»Die Frau der Familie wiedergeben«

Rosa Luxemburg als Partnerin des SPD-Vorstands, antifeministische Vorstöße: Neues zur Geschichte der Arbeiterbewegung.

  • Ulrike Wagener
  • Lesedauer: 3 Min.

Rosa Luxemburg gilt nicht nur hierzulande gemeinhin als Personifikation demokratisch-sozialistischen Denkens und Handelns - und als wichtige marxistische Kritikerin der SPD im frühen 20. Jahrhundert. Doch nach dem Soziologen Eric Blanc blendet dieses Bild ihr Wirken in Polen aus.

Dort agierte Luxemburg in harter Konkurrenz zu der 1893 gegründeten Polnischen Sozialistischen Partei in Preußen (PPSzp), deren Mobilisierung zur polnischen Unabhängigkeitsbewegung sie als »reaktionäre Manifestation nicht-proletarischen Nationalismus« verstand. In Opposition dazu gründete sie die Sozialdemokratie des Königreichs Polen und Litauens (SDKPiL), die eng mit den russischen Sozialisten zusammenarbeite. Zwar war Rosa Luxemburg eine ausgesprochene Gegnerin der staatlichen Germanisierungsbestrebungen im preußischen Teilungsgebiet Polens. Sie war aber - so Blanc - »mehr darauf bedacht (...), die nationale Ausrichtung der PPSzp zu bekämpfen, als den Chauvinismus der SPD-Führung«.

Deshalb unterstützte sie im Wahlkampf von 1898 die SPD-Führung. Im Zuge ihrer strategischen Annäherung an diese machte sie sich potenzielle Verbündete zum Feind und unterstützte, so der Autor, unbeabsichtigt nationalistische und legalistische Tendenzen der deutschen Sozialdemokraten. Letztendlich erreichte sie, dass August Bebel ihrer polnischen Schwester PPSzp die Unterstützung entzog.

Diese bisher weitgehend unbekannte Seite der Politik von Rosa Luxemburg ist nicht der einzige Kratzer an vermeintlichen Gewissheiten zur Geschichte der Arbeiterbewegung, den die Lektüre der aktuellen Ausgabe der historischen Fachzeitschrift »Arbeit - Bewegung - Geschichte« verursacht. In einem anderen lesenswerten Beitrag geht es um deren Verhältnis zur Frauenbewegung. Joachim Brenner analysiert dabei den Antifeminismus Edmund Fischers, der 1890 Mitbegründer der SPD in Frankfurt am Main war und Mitglied im Deutschen Reichstag.

Der Beitrag zeigt, dass die Sozialdemokraten keineswegs nur Frauenrechtler der ersten Stunde waren, sondern auch der Antifeminismus in der Arbeiterbewegung Geschichte hat. So kritisierte der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein 1867 die Existenz von »Frauenarbeit«, da sie die materielle Lage der Arbeiterklasse verschlechtere. Konsequent forderte man, stattdessen die Löhne für Männer zu erhöhen.

Fischer befürwortete zwar die rechtliche und politische Gleichstellung der Frauen - nicht aber die wirtschaftliche. Stattdessen wollte er »die Frau der Familie wiedergeben«. Diese Position hält der Autor zwar nicht für repräsentativ für die SPD dieser Zeit, aber auch nicht für einen Einzelfall. So zeigt der Beitrag auch Parallelen zu heutigen antifeministischen Denkweisen auf. In Fischers Fall versteht Brenner diese weniger als Ausdruck einer grundsätzlichen Frauenfeindlichkeit denn als Reaktion auf geschlechterpolitische Aushandlungsprozesse in Partei wie Gesellschaft - als eine Art »Backlash«. Ob das so zu trennen ist, ließe sich diskutieren.

Auch sonst wirft die Zeitschrift pointierte Schlaglichter auf aktuelle politische Diskurse inner- und außerhalb der Linken, auch anhand von deren Vorgeschichte. Rekapituliert wird ein Kolloquium zur Frage des Antisemitismus in der Arbeiterbewegung, vorgestellt werden Bände zur »bisher nicht erzählten Geschichte der Arbeit« sowie zur Gründung der KPÖ.

Neu eingeführt wurde die Rubrik »Geschichtskultur«, die insbesondere außerakademische Projekte wie selbstverwaltete Archive oder historische Filmprojekte in den Blick nehmen soll. Den Anfang macht hier Anja Thuns mit einer Zusammenschau verschiedener Ausstellungen zum Thema 100 Jahre Revolution - Berlin 1918/19. Die Autorin untersucht die Ausstellungen daraufhin, wie diese mit ihren historischen Quellen umgehen, diese kritisch reflektieren und aufarbeiten.

Das Heft bietet einen guten Überblick zu aktuell geführten geschichtswissenschaftlichen Diskussionen zur Arbeiterbewegung. Übersichtliche und gut gegliederte Beiträge regen zum Weiterdenken an. Schaut man indes auf das Geschlechterverhältnis des Bandes, fühlt man sich an Brenners Beitrag erinnert: Auf 25 Autoren kommen nur fünf Autorinnen.

Arbeit - Bewegung - Geschichte, Zeitschrift für historische Studien 2019/II. Metropol Verlag, 180 S., 14 €.

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