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Eine Geschichte der Klimarahmenkonvention
Von der Institution des guten Willens zum neuen Machtzentrum: die Klimarahmenkonvention (UNFCCC)
Jedes Jahr finden zwei Klimakonferenzen statt. Ende des Jahres treffen sich die Staatschefs zur COP, zur Conference of the Parties, dem Treffen aller Mitglieder der Klimarahmenkonvention. Die großen Konferenzen mit Zehntausenden Teilnehmer*innen finden an wechselnden Orten statt, zuletzt in Glasgow und Scharm el-Scheich, begleitet von Medienberichten und Protesten all derer, die finden, dass in der Klimapolitik viel zu wenig passiert. Die zweite Konferenz ist weniger bekannt. Sie findet im Sommer in Bonn statt. Offiziell handelt es sich um das Treffen der verschiedenen Unterorganisationen, ein Arbeitstreffen, bei dem die großen Konferenzen vorbereitet werden. Die Verhandler*innen, Expert*innen, Vertreter*innen der NGOs, die als Beobachter*innen registriert sind, treffen sich in jenem Gebäude, in dem einst der Deutsche Bundestag zusammenkam. Man kennt sich, begrüßt sich, in den weiten, hallenden Gängen und Foyers stehen überall Gruppen von Menschen in Anzug und Kostüm, die sich konzentriert unterhalten. Durch die bodentiefen Fenster geht der Blick auf die Uferpromenade, Jogger und Radfahrer*innen ziehen vorbei, dahinter fließt glitzernd der Rhein. An das Konferenzcenter schließen sich, direkt am Ufer, weitere Gebäude an: das renovierte ehemalige Abgeordnetenhaus, ein neu errichteter Büroturm mit blau glänzender Glasfassade – der UN-Campus, auf dem das Sekretariat der Klimarahmenkonvention seinen Sitz hat. Mit rund 450 Mitarbeiter*innen ist es für eine UN-Institution winzig.
ILO, IWF, Doha-Runde, GATT, NAFTA, UNCTAD ... irgendwann haben wir uns in der kleinen Redaktion gestanden, dass wir immer wieder nachgucken, was diese Abkürzungen bedeuten. Und dann immer noch nicht wissen, was sich hinter den Namen, für die sie stehen, eigentlich verbirgt. Was wir schleunigst ändern wollen, so dass wir die Februar-Ausgabe der Frage widmen, welche Rollen die Institutionen der Weltwirtschaft im Verlauf der Globalisierung eingenommen haben und wie sie sich zukünftig positionieren könnten.
Die Ausgabe kommt am 10. Februar 2023 zu den Abonnent*innen, am 11. Februar liegt sie für alle, die ein »nd.DieWoche«-Abo haben, exlusiv bei.
Die zurückgezogene Atmosphäre und die geringe Größe stehen in scharfem Kontrast zur Bedeutung und Dringlichkeit der Klimakrise. Aber sie spiegeln, was die Klimarahmenkonvention, die wichtigste Institution für Klimapolitik auf globaler Ebene, lange Zeit war: ein Gremium, das kaum in der Öffentlichkeit stand, für das sich vor allem Spezialist*innen interessierten, Gruppen von Eingeweihten, die sich über Jahre eingearbeitet hatten. Denn die Konvention ist, wie die meisten UN-Institutionen, ein komplexes und hochbürokratisches Gebilde; wer zum ersten Mal versucht, eine Klimaverhandlung zu verfolgen, wird angesichts all der unverständlichen Abkürzungen und Spezialbegriffe kaum ein Wort verstehen. Aber die Konvention ist auch geprägt von Debatten der Zeit: Klimawandel ist über die letzten Jahrzehnte von einem Nischenthema zu einer der beherrschenden Fragen globaler Politik geworden, und hinter der trockenen technischen und juristischen Oberfläche der Klimaverhandlungen geht es längst um hochpolitische Fragen – und seit Neuestem auch um viel Geld.
