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Kid P.: »Die Leute, die ich blöd fand, waren auch blöd«
20 Mark für eine Plattenkritik waren in den 80ern ein guter Stundenlohn. Ein Gespräch mit Andreas Banaski über seine Zeit als Kid P.
In »Staccato«, dem ersten Buch von Diedrich Diederichsen aus dem Jahr 1982, schreiben Sie über »Die Neue Deutsche Welle. Ihr Entstehen und Versagen« und finden alle blöd.
Das Buch sollte wesentlich früher herauskommen, als diese Szene, die da geschildert wurde, noch ein bisschen Relevanz hatte. Als es herauskam, hat sich im Grunde kaum noch ein Mensch für die Personen in meinem Text interessiert. Einige kamen ja auch nur in einem Satz vor, das betraf auch einige Leute, die ich nur von Platte oder aus Interviews kannte. Doch einige kannte ich auch ein bisschen persönlich. In Berlin war ich zumindest, in Hannover und in Düsseldorf. Keine der Städte hat mir gefallen. Das hat sich bis heute nicht geändert.
Es wurden in Ihrem Text Passagen geschwärzt.
Auf Initiative von Diedrich Diederichsen, dem Herausgeber und damaligen Redakteur von »Sounds«. Er glaubte, dass diese Stellen manchen Leuten hätten schaden können. Das kann ich mir nicht vorstellen. Er wollte sie eher schützen, glaube ich, weil er mit ihnen gut bekannt war. Er sagte mir, ich sollte auf diese Passagen verzichten. Ich meinte, die sollten im Buch geschwärzt werden, damit der Leser mitkriegt, dass etwas gestrichen wurde. Das fand Diedrich gut, und deshalb ist das so erschienen. Mein Beitrag war natürlich Spaß, aber die Leute, die ich darin blöd fand, die waren in Wirklichkeit natürlich auch blöd. Heute finde ich sie vielleicht noch entsetzlicher als damals.
Was waren das für Leute?
Kunstposer, die so unglaublich wichtig genommen wurden. In »Sounds« feierten sie die neue »Hamburger Ausgehkultur« und gingen in irgendwelche Künstlerläden. Wenn ich mal mitgenommen wurde, stand ich da blöd rum. Ich will nicht unbedingt sagen, dass diese Künstlertypen alle Wichtigtuer waren. Dazu kenne ich die auch zu wenig. Bloß, dieses ganze Milieu ist mir einfach zu langweilig.
Der Popjournalist und Archivar Andreas Banaski (1957–2021) arbeitete für drei Zeitschriften, die es nicht mehr gibt: »Sounds«, »Spex« und »Tempo«. Er kam aus der Punkbewegung und wurde Anfang der 80er Jahre unter dem Pseudonym Kid P. mit einzigartigen Texten in »Sounds« bekannt, die nun in einem Sammelband bei Junius wieder erscheinen (Seite 9). Aus diesem Anlass drucken wir ein unveröffentlichtes Interview, das Christof Meueler 2009 mit Banaski führte, als Hintergrundgespräch für sein 2016 erschienenes Buch »Das ZickZack-Prinzip« über den Hamburger Untergrund-Impresario Alfred Hilsberg, der bei dem Gespräch auch anwesend war.
Außer der Punkband KFC fanden Sie zu der Zeit in Deutschland eigentlich niemanden gut.
Über den KFC habe ich auch, ich glaube Ende 1981, einen Artikel geschrieben, in dem diese Band auch ziemlich schlecht weggekommen ist. Danach hat mir dann, etwas hochgegriffen, ihr Sänger Tommi Stumpff die Freundschaft aufgekündigt, die es aber so gar nicht gab, denn ich war ja in Hamburg und er in Düsseldorf. Das Interessante am KFC war, dass die eher hemdsärmelige Musik gemacht haben, aber als Typen ganz anders wirkten. Trini Trimpop war Sozialarbeiter in einem Jugendzentrum und schon ein bisschen älter als die anderen. Tommi Stumpff kommt auch nicht aus dem Elend, sein Vater war Rechtsanwalt und er war ein ganz großer Jacques-Brel-Fan. Das war eine Kombination, die es sonst nicht gab. Es gab in der Szene überwiegend verkopfte Typen und prollige Typen, wobei die prolligen Typen alle Gymnasiasten waren, aus bessergestellten Elternhäusern.
Und Ihre Eltern?
Meine Eltern waren Arbeiter. Mein Vater Eisenbahnarbeiter, meine Mutter Näherin und Hausfrau.
