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Das Talent siegt
Bevor Egan Bernal zum bestimmenden Fahrer der Tour wurde, musste er vom Straßenradsport überzeugt werden
Egan Bernal schreibt Geschichte bei der Tour de France. Er ist nicht nur der erste Kolumbianer, der als Führender auf die Champs Elysees einbiegt. Er ist zugleich der drittjüngste Fahrer überhaupt, der am Schlusstag im Gelben Trikot fährt. Und er setzt die Tendenz fort, dass gelernte Mountainbiker den nur auf der Straße ausgebildeten Profis die Trophäen wegnehmen. Ein gutes Dutzend gelber Löwen schmückt den Teambus von Deceuninck Quickstep. Julian Alaphilippe, einst Cyclocrossfahrer in einer Sportkompagnie des französischen Heers, hat sie bei dieser Tour erobert. Zwei Löwen steuerte auch Mike Teunissen, U23-Weltmeister des Jahres 2013 im Cyclocross, für sein Team Jumbo - Visma bei.
Die letzten Löwen heimste Bernal ein. Der 22-Jährige wurde auf den bewaldeten Hügeln rings um die 2650 Meter hoch gelegene Stadt Zipaquirá groß. Die ist bekannt für ihre Kathedrale - eine in ein früheres Salzbergwerk hineingehauene Kirche. Touristisches Highlight ist auch die historische Eisenbahn, mit der man noch heute von der Hauptstadt Bogotá aus für eine Tagesreise ins etwa 50 Kilometer entfernte Städtchen zuckeln kann. In der Bahnstation gab es public viewing während der Tour. Bernals einstiger Trainer Fabio Rodriguez schaute dort den Triumphen seines einstigen Schützlings zu.
Jetzt ist Bernal der wohl größte Sohn der Stadt. Bis er dorthin zurückkehrt, wird es aber noch etwas dauern. »Egan wird erst noch ein paar Kriterien in Europa fahren. Das Team entscheidet dann, wann wir nach Kolumbien zurück fliegen«, sagte Bernals Freundin Xiomara Guerrero gegenüber »nd« in Val Thorens. Guerrero ist selbst Radsportlerin. Mit dem Mountainbike hat sie sogar eine Profikarriere hingelegt. Als Mountainbikerin lernte sie vor sechs Jahren Bernal kennen. »Wir waren im selben Team, hatten viele Wettkämpfe zusammen und viel Zeit auf den gemeinsamen Reisen«, erzählt sie »nd«. Sie kennt den Radsport von innen. Ein Vorteil. »Sie ist sehr wichtig für mich, weil sie bei all den Vorbereitungsprozessen auf die großen Rundfahrten dabei ist«, sagte Bernal auf der Pressekonferenz am Samstagabend.
Der Mann, in dessen Team die beiden zusammenfanden, ist ebenfalls zur Tour de France gereist. Während Xiomara Guerrero den Blumenstrauß des Siegers in der Hand hält und nach links Interviews gibt, steht Pablo Mazuero neben ihr, und spricht nach rechts in Kameras und Mikrofone. Seit Bernal zwölf Jahre alt ist, betreut er ihn. Drei Schlüsselmomente in der Karriere schildert er: »Seinen großen internationalen Durchbruch machte Egan 2014 bei den Moutainbike-WM. In der Juniorenkategorie fuhr er aufs Podium. Ich kann mich noch erinnern, wie er mit Schlamm verschmiertem Gesicht im Auto saß und sagte: ›Ich kann es einfach nicht fassen.‹«
2015 kam Bernal wieder aufs WM-Podium bei den Moutainbikern. »Wir fuhren danach zum Trainingszentrum des Weltverbandes in Aigle und machten einen Belastungstest. Die Leute dort sagten mir, dass es die besten Werte waren, die sie jemals in dieser Alterskategorie gemessen hatten«, meint Mazuera. Der Coach versuchte seinen Rohdiamanten dann bei europäischen Mountainbiketeams unterzubringen. »Sie hatten aber schon alle Plätze besetzt«, blickt er zurück.
Gianni Savio, italienischer Rennstallbesitzer mit einem Gespür für Talente, allerdings auch einer Liste von Dopingaffären, interessierte sich für das Talent. »Mit dem Team in Italien begann meine Straßenradsportkarriere erst so richtig«, blickt Bernal zurück. Nach zwei Jahren Ausbildung bei Savio kaufte Team Sky Bernal aus dem vierjährigen Vertrag heraus.
All das wäre nicht passiert, wenn Mazuera seinen Schützling nicht zuvor von der Schulbank geholt hätte. Denn der begann mit 16 Jahren eine Journalismusausbildung - für Mazuera eine Vergeudung des großen Talents. »Er fuhr damals immerhin die 44 Kilometer von seinem Heimatort zur Uni täglich mit dem Rad, 22 hin, 22 zurück. Ich sagte ihm dann, dass er sein Talent leben und weiterentwickeln solle«, so Mazuera. Das Drängen wirkte. Bernal ließ die Journalistenausbildung sausen. Und jetzt schreiben all die anderen über ihn.
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