Eigentlich ökonomisches Basisgut, aber …

… was am Arbeitsmarkt der Lohn, ist am Wohnungsmarkt die Miete

  • Heinz-J. Bontrup
  • Lesedauer: 8 Min.
Miete – Eigentlich ökonomisches Basisgut, aber …

Alle Beziehungen in einer kapitalistischen Ordnung sind Warenbeziehungen, einschließlich des ständigen Verkaufs der Ware Arbeitskraft. Karl Marx schrieb im »Kapital«: »Der Reichtum der Gesellschaften, in welchen kapitalistische Produktionsweise herrscht, erscheint als eine ›ungeheure Warensammlung‹, die einzelne Ware als seine Elementarform.« Warum soll davon die Wohnung im Kapitalismus ausgeschlossen sein? Auch die Wohnung gehorcht natürlich den kapitalistischen Gesetzen einer erweiterten Kapitalakkumulation. Geld (G) wird von Vermögenden vorgeschossen, durch Produktion in eine Ware (hier in eine Wohnung) transformiert und durch Verkauf/Vermietung der Wohnung in vermehrtes Geld wieder zurückverwandelt (G < G’). Dies ist ein sich ständig wiederholender kapitalistischer Prozess, wobei das vermehrte Geld (G’), relativiert in einer Profitrate (Gewinn in Relation zum eingesetzten Kapital), maximiert werden soll. Ob das realiter immer erreicht wird, ist eine Frage des Produktionsprozesses (inklusive der Beschaffung von Vorleistungen) und seiner inhärenten ausbeutenden Mehrwertproduktion sowie schließlich der Realisierung des in der Produktion entstehenden Mehrwerts an den Absatzmärkten; hier auf den Wohnungsmärkten.

OXI - Wirtschaft anders denken

Alle brauchen ein Dach über dem Kopf. Und doch sind wir weit entfernt von der Verwirklichung eines Menschenrechts auf Wohnen.

Was lässt sich lernen aus globalen Bewegungen, Wohnungs- und Siedlungsprogrammen der UNO, wie Habitat, Enteignungskampagnen und den Haken, die das Kapital schlägt, um sich in undurchsichtigen transnationalen Konsortien und Konzernen unangreifbar zu machen?

Die Ausgabe kommt am 13. Januar 2023 zu den Abonnent*innen, liegt am 14. Januar für alle, die ein »nd.DieWoche«-Abo haben, exklusiv bei.

Diesen grundsätzlichen Zusammenhang muss man bedenken, wenn jetzt in Deutschland, mal wieder, die Wohnungsfrage und die Mieten zu einem Problem geworden sind. Dabei ist die Wohnung ein ökonomisches Basisgut (ein Menschenrecht), wie dies auch für Elektrizität und die Gesundheitsversorgung gilt, aber auch hier, wie hinlänglich bekannt, werden die Markt- und Kapitalisierungsgesetzmäßigkeiten zugelassen. Schon 1968 forderte der Deutsche Mieterbund in Westdeutschland einen Schutz gegen Mietwucher. Heute verlangen viele nach einer Mietpreisbremse, die aber, genauso wie das Wohngeld, nur ein symptomhaftes Bekämpfen von Problemen am Wohnungsmarkt mit Palliativmitteln impliziert. Die Ursachen des Problems werden damit nicht behoben.

Und was sind die Ursachen? Zu wenig bezahlbarer Wohnraum wird hier von vielen angeführt. Das ist aber nur eine ökonomisch oberflächliche Erklärung. Die entscheidende Ursache ist fehlendes privates Eigentum an Wohnraum. Mieterinnen und Mieter sind eben nur Besitzer der Wohnung. Genauso wie das private Eigentum an Produktionsmitteln die Mehrwertausbeutung der von den Produktionsmitteln abhängigen Beschäftigten in den Unternehmen ermöglicht, so sind auch bei der Wohnungsfrage das Wohnungseigentum und die damit möglich werdende Ausbeutung der Mieter entscheidend. Der Eigentümer bestimmt im Kapitalismus, er hat das Sagen und die Macht! Dies gilt eben nicht nur bei der Ausbeutung von abhängig Beschäftigten, sondern auch auf den antagonistischen Wohnungsmärkten.