Wo sind Sie aufgewachsen?
Als es noch die Zonengrenze gab und man von Hamburg nach Berlin gefahren ist, gab es zwei Grenzbahnhöfe: Büchen in der BRD und Schwanheide in der DDR. Ich wohnte in Büchen. In den Zug sind immer Grenzer zugestiegen zur Passkontrolle. Wenn Rentner aus der DDR Verwandte besuchen kamen, haben sie in Büchen beim Roten Kreuz Apfelsinen bekommen. Zur Schule gegangen bin ich in Ratzeburg, eine Ruderhochburg. Hamburg ist 48 Kilometer entfernt, erst ab 50 Kilometern durfte man D-Zug ohne Zuschlag fahren, deshalb weiß ich das. Ich konnte billiger fahren, weil mein Vater bei der Bahn war. Ab 14 bin ich oft allein nach Hamburg gefahren, ins Kino und zu Konzerten.
Sie sind 1957 geboren. Was haben Sie in den frühen 70ern, bevor Punk begann, gesehen?
Im Kino alles Mögliche, von »Taxidriver« bis zu »Der Clou«, von Marty Feldman bis Pasolini und auch Louis de Funès. In den Hamburger Programmkinos »Magazin« und »Abaton« gab es Wiederaufführungen von Filmen der 60er Jahre, die wurden »Klassiker« genannt, auch wenn sie erst fünf Jahre alt waren. Die Zeitabstände wurden damals dramatischer gesehen, auch bei der Musik. Als ich die ersten Platten gekauft habe, war die Rock-’n’-Roll-Zeit aus den 50ern zehn Jahre her, aber man dachte, das wären 100 Jahre. Meine Lieblingsfilme waren »Supermarkt« von Roland Klick und »Leichen pflastern seinen Weg« von Sergio Corbucci. Wenn ich nach Hamburg gefahren bin, dann habe ich drei Filme hintereinander gesehen, damit es sich lohnt.
Welche Musik haben Sie als Jugendlicher gehört?
Prog-Rock, Folk, Roxy Music und Steeleye Span. Ich kann mich an eine Package-Tour erinnern, die damals von der Plattenfirma zusammengestellt wurde: Queen und Lynyrd Skynyrd, weil beide Bands unbekannt waren, anderthalb Jahre vor »Bohemian Rhapsody« kannte die kein Mensch. Auf die Konzerte bin ich hauptsächlich durch »Sounds« gekommen. Das habe ich seit 1971 gelesen, mit 14 angefangen. Deshalb hab ich mir dann das Mahavishnu Orchestra angeschaut. Auf meinem Gymnasium hat das kein anderer gehört. Weather Report sah ich Mitte der 70er in der Markthalle. Danach habe ich das Thema abgeschlossen. Als in den 90ern Drum ’n’ Bass aufkam, dachte ich: Das hört sich an wie der Jazzrock, den ich schon mit 15 gehört habe, das muss ich jetzt nicht noch mal hören. Ich war dann Brian-Eno-Fan, David Bowie war mir zu tuntig. Anders als von Diedrich Diederichsen dargestellt, hat in meiner Jugend so gut wie keiner Bowie gehört, der war nie so ein Teenager-Phänomen wie in England.
Lief bei Ihnen zu Hause Musik?
Meine Eltern hatten eine Röhren-Radio-Musiktruhe, wo irgendwann ein Plattenspieler eingebaut wurde. Die hatten auch Schellack-Platten aus den 50ern, mit Schlager, »Der lachende Vagabund« und ähnliches. Die Nachbarn hatten zwei Söhne, die ein paar Jahre älter waren als ich und schon Popsingles hatten. Ich habe diese Musik erst im Radio gehört und im Fernsehen gesehen. Ich kann mich noch an die frühen »Beatclub«-Sendungen erinnern. Einmal kam eine Übertragung aus dem »Marquee« in London, das war so ’67, da war ich zehn, mit Jimi Hendrix und The Who. Jimi Hendrix fand ich immer ein bisschen zu affektiert, aber The Who fand ich toll, bis heute: die Posen und die Songs. Beatles waren sowieso selbstverständlich, außerdem Kinks und Bee Gees.
Wie war das mit den langen Haaren bei Männern?
