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- Langzeitarbeitslosigkeit
Die Zukunft liegt in der Pflege
Förderung von langzeitarbeitslosen Menschen soll wirksamer werden
Zur Unterzeichnung von Gesinnungserklärungen empfehlen sich symbolträchtige Orte. Am Mittwoch unterschrieben anlässlich der Veröffentlichung der aktuellen Arbeitsmarktstatistik bedeutende Akteure der Berlin-Brandenburger Arbeitsmarktpolitik im Domicil-Seniorenpflegeheim in der Reinickendorfer Residenzstraße eine »Gemeinsame Erklärung zur Reduzierung der Langzeitarbeitslosigkeit«. Die Altenpflege als Sinnbild für Fachkräftemangel und anstehendende Ausbildungsreformen in den Ländern - aber auch als »Chancengeber«, wie Frank Paul Hartje, der ausrichtende Geschäftsführer von Domicil, den Termin einleitete.
Alexander Fischer, Staatssekretär der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales, Bernd Becking, Vorsitzender der Berlin-Brandenburger Bundesagentur für Arbeit, Sonja Staack, stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes Berlin-Brandenburg und Alexander Schirp für die Unternehmensverbände zeigten sich entschlossen, der Langzeitarbeitslosigkeit in beiden Ländern weiterhin den Kampf anzusagen. Herzstück ihrer zukünftigen Bemühungen soll das am 1. Januar 2019 in Kraft getretene Teilhabechancengesetz sein. Unternehmen und Betriebe erhalten hier Lohnkostenzuschüsse von bis zu 100 Prozent, wenn sie langzeitarbeitslose Menschen für mindestens zwei Jahre einstellen. Für bis zu fünf Jahre kann die Förderung fortgesetzt werden.
Bei den Vertreter*innen der Sozialpartner herrschte eine Art verhaltene Euphorie, als sie das Gesetz zum »Erfolg bei der Stabilisierung für Menschen« (Becking), »Baustein im Paradigmenwechsel in der Arbeitsmarktpolitik« (Fischer) und »vorsichtigen Schritt, um die Logik von Hartz IV aufzubrechen« (Staack), erklärten - vorausgesetzt, die Konjunktur sei gut und die allgemeine Arbeitslosigkeit rückläufig.
Knapp 2000 Menschen, so Becking, habe man mittels der Förderungen bisher mit einer arbeitsvertraglichen Perspektive versorgen können, allein in Brandenburg 650. Als Branchen seien vor allem die Pflege und - mit einigem Abstand - Handel, Garten- und Landschaftsbau sowie Logistik vertreten. Sonja Staack lobte das Gesetz dafür, dass es wirkliche Wiedereingliederung und tarifliche Entlohnung anstrebe und eine Förderung per Qualifizierung in den Mittelpunkt stelle, statt zu hohe Forderungen zu stellen. So könne die Gefahr von Abbrüchen tatsächlich minimiert werden: »Nicht die Vermittlung in die Maßnahme ist doch der Erfolg, sondern dauerhafte Integration in den Arbeitsmarkt, Wertschätzung und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.« Das Gesetz bewerbe man innerhalb der Gewerkschaften auch deshalb, weil es sich gegen Lohndumping richte. Hier ist sich die Gewerkschaftsfrau einig mit dem Unternehmermann Schirp, der sich als Vertretung privatwirtschaftlicher Interessen dem staatlichen Subventionierungsprogramm gegenüber standesgemäß zurückhaltend zeigt.
Katrin Steig, Leiterin des Seniorenpflegeheims, hatte zum Termin auch Thomas Ferber eingeladen. Der 60-Jährige ist über das Teilhabechancengesetz seit einem halben Jahr mit einer 30-Stunden-Stelle in ihrer Einrichtung angestellt. »Ich hoffe, nach der Förderung bekomme ich einen festen Vertrag«, sagte Ferber. Über das Jobcenter habe er die Stelle aber nicht bekommen, und auf das Teilhabechancengesetz habe ihn der Träger, für den er zuvor als Betreuungsassistent tätig war, hingewiesen. Außerdem werde ihm seine zweijährige Ausbildung vom Förderungszeitraum abgezogen. »So ganz realistisch ist das nicht, was die Herren da so erzählen«, resümierte Ferber. Vielleicht weiß er ja besser, wovon er spricht.
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