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»Am besten ganz normal!«

Queere Lebensrealitäten am Theater sind geprägt von Auseinandersetzungen - mit sich selbst und anderen.

  • Florian Brand
  • Lesedauer: 6 Min.

Die Tür öffnet sich. »Warst du nicht größer und blond?« - »Typisch Gay-Dating in Berlin«, sagt Jona mit einem Schmunzeln und nippt von seinem Malzbier. Den Typen, der ihm die Tür öffnete, hatte er eine Woche zuvor in einem Club kennengelernt.

Jona ist ein trans-schwuler Performer und Laiendarsteller. Er spielt am Theater an der Parkaue, am Deutschen Theater und am Hebbel am Ufer. Nebenher jobbt er hier und dort, um über die Runden zu kommen. Mit seiner Homosexualität hätten die wenigsten ein Problem, sagt er. Viel mehr sei es das Trans-Sein, was viele verunsichert. »Das macht mich angreifbar. Wenn ich erzähle, dass ich trans-schwul bin, fährt denen meistens ein Zug durchs Gesicht.« Auf der Straße wird er überwiegend als Cis-Mann gelesen. Dadurch bleiben ihm viele Ressentiments erspart, die nicht-weiße oder nicht-cis-männliche Personen erleben. Jüngst wurde er für eine Statistenrolle im »Tatort« gecastet. »Das war ein bisschen witzig, weil die gar nicht gemerkt haben, dass sie einen Trans-Mann für die Rolle eines Crossdressers gecastet haben.« Die Maskenbildnerin habe ihm gar den Begriff »androgyn« erklären wollen, sagt er und echauffiert sich ein bisschen. Den Herrenschneider, der ihn für die Rolle einkleidete, habe sein Trans-Sein hingegen verwirrt. »Die meisten wissen gar nicht, wie sie damit umgehen sollen«, sagt Jona. »Am besten ganz normal. Ich möchte keinen Sonderstatus.« Positive Diskriminierungen, also dass er als schwuler Mann besonders gut Frauenrollen spielen oder auf High Heels laufen könne, hört er zuhauf. »Es ist schön, wahrgenommen zu werden, aber das führt auch zu Stigmatisierung.«

Geoutet hat sich Jona mit 17 Jahren in der zwölften Klasse, hat sich einen neuen Namen sowie das Pronomen »er« gegeben. »Natürlich gibt es auch in der Schwulenszene eine große Transphobie«, sagt er. Es gebe Jungs, die schon mal aggressiv würden, wenn sie feststellen, dass ihr Date gar keinen Penis hat. Immer wieder komme es vor, dass Männer in der Öffentlichkeit in seine Komfortzone eindringen, ihn beispielsweise ohne großes Nachdenken an der Brust berührten. Aber auch Frauen kämen ihm viel zu nah, wenn sie erfahren, dass Jona schwul ist. Eine Kollegin - ironischerweise die Gleichstellungsbeauftragte eines Berliner Theaters - nahm während des laufenden Einlassbetriebs plötzlich seine Hand und inspizierte ausgiebig den aufgetragenen Nagellack. »Das war eine sehr unangenehme Situation.« Einerseits, weil sie sich vorher noch nie einander vorgestellt hatten, andererseits weil sie ihn dadurch von seiner Arbeit abhielt.

Ein Referat über den Stonewall-Aufstand von 1969 stellte ein Schlüsselerlebnis für ihn dar. Eine Hirnhautentzündung, die Jona mehrere Wochen im Bett hielt, brachte ihn schließlich dazu, sich ausgiebig mit sich selbst auseinanderzusetzen. »Ich habe viel darüber nachgedacht, wem ich begegne, wenn ich in den Spiegel schaue, und welchen Namen diese Person trägt.«

Wem Jona erzählt, dass er trans-schwul ist, entscheidet er aus dem Bauch. »Wenn ich das Gefühl habe, dass ich mich rechtfertigen muss, lasse ich es.« Das sei vor allem bei älteren, konservativ eingestellten Personen der Fall, deren Weltbild bereits zementiert sei.

Schon früh wusste Jona, dass irgendetwas anders ist. Von seinen Lehrer*innen und Eltern hatte er bei seiner Identitätsfindung wenig Hilfe erfahren. »Unser Schulsystem basiert immer noch auf struktureller Diskriminierung, wo du früh in die Schublade männlich oder weiblich gesteckt wirst.« Dass es aber noch mehr als diese binären Geschlechterrollen gibt, musste Jona sich erst selbst beibringen. Ebenso, dass die Geschichte, wie sie in weiten Teilen in der Schule gelehrt wird, nur die Realität der weißen, heteronormativen Mehrheitsgesellschaft abbildet. »Ich musste mir selber beibringen, dass es Menschen wie mich gibt und dass das auch gut so ist«, sagt er mit Blick auf seine Schulzeit.

