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Feuer in Rojava: Löschen für die Revolution
In Rojava legen der IS, die Türkei und das Assad-Regime Brände, um die Bevölkerung zu spalten
Vierzig Grad im Schatten. Die Mittagshitze hat uns in die klimatisierten Innenräume der Kommune verdrängt. Viele Genoss*innen schlafen, andere sitzen an Laptops, lesen oder spielen Schach. Dann wird die Tür zu einem der Schlafräume aufgerissen und der Genosse schreit: »Wake up! There is a fire outside!«. Wir bewegen uns eher halbherzig – denn es gibt ständig kleinere Feuer in Rojava, also fügt der Genosse hinzu: »Just come! It's huge and it's close!«. Vor der Tür wird uns der Ernst der Lage bewusst: Über uns zieht eine dichte Rauchwolke hinweg und es stinkt verbrannt. Wir rennen zu einem Hügel, um die Rauchquelle zu sehen. Und siehe da: Weniger als einen Kilometer entfernt brennt sich eine Feuerwalze durch die Weizenfelder in die Richtung eines Dorfes.
Dann geht alles ganz schnell: Einige bleiben im Camp, um eine Nässebarriere in Richtung des Feuers zu legen, die anderen rennen zur Straße herunter. Sonst fahren dort kaum Autos, aber jetzt ist alles voller Fahrzeuge auf dem Weg zum Feuer. Die Asayîş (innere Sicherheitskräfte der Föderation) haben die umliegenden Kommunen informiert, in der Stadt schließen die Menschen ihre Läden und fahren los. Auch viele Mitglieder der Selbstverteidigungseinheiten sind auf dem Weg zum Feuer. Alle wollen helfen.
Getreidesäcke gegen Brände
Anderthalb Stunden schlagen wir mit Getreidesäcken auf die Brandherde ein. Im Getümmel der Löscharbeiten treffe ich immer wieder Menschen, die ich schon einmal gesehen habe: einen Taxifahrer, eine Verkehrspolizistin, meinen Frisör oder den General, der hier ansässigen YPG-Brigade. Ich habe das Gefühl, ganz Rojava ist auf diesem Feld zu Gange. Etwas später kommt auch ein Feuerwehrauto dazu, bis der Brand schließlich erstickt wird. Und so löschen wir schließlich das Feuer.
Das ist nun ein paar Wochen her. Mittlerweile wissen wir: unsere Region ist glimpflich davongekommen. Die Brände werden gelegt - an verschiedenen Orten Rojavas, aber auch in den kurdischen Gebieten im Nordirak. In den letzten Wochen wurden in Rojava über 40.000 Hektar Weizenfelder zerstört. Dutzende Menschen starben bei Löscharbeiten, noch viele mehr wurden verletzt. Zu manchen Brandanschlägen hat sich der Islamische Staat bekannt, andere wurden durch Beschuss der türkischen Armee entfacht, aber auch das Assad-Regime scheint seinen Anteil an den Bränden zu haben. Zwei syrische Agenten wurden im Zuge der Ermittlungen der Selbstverwaltung festgenommen. Außerdem nutzt das Regime diese Taktik auch im von Al-Qaida nahen Milizen kontrollierten Idlib.
Feuer als Propagandainstrument
Der Terror zielt ins Herz der syrischen Revolution. Nicht nur weil er die materielle Lebensgrundlage der Bevölkerung angreift, Menschen tötet und Dörfer niederbrennt. Sondern weil er versucht, die Bevölkerung zu spalten. Die Feinde der Revolution nutzen die Brände als Propagandainstrument. Alte Konflikte werden aufgewärmt, um das Projekt eines geeinten, demokratischen Syriens zu verhindern. Die Kurden würden die Brände legen, um die arabische Bevölkerung abzustrafen, heißt es von Seiten des Regimes und der Türkei. Und tatsächlich treffen diese Angriffe vor allem die arabische Bevölkerung, denn Rojava ist schon seit langem die Kornkammer Syriens.
Unter dem Regime wurde die Region in koloniale Abhängigkeit von den Metropolen im Südwesten des Landes gebracht. Landwirtschaftliche Produkte und Rohöl kommen zu über 70 Prozent aus Gebieten der Föderation. Die industrielle Weiterverarbeitung findet größtenteils auf Seiten des Regimes statt. Auch heute handelt die Föderation Rohöl und Getreide mit dem Regime und erhält dafür Treibstoff und das nötige Geld für Importwaren. Auch wenn die USA das gerne verhindern würden, sieht sich die autonome Selbstverwaltung in der Verantwortung, die Grundversorgung mit solch elementaren Gütern für die gesamte syrische Bevölkerung zu gewährleisten. Die Ernteausfälle werden also besonders die Exporte ins Assad-Gebiet betreffen. Dort wird das Brot teurer werden, die Bevölkerung verarmen und die demokratische Revolution soll dafür verantwortlich gemacht werden.
Nicht spalten lassen
Doch gerade in Zeiten der härtesten Angriffe zeigt die Revolution in Rojava immer wieder wie geschlossen sie Widerstand leistet. Das vom Feuer bedrohte Dorf war überwiegend arabisch. In den 1970ern hat die Baath-Partei über 4000 arabische Familien in Rojava angesiedelt, kurdische Bauern enteignet und den arabischen Familien das Land übergeben. Das Dorf, das beinahe dem Feuer zum Opfer gefallen wäre, war eines davon. Von den historischen Spannungen oder ethnischer Trennung war an diesem Tag nichts zu spüren. Wie der IS und arabischer Zentralstaat aus Nordostsyrien verdrängt werden, so wird auch das gemeinsame Leben, Arbeiten und Kämpfen unter den Bevölkerungsgruppen immer selbstverständlicher. Während der Löscharbeiten vermischten sich kurdische und arabische Rufe. Es war überwältigend zu sehen, wie sich die breite Gesellschaft reaktionsschnell und völlig selbstverständlich gegen den Terror zur Wehr setzt.
Vor kurzem waren wir auf der Trauerfeier für die im Feuer gefallenen Genoss*innen. Ich war zwar schon auf vielen Trauerfeiern, aber die waren alle militärisch. Bei dieser war vieles anders. Es waren mehr Menschen dort als sonst - Militärs und Zivilist*innen, arabisch und kurdisch. Am Ende hielt die Mutter eines Gefallenen Asayîş eine mitreißende Rede. Sie sprach Arabisch und ich verstand kein Wort. Ich fragte eine Freundin, die zumindest auf kurdisch antworten kann. Auch davon verstehe ich nicht sehr viel, aber der letzte Satz ist mir im Kopf geblieben: »Bis in den Tod werden wir uns nicht spalten lassen!«
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