Bei Arznei auf Rezept sind Geschenke von Apotheken tabu

Ein aktuelles Urteil des Bundesgerichtshofs

  • Anja Semmelroch
  • Lesedauer: 4 Min.

Taschentücher und Traubenzucker ade: Apotheken-Kunden mit Rezept vom Arzt dürfen zum Medikament keine Kleinigkeiten im Centbereich mehr dazubekommen. Auch Minigeschenke von geringem Wert sind unzulässig, wie der Bundesgerichtshof (BGH) am 6. Juni 2019 (Az. I ZR 206/17 u.a.) entschied. Die Interessen von Verbrauchern und Mitbewerbern würden dadurch spürbar beeinträchtigt, so der Vorsitzende Richter Thomas Koch.

Verschreibungspflichtige Arzneimittel müssen in Deutschland überall gleich viel kosten. Schnäppchenangebote sind also tabu. Apotheker, die ihren Kunden beim Rezepteinlösen kleine Präsente oder Gutscheine für den nächsten Einkauf in die Hand drücken, unterlaufen diese Preisbindung indirekt. Bisher hatte der BGH Geschenke bis einen Euro trotzdem durchgehen lassen. Damit ist jetzt Schluss.

Die Entscheidung betrifft nur Medikamente, die ein Arzt verschreiben muss. Für Kunden, die auf eigene Kosten einkaufen, ändert sich nichts. Zur Allergiker-Sonnencreme oder den Kopfschmerztabletten darf es also weiter eine kleine Aufmerksamkeit dazugeben. Denn Arzneimittel, für die es kein Rezept braucht, dürfen die Apotheken seit 2004 frei bepreisen. Hier ist Wettbewerb erwünscht.

Die Preisbindung für rezeptpflichtige Arznei soll verhindern, dass sich die Apotheken einen ruinösen Preiskampf liefern und damit die flächendeckende Versorgung mit Medikamenten gefährden. Auf der anderen Seite soll niemand, der krank ist, Preise vergleichen müssen - oder in seiner Not ein Medikament überteuert kaufen.

Dass sich damit auch Kleinigkeiten verbieten, hatte der Gesetzgeber 2013 noch einmal explizit klargestellt. »Der Verbraucher soll in keinem Fall durch die Aussicht auf Zugaben und Werbegaben unsachlich beeinflusst werden«, hieß es damals zur Begründung. Von dem Verbot macht das Gesetz nur wenige Ausnahmen. So dürfen kostenlose Zeitschriften wie die »Apotheken Umschau« weiter ausgelegt werden.

Diese Regelung sei eindeutig, urteilte nun der BGH, der sich zum ersten Mal mit der verschärften Vorschrift befasste. Nach dem Willen des Gesetzgebers sei die Preisbindung strikt einzuhalten. Das lässt auch für die Taschentücher keinen Spielraum mehr: »Ein Abstellen auf die finanzielle Geringwertigkeit der Werbegabe ist ausgeschlossen.«

Konkret beanstandeten die obersten deutschen Zivilrichter die Gutscheinaktionen von zwei Apotheken. In Darmstadt hatte es gratis »2 Wasserweck oder 1 Ofenkrusti« beim nahen Bäcker gegeben. In einer Apotheke im Berliner Bezirk Spandau gab es einen Euro Nachlass beim nächsten Einkauf.

Beide Fälle hatte die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs vor Gericht gebracht. »Für uns ist wichtig, dass jetzt für alle klargestellt ist: Es geht so nicht«, sagte ihr Rechtsexperte und Anwalt Peter Breun-Goerke. Seinem Eindruck nach sei es auch nach 2013 immer wieder vorgekommen, dass Apotheken kleine Aufmerksamkeiten verteilen - auch weil die neue Vorschrift offensichtlich nicht so klar gewesen sei, wie der Gesetzgeber sich das gewünscht habe. »Der eine tut es verbotenerweise, der andere tut es nicht. Und dann gehen die Leute zu dem, der es verbotenerweise tut.«.

Auch die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (Abda) begrüßte die Entscheidung. Er gehe davon aus, dass sie einen positiven Widerhall in der Kollegenschaft finden werde, sagte Abda-Vizepräsident Mathias Arnold. »Uns ist es wichtig, dass man den einheitlichen Arzneimittelabgabepreis erhält.« Das sei für alle Apotheken vor Ort in Deutschland in wirtschaftlicher Hinsicht unerlässlich. Wettbewerb solle bei der Qualität stattfinden.

Apotheken, die trotzdem noch an alle Kunden kleine Geschenke verteilen, müssen mit einer Unterlassungsklage rechnen. Verklagen können sie Konkurrenten, Verbraucherschützer oder eben die Wettbewerbszentrale.

Der zuständige Senat des BGH äußerte sich auch zu einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) von 2016. Die Luxemburger Richter hatten damals entschieden, dass die deutsche Arzneimittel-Preisbindung gegen EU-Recht verstößt. Ausländische Versandhandels-Apotheken müssen seither darauf keine Rücksicht mehr nehmen. Sie dürfen rezeptpflichtige Medikamente also auch billiger verkaufen.

Für den BGH ist das kein Grund, die deutsche Preisbindung insgesamt infrage zu stellen. Solange der Konkurrenzdruck aus dem Ausland nicht unzumutbar werde, sei die Ungleichbehandlung durch das öffentliche Interesse an einem lückenlosen Apothekennetz gerechtfertigt. dpa/nd

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