Die Geburtsstunde der Klimarahmenkonvention war der Weltumweltgipfel in Rio de Janeiro 1992, auf dem die zwei Vertragswerke beschlossen wurden, die globale Umweltpolitik und den Umgang mit Umwelt insgesamt über die nächsten Jahrzehnte prägten: die Biodiversitätskonvention und die Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (United Nations Framework Convention on Climate Change, UNFCCC). Der Gipfel von Rio wurde als großer Erfolg gefeiert: Die Themen, für die Umweltbewegungen seit den 1980er Jahren gekämpft hatten, schafften den Sprung auf die Bühne der großen Politik. Überall auf der Welt schossen Nichtregierungsorganisationen aus dem Boden, Umweltministerien wurden eingerichtet, auf lokaler Ebene entstanden Agenda-21-Projekte, in denen sich Bürger*innen für Umweltfragen engagieren konnten.
Aber die Klimarahmenkonvention war – leider – auch ein Kind ihrer Zeit. Naomi Klein hat über die Tragik geschrieben, dass sich die Erkenntnis der Klimakrise gerade in dem Moment wissenschaftlich durchsetzte, als der Neoliberalismus seinen Siegeszug antrat. Diese Gleichzeitigkeit traf – und schwächte – auch die Klimarahmenkonvention. Die 1990er Jahre waren die Hochzeit der neoliberalen Umgestaltung, die Jahre des Endes der Geschichte. Die Rio-Konferenz machte Umweltthemen salonfähig. Aber sie tat es, indem sie einen Kernaspekt der Umweltdebatte strich: Bis Ende der 1980er Jahre hatten Umweltbewegungen den Widerspruch zwischen fortgesetztem technischen und ökonomischen Wachstum und einer ökologischeren Form des Wirtschaftens betont; nun wurde dieser für überholt erklärt. Das neue Leitkonzept der »nachhaltigen Entwicklung« versprach, soziale, ökologische und wirtschaftliche Ziele zugleich verwirklichen zu können.
Was das bedeutete, zeigte sich, als die Rahmenkonvention – die ja nur ein »Rahmen« war und ist – in einen konkreten Vertrag gegossen wurde. 1997 wurde im japanischen Kyoto das erste verbindliche internationale Klimaabkommen beschlossen, das Kyoto-Protokoll. Verbindlich war daran allerdings nicht viel. Das Abkommen setzte auf Freiwilligkeit und Märkte: Zwar legte es fest, wie viel an Emissionen die Industrieländer – dies sind im Fall der Klimarahmenkonvention jene Länder, die zum Zeitpunkt des Abschlusses Mitglied der OECD waren – über die nächsten Jahre reduzieren sollten. Taten sie dies nicht, passierte aber – nichts, es waren keinerlei Sanktionen vorgesehen. Zusätzlich führte das Kyoto-Protokoll eine Reihe neuer, marktbasierter Instrumente ein, sogenannte flexible Mechanismen wie den Clean Development Mechanism. Sie ermöglichten es, die Vorgaben einzuhalten, ohne die eigene Produktion einschränken zu müssen: Länder konnten, wenn sie nicht selbst ihre Emissionen reduzieren wollten, Zertifikate anderswo kaufen, in jenen Ländern, die im UN-System als Entwicklungs- oder Schwellenländer klassifiziert waren. Der Markt für Verschmutzungsrechte war geboren. Was damals ebenso innovativ wie für Kritiker*innen irritierend war – wieso sollte es ein Recht auf Verschmutzung der Atmosphäre geben, mit dem man noch dazu handeln konnte? –, ist heute in fast allen Ländern der Welt Grundlage der Klimapolitik. Von den USA bis hin zu China setzen fast alle wichtigen Staaten auf Emissionshandelssysteme. Neben den offiziellen, staatlichen Märkten haben sich auch freiwillige Emissionshandelssysteme etabliert, die sich an Unternehmen und Verbraucher*innen richten. Die Regeln und Methoden, nach denen die Emissionszertifikate erstellt und gehandelt werden, orientieren sich an denen, die im Rahmen des Kyoto-Protokolls entwickelt wurden.