Der Standardspruch damals lautete: »Lange Haare, aber gepflegt müssen sie sein.« Meine Eltern hat das nicht so groß gestört, natürlich fanden sie die Musik nicht toll. Ich habe noch eine Schwester, die ist anderthalb Jahre älter, die hat auch Popmusik gehört. Aber es stand nie zur Debatte, dass man das jetzt nicht hören sollte. Anfang der 60er hatten unsere Eltern einen Fernseher gekauft, der kostete noch über 1000 Mark, der musste abbezahlt werden. Da konnten wir eigentlich immer alles sehen. Auch das, was nach 21 Uhr lief, mit der Einblendung: »Die folgende Sendung ist für Jugendliche nicht geeignet.«
Kann man sagen, dass sich durch Punk auch der Journalismus veränderte? Weg vom Kollektivismus der Linken, hin zum strengen Sujektivismus der Schreiber? Mit Rainald Goetz, Maxim Biller, Wiglaf Droste – und Ihnen?
Nein, das stimmt so nicht, international sowieso nicht und für Deutschland auch nicht unbedingt. Denn auch wenn die Dinge zwar nicht immer von einem »Ich« gesehen wurden, dann waren viele Texte in »Sounds« doch sehr persönlich geschrieben. Bei Jörg Gülden zum Beispiel merkte man: Der ist ein Fan mit Sendungsbewusstsein. Oder Ingeborg Schober. Ich fand nur die Bands uninteressant. Und bei Helmut Salzinger, der als Jonas Überohr schrieb, war mir das zu verkopft. Aber sein »Rockpower«-Buch hatte ich in den 70ern gekauft und gelesen. Das ist tatsächlich ein Klassiker. Insofern gab es schon jede Menge Vorbilder, aus denen man sich dann irgendwas rausgesucht hat, was man gut fand.
Was war Ihr erster Artikel, den Sie veröffentlichten?
Ich glaube, eine Seite über neue Singles in »Sounds«, die ich mit Alfred Hilsberg zusammen geschrieben habe. Neben Hans Keller war er am Anfang der Einzige, der in »Sounds« über die neue Musik berichtete. Als Punk gegen Ende der 70er aufkam, wurden nur die wichtigsten ausländischen Platten besprochen und es gab hin und wieder mal eine Geschichte, die eingekauft und übersetzt war, weil man die Bands eben hier nicht interviewen konnte. Als Diederichsen dann Redakteur wurde, änderte sich das. Alfred bekam mehr Platz für seinen Kram aus Deutschland. Irgendwann gab es auch eine Single-Rubrik, das war auch ein Punk-Phänomen, vorher war die »Sounds« eher ein Album-Blatt.
Woher kannten Sie Alfred Hilsberg?
Der machte 1979 eine Ausstellung in Hamburg zu »25 Jahre Rock ’n’ Roll«, zusammen mit Wolfgang Moser, einem Schicki-Künstler. Dazu veranstalteten sie auch Konzerte in der Markthalle, bei denen Klaus Maeck Buttons und Plakate verkaufte. Zuerst lernte ich Klaus kennen und dann Alfred, für den ich dann bei den Konzerten arbeitete. Ich verkaufte Karten und baute die Anlage ab. Maeck gründete dann den Rip-Off-Laden.
Das war der erste Punk-Plattenladen in Hamburg. Und in »Sounds«, dem alten Rockmagazin, kämpfte das Neue gegen das Alte. Haben Sie etwas von diesen Konflikten in der Redaktion mitbekommen?
Nein, ich war ein Außenstehender, mein einziger Ansprechpartner war Diedrich, und der hat dafür gesorgt, dass mein Kram so gedruckt wurde, wie ich ihn abgegeben habe. Da gab es nie Debatten wie: »Das soll aber geändert werden.« Ich gehe mal davon aus, wenn seine Kollegen Jürgen Legath und Jörg Gülden das, was ich schrieb, total scheiße gefunden hätten, dann wäre es nicht im Heft gelandet. Diedrich hat das ins Heft gebracht, so einfach lässt sich das sagen. Die drei Redakteure Diederichsen, Michael Kröher und Thomas Buttler hatten zur selben Zeit angefangen, um das Heft zu modernisieren. Buttler war für Musik zuständig und Diedrich für Film und Bücher, aber er hat das Musikressort an sich gerissen, wegen der Inkompetenz von Buttler, sonst wäre er gar nicht so zum Zuge gekommen.
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Und Jörg Gülden?
