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Als linker Journalist beim Boulevard
Wer Revolution machen will, muss mehr Leute erreichen als die örtliche Antifagruppe. Die Linke braucht Boulevardjournalismus!
Wenn ich in meinem linken Freundes- und Bekanntenkreis erzähle, dass ich für eine Boulevard-Zeitung arbeite (Nein, nicht für die überregionale Zeitung mit den täglichen rassistischen Ausfällen), ernte ich oft fast identische Reaktionen: Belustigte Blicke, ein ungläubiges »Was? für diese Zeitung arbeitest du?« und obendrauf noch flapsige Sprüche, à la »schreibt ihr da auch richtige Geschichten?« Das nervt nicht nur, sondern sagt auch viel über die linke Bewegung und ihre Feindbilder aus.
Klar, an Boulevard-Blättern gibt es viel zu kritisieren: Boulevard pauschalisiert, schafft oft klare Trennlinien zwischen »den Guten« und solchen, die sie verurteilen: differenzierte Analysen kann man in dieser Art von Zeitung - meiner eingeschlossen - dazu nicht erwarten. Auch ich bekomme manchmal das Kotzen, wenn einer meiner Chefs aus dem Mord an einer Frau eine »Familientragödie« macht (Das hat System und heißt Femizid, Mann!) Oder wenn Fahndungsfotos von 17-Jährigen Ultras auf der Titelseite landen. Und so weiter. Beispiele gibt es genug. Aber reicht das, solche Zeitungen nicht nur zu meiden, sondern zu verachten? Nein, sage ich.
Wie wollt ihr Revolution machen, wenn ihr euren eigenen Nachbarn nicht erreicht?
Eine Linke, die den Anspruch hat, die Massen zu erreichen, kann es sich nicht leisten, auf Mainstreammedien zu verzichten. Wie will man Themen setzen, wenn einen nur Leute aus der eigenen kleinen Blase lesen, die eh schon Bescheid wissen? Klar, ich befinde mich nicht im Epizentrum des linken Journalismus, aber wie wollt ihr denn Revolution machen, wenn die politische Arbeit weder den Kioskbesitzer von nebenan, den Kuttenträger aus der Fankurve, noch den eigenen Nachbarn erreicht? Stattdessen sind Linke ganz groß in: Grüppchenbildung, Sektiererei, unter sich bleiben. Genau wie im Kultfilm »Das Leben des Brian«: Lang lebe die judäische Volksfront! Tod der Volksfront von Judäa!
Die Zeitung, für die ich arbeite, ist die klassische Zeitung des »kleinen Mannes«. Unsere Reporter lassen Opfer von Mietabzocke zu Wort kommen, schreiben über das Schicksal von Obdachlosen - und wenn es in der Landespolitik etwas zu kritisieren gibt, dann nehmen sie kein Blatt vor den Mund. Und ja, dabei kommen auch mal Arschlöcher zu Wort, die Arschloch-Meinungen vertreten. Das muss man erst mal ertragen, da geht es mir nicht anders als den meisten aus meinem Umfeld. Aber auch ich, als linker Journalist, kann mich einbringen und das mache ich. Von Geschichten über Geflüchteteninitiativen, über Kritik an ungerechten Steuermodellen, bis zum Vorstellen linker Kampagnen: Oft mehrfach die Woche bekomme ich Themen ins Blatt mit klarer Position. Und das Beste ist: Sie werden auch noch gelesen, und das nicht nur vom Plenum der örtlichen Antifa-Gruppe, sondern von Zehntausenden.
Wie ein Soldat im trojanischen Pferd
Dieser Text soll kein Loblied aufs Boulevard-Blatt sein. Immer mehr schreiben in immer weniger Zeit, immer schneller produzieren, Clickbait-Überschriften - Die Arbeit im Boulevard ist für mich und meine politische Meinung unbequem, vieles geht nur mit Reiberei. Agenturmeldungen sollen abgeschrieben werden, Bullenmeldungen werden übernommen. Das System wird zu einem großen Teil reproduziert, das ist mir klar. Oft gehe ich gefrustet und desillusioniert nach Hause. In solchen Momenten verstehe ich diejenigen, die sagen, dass man sich durch diese Arbeit entpolitisiert.
