichnete. Das Motto des Leipziger Abends war: »Grönemeyer kann nicht tanzen«: Der Titel einer Single, die Droste und Bela B 1989 herausbrachten, auf der Droste so abgehackt sprechsingt wie der Bochumer Pop-Pathetiker. Das Lied wurde im Leipziger Felsenkeller eingespielt, mit seinen Plastikbeats klingt es heute nicht mehr sooo toll. Genial ist aber immer noch das Lied auf der Rückseite der Single. Es heißt »Werkkreis Literatur der Arbeitswelt« und dauert nur elf Sekunden: Etwas Gitarrenlärm, und Droste schreit genau vier Worte, um diese proletarische Literaturtradition zu versenken: »Ich stand am Band!« Die kurze Form in aller Virtuosität des Freistoß-Spezialisten: Knapper Anlauf, toller Schuss, Tor!
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