Der hing in seinem Zimmer ab, unsereiner hat den ja auch nicht ernst genommen, so als Rockfossil. Ich glaube, er hatte sich 1982 damit abgefunden, dass er da im Grunde nicht mehr viel zu melden hatte. Aber er wirkte auch nicht verbittert. Ich habe da die gleiche Perspektive wie der Leser: Die neuen englischen Bands, das waren einfach Themen, an denen man nicht vorbeikonnte, die mussten auftauchen. Anfangs gab es noch diese Pubrock-Fraktion, so Graham Parker oder Dr. Feelgood, das war Güldens Ecke, mit der man sich auch nicht blamiert hat, wenn man die ins Heft nahm, darüber wurde ja auch im »New Musical Express« berichtet. Andererseits hat Gülden mir mal gesagt: Meine Texte würden sowieso nicht, zumindest nicht von ihm, musikjournalistisch für voll genommen, sie würden mehr als Entertainment betrachtet, das auch andere Leser ansprechen sollte. Auch diese Städte-Geschichten über Hamburg und Berlin waren nicht meine Idee. Da kam die Redaktion an und meinte: »Willste nicht mal?«
Zuerst hat Diedrich Diederichsen über Sie als Künstler berichtet.
Er kannte mich nicht, und ich ihn auch nicht. Ich hatte Super-8-Filme gemacht, über die wollte er als »Sounds«-Redakteur einen Artikel schreiben. Das lief wohl auch über Alfred, der Diedrich meine Nummer gegeben hat. Er kam dann mal bei mir zu Hause vorbei und hat sich diese Super-8-Filme angeguckt und dann eine Zweidrittelseite darüber geschrieben. Ungefähr zur selben Zeit, als ich diese Schrott-Single gemacht habe.
… als Sie Platten zerstörten und die Scherben als Platten verkauften – heute sind das Sammlerstücke.
Ja, damals wollte jeder eine Single machen. Ich dachte, dann mache ich doch auch mal so eine Single. Ich nehme ein 70er-Jahre-Ausschuss-Album, breche es in vier Teile, dann hab ich schon vier Singles und mache mit dem Fotokopierer ein Cover drumherum. Eine davon habe ich dann Alfred geschenkt. Der meinte: »Gute Idee, die nehme ich gleich in mein Programm und verkauf sie für fünf Mark.« Ich dachte zuerst: Das bestellen vielleicht Leute, und die beschweren sich dann, dass die Platte kaputt sei. War aber nicht der Fall. Eine Single hieß »Smarties«, da habe ich Smarties mit Tesafilm auf das Cover raufgeklebt.
Und welche Filme drehten Sie?
Im Grunde Dokumentarfilme. Die habe ich stumm gedreht und den Ton auf einem Kassettenrecorder aufgenommen. Wenn ich sie abspielte, musste das parallel laufen, denn mit der Tonspur auf Super-8 konnte man nicht so einen lärmigen Sound erzeugen. Der erste Film waren Landschafts- und Naturaufnahmen aus der schleswig-holsteinischen Provinz, die ich zusammenmontiert habe mit einem Konzert von Devo, das ich in der Hamburger Markthalle gefilmt hatte. Länge: 18 Minuten. Dann gab es einen Fußballfilm zur Melodie von »Der Mann mit der Mütze«, dem Hit von Udo Jürgens mit der Nationalmannschaft über Helmut Schön. Der letzte Film, den ich drehte, war »Triumph des Willens« mit Alfred als Erzähler aus dem Off. Es geht um einen Disco-Mörder, Kommissar Keller ermittelt, und das hat Alfred in verbindenden Worten erläutert. Telly Savalas trat da zum Beispiel vor dem Plaza-Supermarkt auf, um das Waschmittel »Mustang« anzupreisen. Da habe ich seine Werbesprüche mit dem Kassettenrecorder aufgenommen, und dann ermittelte Telly Savalas im Film eben mit. Da das Schwarz-Weiß-Material wesentlich teurer war als Farbmaterial, drehte ich in Farbe – mit einer roten Linse vor dem Objektiv, sodass der ganze Film rot ist. Diese Filme wurden privat gezeigt oder auch im Rip-Off-Laden gegen zwei Mark Eintritt. Insofern wurden die Produktionskosten durch das Eintrittsgeld wieder eingespielt. Von Hollow Skai wurde ich mal nach Hannover eingeladen, um diese Filme in einem Künstlerumfeld zu zeigen. Denen fiel dann die Kinnlade runter, als sie das sahen.
Zuerst haben Sie Fanzines gemacht.