Doch an anderen Tagen fühlen ich und meine wenigen, explizit linken Kollegen sich wie die Soldaten im trojanischen Pferd: Es kann gelingen, linke Inhalte zu produzieren, die auch tatsächlich gut aufgenommen werden, ja im besten Fall sogar ein Gespräch anstoßen, aber man muss geschickt und vorsichtig sein. Themen, die der Chef vielleicht nicht durchgehen lassen würde, schlage ich lieber dem jüngeren, liberaleren Chef vom Dienst vor – dann werden sie auch genommen. Ich kann eingreifen, wenn einer meiner Kollegen wieder Bullshit-Bingo spielt (Das alte Lied von Rechts- UND Linksextremen), kann Gastautoren beauftragen polizeikritische Texte zu schreiben. Kurz: In meinem Rahmen alles Mögliche tun, um eine Vielfalt an Themen herzustellen, die unserer vielfältigen Gesellschaft gerechter wird.
Ein linker Redakteur meiner Zeitung wurde von seiner politischen Gruppe gemieden
Oft erreicht meine Arbeit mein privates Umfeld allerdings nicht. Ich erwarte kein Schultergeklopfe oder gar Dankbarkeit. Ich schreibe aus eigener Überzeugung über soziale Ungleichheit und will aus eigenem Antrieb etwas zum Guten bewegen. Doch entweder lesen viele Bekannte, die von mir oben beschriebenen Texte nicht, oder sie haben mehr Spaß daran, mir die boulevardesken Geschichten vorzuhalten, die ich von Zeit zu Zeit schreibe. Dann heißt es mit einem Augenzwinkern: »Na, wieder den großen Wurf gelandet?« Ein linker Redakteur meiner Zeitung wurde von seiner politischen Gruppe gemieden, nachdem er bei uns angefangen hatte. Manche grüßten ihn nicht mal mehr, wenn sie ihn auf der Straße trafen.
Woher kommt diese selbstgefällige Haltung? Ich kenne linke Wirtschaftsjuristen, die tagsüber Anzug tragen, andere arbeiten als Unternehmensberater. Ich würde nicht auf die Idee kommen, ihnen Vorwürfe zu machen, oder ihre Arbeit regelmäßig abzuwerten. Wir alle reproduzieren doch das System, der Politik-Studi, der sich nach 12 Semestern dann doch für den sicheren Behördenjob entscheidet ebenso wie der Arbeiter bei Amazon. Die Frage ist nur: Ist uns das bewusst? Und wie viel investieren wir, um in unserer Freizeit oder auf anderem Wege für eine gerechtere Welt zu kämpfen?
Hört auf, euch über weniger gebildete Menschen lustig zu machen!
Wenn ihr Diskurse führen wollt, die auch bei Leuten außerhalb eures linken Freundeskreises ankommen, braucht ihr eben auch den Boulevard. Klar, kann man in diesem Format nicht die Welt verändern. Aber man kann humanistische, linke Inhalte in das Leben von Leuten tragen, zu denen die Linke - nicht nur in Deutschland - längst den Bezug verloren hat. Was passiert wenn man große Teile der Bevölkerung vernachlässigt, kann man grade in Frankreich sehen. Dort ringen Linke um Einfluss bei den Gelbwesten, einer Bewegung die für die meisten aus dem Nichts kam. Eben weil Gewerkschaften, linke Parteien und zuletzt auch die außerparlamentarische Linke den Anschluss an große gesellschaftliche Themen verloren hat.
Also: hört auf, euch über weniger gebildete Menschen lustig zu machen - die Leute, die ihr ja oft vorgebt, organisieren zu wollen. Und kommt raus aus eurer Blase. Da draußen ist es dann zwar mal etwas ungemütlich, dort muss über Dinge geredet werden, von denen ihr glaubtet, sie längst hinter euch gelassen zu haben. Doch da begegnet ihr am ehesten dem Status Quo. Und nur von dem aus ist Veränderung möglich. Denn nur mit Menschen zu reden, die dieselbe Meinung teilen und gleichzeitig von Veränderung zu träumen ist nicht nur naiv, es ist fahrlässig. Oder mit anderen Worten: Supernova-Leser allein machen noch lang keine Revolution.
Dieser Text erschien zuerst bei Supernova
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