Dabei sollte gerade die Erfahrung des Kyoto-Protokolls stutzig machen. Dieses hatte einen holprigen Start: Trotz der laschen Regeln weigerte sich der Senat, später die konservative Regierung in den USA, das Protokoll zu ratifizieren, also in nationales Recht zu übernehmen. Der Prozess geriet ins Stocken, und es dauerte bis 2005, bis das Protokoll in Kraft treten konnte. Vor allem aber ist es aus Klimaperspektive komplett gescheitert: Es hatte keinerlei Einfluss auf die Emissionen. Im Gegenteil: Diese stiegen steiler an als zuvor, seit 1990 haben die jährlichen Emissionen um rund 50 Prozent zugenommen. Während die Klimaexpert*innen über Passagen und Details in ihren Verträgen diskutierten, wälzte sich die Globalisierungswelle mit Freihandelsverträgen, Produktionsverlagerungen und massiven Konsumsteigerungen über die Welt.
Dass in einigen Ländern die Emissionen tatsächlich reduziert wurden, lag vor allem am wirtschaftlichen Zusammenbruch der Länder Osteuropas und Russlands nach dem Ende der Sowjetunion – das Bezugsjahr 1990 wurde auch deshalb gewählt, weil es Ländern wie Deutschland erlaubte, großzügige Emissionsreduktionen zu verbuchen, die Deutschland durch den Rückbau der Industrie in der ehemaligen DDR erhielt. Zugleich hatten die »Offsets«, die Ausgleichsmaßnahmen in Ländern des Globalen Südens, teils verheerende Auswirkungen auf lokale Gemeinschaften. Etwa in Mexiko, wo Windparks zur Generierung von Kohlenstoff-Zertifikaten auf enteignetem Gemeindeland gebaut wurden, oder in Uganda, wo lokale Gemeinschaften, auch gewaltsam, die Umwidmung eines Waldes zur »Kohlenstoffspeicherung« verhinderten.
2009 geriet die Klimarahmenkonvention erneut in eine Krise: Die Konferenz in Kopenhagen scheiterte spektakulär. Die Widersprüche, die sich über die letzten Jahre angehäuft hatten, brachen offen aus. Rund um den Gipfel protestierten Zehntausende für echten Klimaschutz, gegen die intransparenten Verhandlungen und gegen die dänische Konferenzleitung, die vor allem darauf setzte, für die Industrie günstige Absatzmärkte zu schaffen. Bei den Verhandlungen weigerten sich die Industrieländer, ihre Emissionen stärker zu reduzieren, wenn nicht auch die großen Schwellenländer sich verpflichteten, künftig weniger zu emittieren. Was diese zurückwiesen: Schließlich hätten die Industrieländer den Klimawandel verursacht. Es gelang nicht, eine gemeinsame Erklärung zu verabschieden. Die Konvention folgt in dieser Hinsicht den UN-Regeln: Jedes Land hat eine Stimme, Entscheidungen können nur einstimmig getroffen werden. Bei 198 Mitgliedern bedeutet das jede Menge Konfliktpotenzial – der Grund, warum die tatsächlichen Verhandlungen, öffentlich und geheim, oft lange vor den eigentlichen Konferenzen stattfinden. Mittels einer solchen intensiven diplomatischen Tätigkeit gelang es Frankreich sechs Jahre später, alle Länder zur Zustimmung zu einem neuen Abkommen zu bewegen: das Pariser Abkommen von 2015, seither der neue Rahmen der internationalen Klimapolitik.
Dies gelang auch, weil das Pariser Abkommen einen ganz anderen Ansatz verfolgt als das Kyoto-Protokoll. Es schreibt nicht vor, welche Länder wie viel reduzieren sollten, stattdessen sind alle Mitgliedsstaaten aufgefordert, selbst Vorschläge zu machen, wie und wie stark sie ihre Emissionen mindern wollen. Sanktionen gibt es auch hier nicht. Die einzigen Druckmittel sind das internationale Ansehen und der Drang, die eigenen Versprechen einzuhalten: Die Vorschläge müssen mit konkreten Klimaplänen untermauert werden; über die Fortschritte bei der Umsetzung wird regelmäßig Bericht erstattet. Dies bezieht explizit alle Länder ein. Die Unterscheidung zwischen Entwicklungs- und Industrieländern ist damit quasi aufgehoben, auch wenn sie formell fortbesteht und bei vielen Fragen – insbesondere beim Zugang zu Geldern – weiterhin eine Rolle spielt.
