Jetzt kann nur noch Regen helfen

In Russlands Taiga brennen riesige Waldflächen - mit Folgen für Mensch und Tier sowie fürs Weltklima

  • Bernhard Clasen
  • Lesedauer: 5 Min.

Greenpeace hat sich in Russland an die Spitze derer gestellt, die eine Ausweitung der aktuellen Waldbrände verhindern wollen. Diese haben sich laut Angaben der Forstbehörden mittlerweile auf eine Fläche von 680 Quadratkilometer vergrößert. Die Umweltorganisation kritisiert die weitgehende Untätigkeit der Behörden und verlangt seit Tagen ein entschiedeneres Eingreifen des Staates, auch wenn inzwischen Tausende Einsatzkräfte und auch das Militär teils mit Löschflugzeugen und Spezialgerät gegen die Feuersbrunst kämpfen. Den Angaben von Greenpeace zufolge brennen jetzt schon 20 Prozent mehr Waldflächen als noch im vergangenen Jahr. Betroffen sind die Baikal-Region, Jakutien, Burjatien und das Gebiet um Irkutsk.

In einem von 300 000 Menschen unterschriebenen Aufruf an Präsident Wladimir Putin schlägt Greenpeace Alarm. Die Feuer hätten das Land in eine »katastrophale Lage« gebracht. Über Tausende von Kilometer sei der Rauch der Waldbrände gezogen, habe Städte, Dörfer, Tiere und Umwelt in Mitleidenschaft gezogen, die weit entfernten Metropolen Krasnojarsk, Nowosibirsk, Omsk und Tscheljanbinsk in eine Smogglocke eingehüllt. Dort decke sich die Bevölkerung mit Atemschutzmasken ein. Auch Hunderte von Kleinstädten und Dörfern seien von Rauch und Ruß betroffen. »Der Rauch bedroht unser Leben und unsere Gesundheit« heißt es in der Petition. »Und gleichzeitig behaupten die Behörden in verantwortungsloser Weise, sie hätten alles im Griff.« Oder wie Michail Kreindlin, Koordinator für Naturschutzgebiete bei Greenpeace Russland, gegenüber »nd« sagte: »Eigentlich können wir nur noch auf Regen hoffen.« Es gebe einfach nicht genügend Wasser zum Löschen.

Die Brände toben schon seit Wochen in der Taiga - Russlands grüne Lunge ist auch für das Weltklima wichtig. Mehr als drei Millionen Hektar des Waldgürtels sind bereits abgebrannt. Die Folgen der Umweltkatastrophe in Sibirien sind bisher nur teilweise absehbar. 80 Prozent der Nachkommenschaft der Raubvögel seien dieses Jahr durch Waldbrände und Überschwemmungen gestorben, berichtete der Naturschützer Igor Karjakin gegenüber der Nachrichtenagentur Ria Novosti. Das ganze Ausmaß der Folgen der Brände lasse sich erst in einem oder zwei Jahren erkennen, zitiert die »Nowaja Gaseta« den Wissenschaftler Alexander Brjuchanow vom Labor für Waldbrandforschung in Krasnojarsk. Wenn der Boden glimme und Büsche brennen, sei zunächst kein großer Schaden erkennbar. Doch auch Bodenbrände können die Wurzeln von Bäumen nachhaltig zerstören, so Brjuchanow.

Für Greenpeace-Campaigner Grigorij Kuksin ist klar, dass die diesjährigen Brände das Weltklima beeinflussen werden: Sie setzen Kohlendioxid frei, der Ruß falle auf das Eis in der Arktis nieder und verdunkle dieses, wodurch es beschleunigt taue. Gleichzeitig gäben durch die Brände aufgetaute Permafrostböden Unmengen des Klimakillers Methan frei.

Schuld an den Bränden sei nicht nur die anhaltende Trockenheit, meint Greenpeace-Aktivist Kreindlin. Auffallend sei, dass besonders dort Brände entstanden seien, wo zuvor gerodet worden war. Die dabei anfallenden Holzspäne, Reisig und andere Kleinabfälle lasse man einfach zurück. »Doch gerade diese Rückstände sind brandgefährlich.«

90 Prozent aller Brände, so Kreindlin, seien in sogenannten Kontrollzonen angefallen - vom Gesetzgeber im Jahr 2015 ausgewiesenen Waldgebieten, in denen Brände nicht bekämpft werden müssen, wenn die Kosten der Löscharbeiten den durch das Feuer angerichteten Schaden übersteigen. »Allein das Wort ist irreführend. Denn gerade dort wird ja das Feuer nicht kontrolliert«, erklärt Kreindlin. »In vielen dieser ›Kontrollzonen‹ hat man sich entschieden, nicht zu löschen, als die Brände noch klein waren. Jetzt sind die Brände so weit fortgeschritten, dass sie auch mit Löscharbeiten nicht mehr zu kontrollieren sind.«

Die Einführung der Kontrollzonen habe rein wirtschaftliche Gründe gehabt, ist man bei Greenpeace überzeugt. Man wollte Geld für Löscharbeiten in unbewohnten Regionen sparen, um dann mehr Mittel für den Feuerschutz der Bevölkerung in Ortschaften zu haben. »Tatsächlich«, so Michail Kreindlin, »gibt es auch in diesen Kontrollzonen Ortschaften, Eisenbahnlinien et cetera.«

Die jüngsten Waldbrände bergen weitere Gefahren. »Ein Problem ist, dass für einen großen Teil unseres Mülls, auch des Atommülls, niemand verantwortlich ist«, sagt der Umweltschützer Andrej Oscharowskij von der Sozial-Ökologischen Union gegenüber »nd«. »In den 1970er und 1980er Jahren wurden in Sibirien unterirdische Atomexplosionen durchgeführt. Heute brennt es in Sibirien.«

Nadeschda Kutepowa, die Vorsitzende der Umweltgruppe »Planet der Hoffnung«, ist quasi direkt neben der Plutoniumfabrik »Majak« in der Nähe von Tscheljbinsk aufgewachsen. Sie erinnert sich an Waldbrände in unmittelbarer Nähe der Anlage. So brannten im Mai 2017 eine ganze Nacht lang 70 Hektar Wald. »Aus Sicherheitsgründen hat man dann den gefährdeten Wald an der Plutoniumfabrik gerodet.«

Vergangene Woche hatte die Chefin der russischen Umweltaufsichtsbehörde Rosprirodnadzor, Swetlana Rodionowa, vor einem »zweiten Tschernobyl« in dem sibirischen Städtchen Usolje-Sibirskoe gewarnt. Ein Chemielager dort drohe außer Kontrolle zu geraten. Usolje-Sibirskoe liegt im Gebiet Irkutsk, wo aktuell Brandgefahr herrscht.

Greenpeace fordert derweil eine umgehende Verkleinerung der Kontrollzonen, was Premierminister Dmitri Medwedjew kürzlich auch zusagte. »Doch dies ist letztlich eine Frage des Geldes«, sagt Greenpeace-Sprecher Kreindlin. »Die entscheidende Frage ist jetzt, ob im September im Haushaltsplan 2020 die staatlichen Mittel für die Verbesserung des Feuerschutzes in den russischen Wäldern aufgestockt werden.«

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