Das war ja ungefähr die Zeit, als es auch mit Copyshops losging. Ich weiß nicht mehr, ob das noch zu meiner Schulzeit war, oder als ich schon Zivildienst gemacht habe, zumindest wohnte ich da noch zu Hause. Es kann sogar sein, dass ein Freund im Krankenhaus arbeitete und dort Kopien machen konnte. Wir dachten, wir machen ein Fanzine. Wir wussten, dass es so was in England gab, aber wir kannten keins. Das berühmte »Sniffin’ Glue« habe ich erst in die Hand gekriegt, als es als Paperback nachgedruckt wurde. Mein Fanzine hieß »Stunning cunt«.
Warum?
Das ist eigentlich eine Prog-Rock-Anekdote. Der Titel bezog sich auf »Cunning Stunts«, ein Album von Caravan. In der Besprechung in der »Sounds« 1975 wurde auf dieses Wortspiel hingewiesen. Das hatte ich mir irgendwie gemerkt. Von der ersten Ausgabe habe ich nur 20 Stück gemacht, in DIN A4, semiprivat. Ich glaube, die habe ich verschenkt. Das war ungefähr Anfang 1978. Davon gab es zwei, drei Nummern. Dann habe ich noch mal 1979 ein zweites Fanzine gemacht, fünf Nummern oder so: »Preiserhöhung«. Da lief aber schon der Rip-Off-Laden, und darüber sind sie größtenteils verkauft worden.
Und nachdem Sie Diederichsen Ihre Filme vorgeführt hatten, fragte er Sie da, ob Sie nicht für »Sounds« schreiben möchten?
Er war immer ein Überzeugungsschreiber, aus dem das so herausdrängt. Er schreibt viel und schnell. Ich hatte ihn seinerzeit damit verblüfft, indem ich gesagt habe: »Wenn ich dafür kein Geld kriegen würde, würde ich auch nicht schreiben.« Und dann musste der Arbeitsaufwand noch in Relation zum Honorar stehen, und »Sounds« hat zwar schlecht bezahlt, aber weil man ja auch nicht so ewig am Text gesessen hat und davon nicht seinen Lebensunterhalt bestreiten musste, ging das in Ordnung. Und wenn ich so einen Text schreibe, dann als einen Text, wie ich ihn selber gerne lesen würde. Selbst wenn erst mal die Haltung dahinterstand, man möchte seinen Star treffen – nachdem man das zweimal gemacht hat, hat man auch keine Lust mehr. Der Hauptgrund zu schreiben war: Vergünstigungen zu kriegen. Ich glaube, meine erste Auslandsreise, aber definitiv meine erste Flugreise habe ich auf »Sounds«-Kosten gemacht, beziehungsweise auf Kosten einer Plattenfirma, die in der Regel Flug und Hotel bezahlten. Das war noch eine ganz andere Zeit, ohne Billigflüge. Weil ich wie gesagt aus minderbemittelten Verhältnissen kam, da hätte ich höchstens mal mit der Bahn nach Dänemark fahren können.
Zuerst kam aber erst mal Hamburg polemisch ran, im Frühjahr 1982: »Die Wahrheit über Hamburg«.
Weil das kein großer Aufwand war. Ich kannte die meisten Leute entweder gar nicht oder auch nur so oberflächlich. Und als dieser Text dann gleich so eingeschlagen hat, da hieß es gleich: »Fahr doch da auch noch hin.«
Warum unter Pseudonym?
Es sollte ein bisschen unpersönlich sein und nicht so, dass jeder gleich dem Artikel den Namen zuordnen konnte, außer man kannte sich.
1982 war auch das Jahr der Poprevolution mit englischen Bands wie ABC oder Heaven 17, für die Sie sich begeisterten. Waren das Ihrer Meinung nach auch Popper, wie diese konservative Jugendmode hieß, die damals durch die Medien geisterte?
Die Analogie, diese 82er-Musik zu hören und dann Popper zu sein, ist zum Teil erst nachher dazuerfunden worden. Die meisten englischen 80er-Jahre-Bands waren natürlich überhaupt keine Popper. Die trugen Flohmarktanzüge oder Jeans. Als Heaven 17 zum ersten Mal im Trinity aufgetreten sind, waren das drei Typen mit Mikro im Vollplayback, die pogoartige Posen machten.
Sie selbst trugen auch Anzüge?
