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Queerer Aufbruch im Balkan
Die erfolgreiche, erste Pride Parade in Skopje bringt neue Hoffnung für queere Aktivist*innen in Ex-Jugoslawien
Eine riesige Regenbogenflagge wird durch das Stadtzentrum Skopjes getragen. Drag Queens tanzen auf einem Demowagen zu 80er Popmusik. Der Menschenzug kommt an einer Statue von Alexander des Großen vorbei. Sie tragen ein Transparent mit der Aufschrift »Wir stehen gemeinsam für Gleichheit«, auf Mazedonisch, Albanisch und Englisch. Es sind typische Bilder einer Pride Parade, doch hier illustrieren sie einen Meilenstein. Es ist der erste Pride Marsch in der südosteuropäischen Republik Nordmazedonien. Der Pride Marsch ist von den Stonewall-Riots inspiriert, die 1969 in der Christopher Street in New York stattfanden und den Wendepunkt für die westliche, queere Bewegung markierten.
Am 29. Juni sind über tausend Menschen in der nordmazedonischen Hauptstadt für die Rechte von LGBTI-Menschen (Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Personen) auf die Straße gegangen. Eine Gegendemonstration hatte parallel stattgefunden, doch die Teilnehmer*innen der Skopje Pride konnten ungestört laufen. Entgegen der Befürchtungen gab es keine homo- oder transfeindlichen Übergriffe. Auch die Polizeipräsenz war nicht viel größer als bei anderen Demonstrationen. Etwas, das bei queeren Events vielerorts in Ex-Jugoslawien nicht selbstverständlich ist. »Es war ein kleiner, aber wichtiger Schritt«, sagte Irena Cvetkovik vom Organisationskomitee gegenüber »nd«.
Noch Wochen später teilte die queere Balkan-Szene in den sozialen Medien Bilder der Veranstaltung und kommentierte: »Das war die Magie der Skopje Pride«. Die Magie reichte bis nach Bosnien und Herzegowina, dem letzten ex-jugoslawischen Land, das noch nie eine Pride gesehen hat. Am 8. September soll sich das nun ändern. Die bosnische Aktivistin Nera Mešinović lief bereits bei der Skopje Pride mit. Sie fühlt sich durch die positive Erfahrung in ihrem Engagement für LGBTI-Rechte in Bosien und Herzegowina bestärkt. Mešinović ist Teil des Komitees, das in Sarajevo den Pride Marsch organisiert. Den Begriff »Parade« lehnen die Organisator*innen ab: »Wir haben nicht viel zu feiern. Die Pride ist in erster Linie ein Protest.«
Nachdem die Organisator*innen das Datum der Pride angekündigt hatten, wurde Widerstand aus der konservativen Bevölkerung laut, auch über Gewalt gegen LGBTI-Aktivist*innen wurde berichtet. Doch der internationale Zuspruch ist viel größer: »Aktivist*innen aus dem Balkan und aus aller Welt haben sich gemeldet und Unterstützung angeboten. So ein Feedback hätte ich mir nicht erträumen lassen,« erzählt Mešinović. Ist das der queere Aufbruch, auf den diese Balkanländer gewartet haben?
Die queeren Aktivist*innen in Ex-Jugoslawien eint ihr vorsichtiger Optimismus. Sie sind darauf vorbereitet, einen Schritt vor und zwei zurück machen zu müssen. 2008 hatte in Sarajevo ein queeres Festival stattgefunden. Die Veranstaltung wurde durch negative Berichterstattung diskreditiert. Radikale, religiöse Gruppen und Fußballfans griffen Teilnehmer*innen und Journalist*innen an, während die Polizei nicht konsequent gegen die Gewalt vorging. »Danach war der Aktivismus tot. Mehr als eine queere Homeparty hier und da war nicht drin«, erinnert sich Mešinović.