Solche Erfahrungen aus der Schulzeit kennt auch Isabella - eigentlich unter anderem Namen bekannt. »Der Grund, weswegen ich nicht unter meinem Klarnamen auftreten möchte, ist, weil ich anderen keinen Vorwurf machen kann, wie sie mit mir umgegangen sind.« Im Vergleich zu Jona hat Isabella sich erst relativ spät als nicht-binäre Person geoutet. Nicht-binär bedeutet, dass eine Person sich weder gänzlich als Frau noch als Mann identifiziert. Isabella bevorzugt deshalb die Bezeichnung »Schauspieler*«.

Es werde unterschätzt, wie rassistisch das Denken vieler Caster*innen, Produzent*innen und Redakteur*innen noch sei. »Das sind beileibe keine Rassist*innen, aber das Bewusstsein dafür, dass Homo- und Transsexualität oder Migrationshintergrund normal sind, fehlt.« Diese Ignoranz nervt sier1. Freund*innen hielten Isabella oft vor, dass im Fernsehen nur Schund laufe. »Der Regisseur schiebt die Schuld auf die Redaktion, und die argumentiert, dass sonst die Zuschauer*innen abschalten.« Das ist totaler Quatsch, glaubt der Schauspieler*.

Nach dem Abitur hat Isabella eine Staatliche Schauspielschule besucht. Damals war sier sich noch uneins darüber, was sier eigentlich ist. »Leute sehen in mir, was sie sehen wollen.« An manchen Tagen überfordert das Isabella. »Ich habe nicht immer die Kraft, die Fragen auszuhalten, wenn ich sage, dass ich nicht-binär bin.« Isabellas Blick driftet in die Ferne. »Damals dachte ich: Wenn ich mich oute, dann läuft’s. Das ist wie Sex haben: Wenn du es einmal gemacht hast, dann kannst du es. Aber so läuft es nicht, erst recht nicht, wenn dein äußeres Erscheinungsbild nicht dem Geschlecht entspricht, mit dem du dich identifizierst.«

Eine Schauspieldozentin sagte einmal zu Isabella: »Du musst an deiner Weiblichkeit arbeiten.« Was bedeutet das? »Das war nicht böse gemeint, aber das habe ich nicht verstanden. Was ist denn meine Weiblichkeit?« Mit solchen Kategorisierungen kann der Schauspieler* nichts anfangen. Aufforderungen wie »Spiel das Mannsweib« findet sier abstoßend.

Auf der Schauspielschule wurde Isabella aufgrund des Auftretens in die bisexuelle Schublade gesteckt. Später dann, bei Vorsprechen an Theatern, sei auch mal mit der Begründung abgesagt worden, es sei schwer sier zu besetzen, weil man nicht wisse, welche Frauenrollen man siem geben soll. Dabei will Isabella sich gar nicht nur auf Frauenrollen beschränken. Vor allem Mutterrollen fallen dem Schauspieler* schwer zu spielen, »weil ich mir nicht vorstellen kann, schwanger zu sein und ein Kind auszutragen. Der körperliche Bezug stellt sich bei mir nicht her.«

Geoutet hat sich Isabella im September 2018, kurz nach dem Mord an dem homosexuellen griechischen Künstler Zak Kostopoulos. Der LGBTI-Aktivist, der auch als Dragqueen auftrat, war im vergangenen Jahr von mutmaßlich rechten Schlägern in Athen zusammengetreten worden und starb wenig später im Krankenhaus. Auch die Polizei in Griechenland steht deswegen in der Kritik. Die anschließende Berichterstattung habe offenbart, wie homophob die griechische Gesellschaft sei, aber auch Reaktionen vieler in Deutschland zeigten, wie viel im Kampf gegen Homo- und Transphobie noch getan werden müsse, sagt Isabella. Das Outing sei ein Befreiungsschlag gewesen, auch aus einem Gefühl von Verantwortung gegenüber der Community.

Angst, aufgrund des Outings nicht mehr besetzt zu werden, hat Isabella nicht. Trotz negativer Erlebnisse und andauernder sexistischer Erfahrungen aufgrund des weiblichen Erscheinungsbildes fiel das vergangene Jahr beruflich wie privat durchaus positiv aus. »Es ärgert mich, nicht eindeutig cis oder trans zu sein. Gleichzeitig genieße ich auch das Privileg, als Cis-Frau gelesen zu werden, weil du so nicht totgetreten wirst wie Zak Kostopoulos.«

1 Dieser Text verwendet das Pronomen »sier«, um zu verdeutlichen, dass die Person nicht-binär ist - das heißt, sich weder gänzlich als Frau noch als Mann identifiziert.

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