Am Anfang steht das Wort

Debattiert wird, ob Eigentümer enteignet werden sollen. Das ist Zündstoff und Treibstoff

  • Kathrin Gerlof
  • Lesedauer: 4 Min.

Es gibt gerade die Chance auf eine grundlegende Debatte. Vorausgesetzt, Menschen, die reden wie Kevin Kühnert, werden nicht immer gleich niedergebrüllt. Wie ist die Lage? Es gibt ein Durcheinander der Begrifflichkeiten (heilbar). Es herrscht Borniertheit bei der Suche nach Gegenargumenten (FAZ: »mit einem kalten Hauch von DDR«). Es werden linke Schnellschüsse abgefeuert (5,6,7-Punkte-Programme).

Solche Sehnsucht nach einfachen Lösungen und klaren Feindbildern (Immobilienbesitzer, Banken, Philipp Amthor) bieten keine besten Voraussetzungen, sich ernsthaft der Frage zu widmen, ob die Lösung der Eigentumsfrage zugleich Lösung für alles sein kann. Zumal in der ganzen Diskussion häufig davon die Rede ist, privates in staatliches Eigentum zu überführen, als könnte damit die Tauschlogik des Marktes überlistet werden. Das kann sie nicht, aber richtig ist, dass sich Ungleichheit mindern und Unwucht beseitigen ließe, setzte man dem Ungebremsten andere Eigentumsformen entgegen beziehungsweise förderte jene Eigentumsformen, deren vornehmstes Ziel eben nicht Profitmaximierung ist. Das kann eine Frage des Überlebens sein im Hinblick darauf, dass der Eigentumsgedanke ermöglicht, andere auszuschließen und zugleich das Eigentum selbst nicht zu nutzen. Es könnte den Zusammenhang zwischen Privateigentum und Habsucht an einigen Stellen auflösen. Karl Marx mahnte an, ihn zu begreifen und in Beziehung zu setzen zur Trennung von Arbeit, Kapital und Grundeigentum.

Deshalb wäre es überhöht (und die Enttäuschungen folgten auf dem Fuße), weiszumachen, die gegenwärtigen Machtverhältnisse erlaubten ein grundsätzlich anderes Wirtschaften, änderte man in einigen Bereichen die Eigentumsverhältnisse, überführte privates in staatliches oder kommunales Eigentum. Trotzdem ist der Schritt nicht zu verachten. Denn in gewisser Hinsicht könnte er hinführen zur Herstellung oder Wiederherstellung von Gemeinschaftsrechten. Das aber ist ein weiter Weg.

Am Anfang steht immer das Wort. Und gegenwärtig werden die Begriffe Enteignung und Vergesellschaftung zu oft synonym verwendet, was der Debatte nicht dienlich ist. Unterscheiden sich doch beide sowohl in den Voraussetzungen als auch in den angestrebten Zielen.

Das Grundgesetz sieht Enteignungen vor und sagt in Artikel 14, diese seien zulässig nur zum Wohle der Allgemeinheit, was durch ein Gesetz konkretisiert werden muss, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Im Baugesetzbuch, im Bundesfernstraßengesetz, im Energiewirtschafts- und im Atomgesetz findet sich diese Möglichkeit niedergeschrieben. 2009 wurde in einem kurzen Zeitfenster sogar darüber debattiert, ob in Folge der Finanzkrise und des Anteils, den die Banken an deren Ausbruch hatten, die Möglichkeit der Enteignung von Finanzinstituten besteht.

Über allem steht die Verhältnismäßigkeit, und diese Diskussion, ob was wann verhältnismäßig ist, wird gerade und teilweise recht hysterisch geführt. Daher weht der »kalte Hauch von DDR« und weht der erst einmal – medial herbeigeschrieben –, wird alles opak und unzulässig simplifiziert.

Auch der Populismusvorwurf in Bezug auf den möglichen Volksentscheid über die Enteignung von Privatvermietern mit großen Wohnungsbeständen in Berlin dient zuerst einmal nur dazu, eine Debatte nicht zu führen. Alle Seiten arbeiten mit Behauptungen. Für Beweise fehlen Zeit und Lust.

Die einen sagen: Käme es zu Enteignungen von Immobilienbesitzern, verschreckte dies potenzielle Eigentümer und Attentismus machte sich breit – also untätiges Abwarten, Attentismus klingt aber schöner. Die anderen machen zu sehr glauben, dass die Überführung von privatem Wohneigentum in kommunale Wohnungsgesellschaften tatsächlich die Lösung eines doch sehr umfangreichen Problems sein könnte. Die einen sagen, Anreize für mehr Wohnungsbau würden im privaten Sektor nur durch hohe Mieten gegeben, was sicher stimmt, denn letztlich geht es dann eben doch um Rendite. Die anderen reden davon, dass die Mieter*innen entlastet würden, was ganz sicher auch richtig ist, jedoch das Wohnungsproblem in Ballungsräumen erst einmal nicht löst.

Vergesellschaftung, auch Sozialisierung genannt, ist in Artikel 15 des Grundgesetzes geregelt und tatsächlich etwas anderes als Enteignung: »Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden.«

Es gab in der Bundesrepublik noch keinen Fall von Vergesellschaftung, von der einige Fachleute behaupten, sie sei nur eine Sonderform der Enteignung. Was falsch ist. Vergesellschaftung zielt darauf, zum Beispiel ganze Wirtschaftszweige in Gemeinwirtschaft zu überführen. Das wäre ja mal was. Sie sei, schreibt der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages, auf eine wirtschaftliche Betätigung gerichtet, die ohne die für die Marktwirtschaft typische Gewinnerzielungsabsicht die Bedürfnisse der Allgemeinheit befriedige. Dass hier die Gewinnerzielungsabsicht implizit als etwas beschrieben wird, das dem Bedürfnis der Allgemeinheit entgegensteht, ist eine fast verwegene Pointe der ansonsten nüchternen Betrachtung des Wissenschaftlichen Dienstes.

In Berlin will ein Volksentscheid die »Deutsche Wohnen enteignen«, die Politik redet jedoch von Vergesellschaftung, weil es letztlich darum gehen soll, Wohneigentum dem freien Markt und somit dauerhaft der Gewinnerzielungsabsicht zu entziehen. Damit ist keinesfalls die Systemfrage gestellt. Die wird gegenwärtig nur von aufgeregten Medienleuten und aufgebrachten Experten unterstellt. Und dann trifft es halt auch einen wie Kevin Kühnert. Der geboren wurde in jenem Jahr, als dem »kalten Hauch von DDR« die Puste ausging.

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