Innerhalb der Klimarahmenkonvention gibt es eine Vielzahl von häufig wechselnden Gruppen, die gemeinsame Interessen verfolgen oder ähnliche Positionen vertreten: etwa die Umbrella Group, der viele Länder mit Industrien angehören, die stark auf fossilen Brennstoffen basieren, die Gruppe der kleinen Inselstaaten, Small Island Developing States, die zum Schutz ihrer tief liegenden Landesflächen auf rasche Emissionsminderungen drängen und Unterstützung zur Anpassung verlangen, die OPEC als Interessenvertretung der ölexportierenden Staaten oder die Gruppe der 77 und China. Vor allem Letztere spielten bei den letzten Klimaverhandlungen eine wichtigere Rolle: Die Gruppe der 77 wurde – damals von 77 Staaten – bei der ersten Welthandelskonferenz der UN 1964 gegründet, um die Interessen der Länder des Globalen Südens zu vertreten. Heute hat sie 134 Mitglieder. In den Klimaverhandlungen trat sie lange Zeit kaum geschlossen auf, zu unterschiedlich waren die Interessen der beteiligten Staaten, die von großen Schwellenländern wie Brasilien über Ölexporteure wie Katar bis hin zu kleinen armen Staaten wie Dschibuti reichen.
Doch die UNFCCC ist, wie die internationale Klimapolitik, im Umbruch: Stand lange Zeit vor allem das Thema Mitigation im Vordergrund, also die Frage, wie Emissionen reduziert werden können, so hat über die letzten Jahre Anpassung an Bedeutung gewonnen – ein Thema, das vor allem für die Länder des Südens viel wichtiger ist, weil dort die Folgen des Klimawandels viel deutlicher zu spüren sind und zugleich Ressourcen fehlen, um sich vor diesen zu schützen. So drängen die Länder des Südens seit Jahren auf finanzielle Unterstützung. 2009 haben die Industrieländer versprochen, ab 2020 jährlich 100 Milliarden Dollar an Klimageldern zur Verfügung zu stellen. Die Summe ist bis heute nicht ganz erreicht, und bei den Geldern handelt es sich zum überwiegenden Teil um Kredite, die, wie bei Weltbank oder IWF, häufig an Bedingungen geknüpft sind und die Verschuldung der Länder des Südens weiter erhöhen.
Nichtsdestotrotz sind inzwischen Fonds wie der Green Climate Fund geschaffen worden, über die Länder des Südens große Summen an Geldern beantragen können. Mit der überraschenden Einigung zu Loss and Damage, klimabedingten Schäden und Verlusten, beim Gipfel in Scharm el-Scheich wird nun absehbar ein weiterer dazukommen. Die Gruppe der 77 und China sind Akteure, die seit Jahren darauf gedrängt haben, Entschädigungen für die Schäden zu erhalten, die der Klimawandel in Ländern des Globalen Südens verursacht. Nun haben die Industrieländer zugestimmt, das Thema offiziell auf die Agenda zu nehmen. Die Klimarahmenkonvention, einst ein Instrument, das dafür sorgen sollte, die Wirtschaft der großen Industrie- und später Schwellenländer auf den Weg zu weniger Emissionen zu bringen, entwickelt sich zunehmend zu einer Institution, die, wie zuvor Weltbank und IWF, über den Zugang zu Geldern und Krediten Einfluss auf die Entwicklung der Länder nimmt, die von diesen abhängig sind.
Juliane Schumacher ist Wissenschaftlerin und Journalistin mit den Schwerpunkten Umwelt, Klimawandel und soziale Bewegungen.
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