Zu Punk-Zeiten hab ich das, was hier normalerweise mit Punk verbunden wurde, Sicherheitsnadeln ins Ohr und ähnliches, nie mitgemacht. Ich trug ein, zwei ausgewählte Badges und Secondhand-Kleidung. Ich habe vielleicht auch mal ein Jackett zum Änderungsschneider gebracht, aber das war low budget. Insofern würde ich sagen: Ich hatte einen moderaten Kleidungsstil.
»Sounds« wurde Anfang 1983 als eigenständiges Magazin eingestellt. Da gab es schon »Spex« in Köln, wohin es dann auch Diederichsen zog.
Bei »Sounds« war man mit »Spex« nicht verfeindet, aber das ganze Heft war ein verspätetes New-Wave-Blatt, sterbenslangweilig. Auch Leute, die ich später gut fand, wie Clara Drechsler, waren am Anfang nicht so toll. Als Diederichsen bei »Spex« einstieg, rief er an, ob ich für »Spex« auch schreiben würde. »Ja, was zahlen die?« – »Ja, leider nix.« Ich sagte ihm, er solle sich wieder melden, wenn das anders wäre. Irgendwann fingen die an, für eine Plattenkritik 20 Mark zu zahlen. Da dachte ich: »20 Mark ist okay. Die Platte kriegst du umsonst, du schreibst die Kritik ja auch in einer Stunde, dann ist das ja ein guter Stundenlohn.« Mit der Bedingung, dass der Text nicht mehr verändert werden darf. Was dann auch zur Folge hatte: Wenn ich ein Komma vergessen hatte, fehlte es auch im Druck. Das muss ab ’86 gewesen sein. Ich habe auch Musikartikel geschrieben, zum Beispiel zu »Graceland« von Paul Simon. Danach meldeten sich empörte Paul-Simon-Fans, was mir doppelt bizarr vorkam. Erstens kam Simon gar nicht so schlecht weg. Zweitens wunderte ich mich, dass es überhaupt Paul-Simon-Fans gibt, die »Spex« lesen. Da hatte ich eher Oldie-Themen: Van Morrisson, Dusty Springfield, Roy Orbison, mit dem ich eines seiner letzten Interviews führte. In Basel, bei Proben zu »Wetten, dass...?«, wo er auftrat, zusammen mit Boy George. Die waren beide bei Virgin, und Richard Branson war persönlich da. Im Hotel saß die ganze Mischpoke aus dem Musikjournalismus rum. Ich war der einzige Fremdkörper, zusammen mit Richard Branson. Roy Orbison war schon ganz schwarz gekleidet, seine Haare pechschwarz gefärbt, und das Einzige, was an ihm nicht schwarz war, waren seine weißen Gesundheitslatschen.
Wie lange schrieben Sie für »Spex«?
Ungefähr bis 1990. Nachdem Diedrich weggegangen war, war nur noch Hans Nieswandt die Person meines Vertrauens. Ich hatte auch keine rechte Lust mehr. Ich habe dann irgendwann auch studiert. Ich hatte nur Fachhochschulreife und fragte mich: Was sind die leichtesten Studien, die man machen kann? So wurde ich Diplombibliothekar und jobbte bei einem Antiquitätenhändler. Und dann holten mich Olaf Marx und Tina Hohl in die Schlussredaktion von »Tempo«: Korrektur lesen, Fakten checken, also Dokumentation. Da war ich nur hinter den Kulissen zuständig.
Wie fanden Sie diese Arbeit?
Nervig war bloß, dass im Impressum die ganzen Mitarbeiter ohne Zuordnung alphabetisch aufgelistet waren. Da sah es so aus, als hätte ich mit dem Blatt irgendwas zu tun. Das wollte ich ja gar nicht. Ob ich jetzt das mache oder am Band stehe bei VW … Es kam mal vor, dass ich einen Comic besprochen habe, aber da stand nie mein Name drunter. Der einzige längere Artikel, den ich geschrieben habe, war ein Gespräch mit der »Micky Maus«-Übersetzerin und Chefredakteurin Erika Fuchs. Anlass war eine Donald-Duck-Ausstellung von Gottfried Helnwein. Ich bin nach München gefahren und habe in ihrem Häuschen stundenlang mit ihr bei Kaffee und Kuchen geplaudert. Darüber habe ich einen Text geschrieben, unter Pseudonym, versteht sich. Daraufhin hat mich der damalige »Tempo«-Chefredakteur Michael Jürgs in sein Büro bestellt. Er sagte, das wäre ein guter Artikel, warum ich den nicht mit meinem richtigen Namen zeichnen wolle? »Nee, will ich nicht.« – »Na ja, okay, dann nicht.«
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