Interessant ist hier aber, dass die Wohneigentümerquote im in Summe armen Albanien bei 96 Prozent und im nicht minder armen Rumänien bei 95 Prozent liegt, und auch Malta kommt noch auf 82 Prozent. Im in Summe reichen Deutschland beträgt die Quote dagegen nur rund 47 Prozent. Die höchste Wohneigentümerquote finden wir dabei – bundeslandbezogen – im Saarland mit knapp 65 Prozent und die niedrigste in Berlin mit nur gut 17 Prozent. Das erklärt dann wohl auch die größten Proteste in der Hauptstadt gegen hohe Mietpreissteigerungen und den Volksentscheid für eine Enteignung großer Wohnungseigentümer mit einem Ergebnis von 56,4 Prozent der wahlberechtigten Berliner*innen. Hätten dagegen – wie in Albanien oder Rumänien – fast alle Wohneigentum, wäre der Widerspruch zwischen Vermieter*innen und Mieter*innen aufgehoben, und keiner würde mehr demonstrieren oder nach einer Verstaatlichung (Vergesellschaftung) rufen.

Ist es am Arbeitsmarkt der Lohn, so ist es am Wohnungsmarkt die Miete. In der Wertschöpfungsrechnung ist Miete – neben Zins und Gewinn – Mehrwert. Das, was die abhängig Beschäftigten nicht aus der Wertschöpfung, aus dem Wert der Arbeit erhalten, geht an die Mehrwertempfänger. Im Gegensatz zu den Lohnempfängern müssen dabei alle Mehrwertempfänger für ihr Mehrwerteinkommen selbst nicht arbeiten, und somit auch die Vermieter nicht. Diesen grundsätzlichen und entscheidenden kapitalistischen (systemimmanenten) Sachverhalt kritisieren aber weder die abhängig Beschäftigten und ihre Gewerkschaften noch die Mieter*innen und ihr Mieterbund. Dies erstaunt, erklärt sich aber leicht. Zu viele Lohnempfänger*innen bedienen sich eben auch aus dem Mehrwert. Sie haben Erspartes und erhalten Zinsen, sie vermieten Wohnungen und realisieren Mieten, und sie besitzen Unternehmensaktien und erzielen Dividenden. Warum sollten sie da den Kapitalismus kritisieren oder gar abschaffen wollen, wenn auch sie von dem Ausbeutungssystem profitieren? Das Sein schafft halt das Bewusstsein (Karl Marx).

Vielen in Politik und Wissenschaft reicht deshalb schon eine »soziale Zähmung des widersprüchlichen kapitalistischen Systems«. Den Neoliberalen geht aber selbst dies zu weit. Sie fordern eine marktradikale Gesellschaft. Der britische Ökonom John Maynard Keynes (1883–1946) und seine postkeynesianischen Anhänger halten mit staatlichen Interventionen in die kapitalistischen Marktprozesse dagegen. Sie erkennen die »einzelwirtschaftliche Rationalitätsfalle« des Systems und auch die Verteilungsungerechtigkeiten der Marktergebnisse sowie die Machtpervertierungen mit ihren makroökonomischen Verwerfungen. Trotzdem wollen aber Keynesianer, anders als Marx, den Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit, die kapitalistische Produktionsweise, nicht überwinden, sondern den Kapitalismus lediglich vor sich selbst retten.

Im Kapitalismus fängt die Wohnungskalkulation mit dem Grundstückspreis an. Je höher (niedriger) der Preis für Boden ausfällt, umso höher (niedriger) fallen am Ende auch die Wohnungsbaukosten aus. Der Verkäufer (Eigentümer) des Bodens ist deshalb immer der erste Gewinner auf dem Immobilienmarkt. Dann muss das Bauwerk mit der Wohnung hergestellt werden. Profiteure sind hier Notare, Architekten, Statiker, Bauunternehmen, Handwerker, Dienstleister bis hin zu Gartenbau-Unternehmen. Und je mehr der Staat beim Bauen gesetzliche Auflagen macht – auch für Energie- und Umweltschutz –, umso teurer wird die Produktion einer Wohnung. Der Staat ist übrigens immer Profiteur beim Bauen. Je mehr gebaut wird, umso größer die Gebühreneinnahmen für Baugenehmigungen und -abnahmen, die Umsatz-, Lohn- und Einkommensteuer sowie Gewinn-, Grunderwerb- und Grundsteuer. Allein das Grunderwerbsteueraufkommen lag zwischen 2000 und 2021 bei 190,4 Milliarden Euro (jahresdurchschnittlich bei 8,65 Milliarden Euro) und das Grundsteueraufkommen bei 259,1 Milliarden Euro (Jahresdurchschnitt 11,78 Milliarden Euro). Außerdem dürfen die Banken mit ihrer Finanzierungsfunktion beim Bau einer Wohnung nicht vergessen werden. Ohne Kredit geht beim Bauen gar nichts. Die Zinsen für aufgenommenes Fremdkapital landen hier im Einkommen der Bankbeschäftigten und in Bankgewinnen sowie bei den Geldanlegern beziehungsweise Sparer*innen. Hierbei sollte man auch wissen, dass im Bausektor der Zins höchst reagible Spuren hinterlässt. Steigende (sinkende) Zinsen verteuern (verbilligen) das Bauen. Die gerade steigenden Zinsen haben die Bautätigkeit bereits spürbar zurückgehen lassen, und dies, obwohl der Realzins noch stark negativ ist.