Ähnlich drastisch sieht die Pride-Geschichte Serbiens aus. Die Republik war nach Slowenien das erste ex-jugoslawische Land, in dem ein Pride Marsch organisiert wurde. 2001 endete er in Belgrad in Gewalt durch rechtsradikale Gruppen. In den darauffolgenden Jahren wurde die Pride entweder verboten oder kurzfristig aus Sicherheitsgründen abgesagt. Während des nächsten Versuchs eines Pride Marsches im Jahr 2010 lieferten sich rechtsradikale Gruppen Straßenschlachten mit der Polizei, um die Demonstration zu verhindern. Dutzende Menschen wurden dabei verletzt.
Seit 2014 wird die Pride in Serbien nur noch unter hoher Polizeipräsenz und dem Einsatz von Sondereinheiten abgehalten. Dabei wirkten sich auch die Beitrittsverhandlungen mit der EU positiv aus, da Serbien angemahnt wurde, sich mehr für LGBTI-Rechte einzusetzen. Unterm Strich ginge es bei den getroffenen Maßnahmen vor allem um den EU-Beitritt, findet Goran Miletić vom Organisationskomitee der Belgrader Pride. »Echte Akzeptanz oder gesellschaftliche Veränderung? Fehlanzeige.«
Gewalt und Rückschläge finden sich auch in der Pride-Geschichte Kroatiens. Immerhin konnte in Zagreb seit 2002 kontinuierlich der Pride Marsch stattfinden. Dieses Jahr lautete das Motto deshalb: »18 stolze Jahre«.
»Der erste Marsch in Zagreb war eine solidarische Antwort auf die in Belgrad gescheiterte Pride«, erzählt Franko Dota, einer der Begründer der Zagreb Pride. Einige LGBT-Rechte konnten in Kroatien bereits durchgesetzt werden. Seit 2011 verliefen die Pride Paraden in Zagreb und Split friedlich. Besorgnisserregend sei allerdings der Rechtsruck in der kroatischen Gesellschaft und die konservative Jugend, findet Dota.
Die gute Vernetzung queerer, feministischer und anti-nationalistischer Aktivist*innen ist ein Grund, warum 2019 die Sterne für Pride Märsche im Balkan gut stehen. »In den letzten zehn Jahren haben wir Aufklärungsarbeit geleistet und Journalist*innen wie auch die Polizei sensibilisiert,« sagt Mešinović. »Wir haben viel von den Aktivist*innen in Serbien, Kroatien und Slowenien gelernt.«
In Nordmazedonien war ein neu in Kraft getretenes Antidiskriminierungsgesetz der Auslöser für die Pride: Zum ersten Mal ist die Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung und der Geschlechtsidentität verboten. Auf die Frage, weshalb es so lange bis zum ersten Pride Marsch gedauert hat, antwortet Irena Cvetkovik: »Mit der damaligen Regierung war die Zeit einfach noch nicht reif.« Die rechtsnationale Regierung der Partei VMRO-DPMNE war von 2006 bis 2017 an der Macht und hatte Änderungen zugunsten von LGBTI-Menschen unterbunden. Wegen eines Korruptionsskandals forderten Bürger*innen 2016 den Rücktritt von Ministerpräsident Nikola Grueski. Die »Bunte Revolution«, wie die Proteste genannt wurden, konnte Neuwahlen erzielen: Heute regiert die sozialdemokratische Partei SDSM unter Premierminister Zoran Zaev. »Nach dem Regierungswechsel war es ein logischer Schritt, auch in Nordmazedonien für LGBTI-Rechte einzustehen«, so Cvetkovik. Zu den Forderungen zählen homo- und transfeindliche Passagen aus Schulbüchern zu entfernen, Strategien gegen die Armut von trans Frauen zu entwickeln oder Hilfe für queere Jugendliche anzubieten, die von zuhause weggelaufen sind.
Für Nera Mešinović ist der Pride Marsch vor allem ein wirkungsmächtiges, politisches Instrument: »Jeder in Bosnien und Herzegowina redet darüber. Die Sichtbarkeit ist riskant, gerade für Aktivist*innen in der Öffentlichkeit, aber sie schafft Selbstbewusstsein und ermöglicht Veränderung.«
Mešinović zeigt sich zuversichtlich, dass der 8. September ein guter Tag für die queere Community in Sarajevo werden wird. »Wir gehen vom Besten aus, aber sind auf das Schlimmste vorbereitet.«
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