Geht man für eine durchschnittliche Wohnung (inklusive Grundstückskosten) von realistischen Ausgaben in Höhe von 2.500 Euro pro m² aus, so betragen die Kosten für eine 100-m²-Wohnung 250.000 Euro. Hinzu kommen noch Notar- und Grunderwerbsteuern von rund 20.000 Euro. Bei einer unterstellten Nutzungsdauer von 50 Jahren liegen dann die monatlichen Baukosten bei 450 Euro. Dies entspricht einer zweiprozentigen Abschreibungsrate. Hierbei handelt es sich aber um nominale Werte. Rechnet man über 50 Jahre mit einer Inflationsrate von jahresdurchschnittlich zwei Prozent, dann bleibt von der nominalen monatlichen Belastung in Höhe von 450 Euro infolge Abzinsung real nur noch ein monatlicher Kostenbetrag von 167,19 Euro übrig. Natürlich sind hier beim langen Zeitraum von 50 Jahren womöglich Anpassungen beim Zinssatz und auch bei der prognostizierten Inflationsrate notwendig, und es werden sicher auch Instandhaltungs- und Modernisierungskosten anfallen.

Was ist aber, wenn man keine 270.000 Euro Geldvermögen hat, um Eigentümerin einer 100 m² großen Wohnung zu werden? Dann müsste man sich wohl oder übel verschulden und einen Kredit aufnehmen. Unterstellt, die 270.000 Euro wären voll fremdzufinanzieren, dann fallen Zins- und Tilgungszahlungen an. Gehen wir dabei von einem über die 50 Jahre anfallenden durchschnittlichen Zinssatz von 3 Prozent und einer Tilgungsrate von 2 Prozent aus, die der schon bekannten Abschreibungsrate und damit der Tilgung des Kredits entspricht, so müssten an Annuität (Zins plus Tilgung) 5 Prozent aufgebracht werden. Die monatliche Belastung läge dann bei 874,47 Euro. Insgesamt würde der Kredit über die 50 Jahre 254.684 Euro an Zinsen kosten. Das wären monatlich 424,47 Euro. Auch hier müsste man aber den Barwert, den realen Wert, der monatlich gleichbleibenden Annuität über einen Zeitraum von 50 Jahren bestimmen. Er liegt bei einer auch hier unterstellten jahresdurchschnittlichen Inflationsrate von 2 Prozent bei nur noch 324,89 Euro im Monat.

Warum, so könnte man jetzt fragen, sind bei diesen Werten nicht alle Wohnungseigentümer und die so viel beklagten Mieten wären abgeschafft? Es gibt sicher mehrere Ursachen. Die wesentliche ist aber die realiter gegebene Einkommens- und Vermögensverteilung und dass die Banken nicht einfach Kredite an alle vergeben. Geht man hier von der von Banken in Ansatz gebrachten Belastungsquote des Nettoeinkommens für Wohnen von 30 Prozent aus, so müsste in dem obigen Rechenbeispiel das monatliche nominale Einkommen bei 2.914,90 Euro liegen. Es lag 2021 in Deutschland im Durchschnitt aller abhängig Beschäftigten aber nur bei 2.162 Euro, und die Armutsquote kommt mittlerweile auf fast 16 Prozent. Umverteilung bei Einkommen und Vermögen wäre deshalb zur Schaffung von Wohnungseigentum notwendig und die Lösung. Die Verteilung beziehungsweise Umverteilung von Einkommen und Vermögen findet aber nicht auf den Wohnungsmärkten statt. Dies ist neben der Eigentumsfrage das zweitgrößte Problem beim Wohnen.

Der Autor verfasste das Buch »Wohnst du noch …? Immobilienwirtschaft und Mieten kritisch betrachtet«, VSA Verlag, Hamburg, 2018.

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